Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde, keine grundsätzliche Bedeutung der Frage nach der Erkennbarkeit eines zollamtlichen Irrtums

 

Leitsatz (NV)

Die Frage, nach welchen Gesichtspunkten im Zusammenhang mit der Nacherhebung von Eingangsabgaben zu beurteilen ist, ob ein zollamtlicher Irrtum für den Abgabenschuldner erkennbar war oder nicht, ist rechtsgrundsätzlich geklärt. Die Abwägung der in diesem Zusammenhang in Betracht kommenden Gesichtspunkte gegeneinander ist, weil auf den konkreten Einzelfall bezogen, einer grundsätzlichen Klärung nicht fähig.

 

Normenkette

EWGV 1697/79 Art. 5 Abs. 2; EWGV 2913/92 Art. 220 Abs. 2 Buchst. b; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) führte Kfz ein, die ihr "CIF X (Niederlande)" bzw. "CIF Y (Belgien)" geliefert wurden.

Die Kfz wurden nach Entladung in ein in den Niederlanden gelegenes offenes Zolllager verbracht, wo sie entwachst und Beschädigungen beseitigt wurden. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um die Beseitigung von Kratzern (Schrammen) sowie Beulen und Dellen. Diese Beschädigungen an den Kfz entstanden regelmäßig bei der Beladung und Entladung der Frachtschiffe sowie bei den Überprüfungen der Ladungen während des Transports. Nach der Beseitigung der festgestellten Beschädigungen wurden die von den Vertragshändlern bestellten Kfz jeweils zum externen, gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigt und von der Klägerin nach Beendigung dieses Verfahrens im Rahmen ihres Sammelzollanmeldeverfahrens zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet. Als Zollwert meldete die Klägerin jeweils die ihr berechneten Verkaufspreise an. Mit Zustimmung des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt ―HZA―) nahm die Klägerin hierbei ab dem 1. Januar 1989 einen pauschalen Wertminderungsbetrag je Kfz für die vor der Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr beseitigten Transportschäden in Anspruch.

Am 1. Januar 1992 galten die Verordnung (EWG) Nr. 2503/88 (ZolllagerVO) des Rates vom 25. Juli 1988 über Zolllager (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 225/1) und die Verordnung (EWG) Nr. 2561/90 (ZolllagerDVO) der Kommission vom 30. Juli 1990 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 2503/88 des Rates über Zolllager (ABlEG Nr. L 246/1). Bereits am 19. Dezember 1991 war hierzu in der Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung (VSF) eine vorläufige Dienstanweisung vom 10. Dezember 1991 (VSF-Nachrichten 67 91 Nr. 552) veröffentlicht worden. In dieser Dienstanweisung wurde unter Abs. 168 ausgeführt, dass sich Kosten für die Lagerung und für die Erhaltung der Waren nach Art. 22 Abs. 1 ZolllagerVO regelmäßig nicht auf den Zollwert auswirkten. Somit würden übliche Behandlungen, die der Vorbereitung des Vertriebs oder des Weiterverkaufs sowie der Verbesserung der Aufmachung oder Handelsgüte dienen, stets zu einer Erhöhung des Zollwerts führen.

Dem schloss sich die Betriebsprüfungsstelle Zoll (BpZ) in einem Prüfungsbericht vom 22. April 1992 an, der sich auf einen Prüfungsantrag der Klägerin betreffend Kfz-Einfuhren bis zum 31. Dezember 1991 bezog. Daraufhin zog die Klägerin in ihren Sammelzollanmeldungen in dem Zeitraum vom 1. Juni bis zum 31. Oktober 1992 keine pauschalen Wertminderungsbeträge wegen Transportschäden mehr ab. Demgegenüber vertrat die Zollwertgruppe bei der Oberfinanzdirektion (OFD) … in einem an das HZA gerichteten Schreiben vom 7. August 1992 die Auffassung, die für die Beseitigung der Transportschäden entstehenden Kosten würden sich nicht zollwerterhöhend i.S. des Art. 22 ZolllagerVO und des Art. 34 ZolllagerDVO auswirken. Diese Vorschriften würden nur dann gelten, wenn sich in einem Zolllager befindende Waren unmittelbar in den zollrechtlich freien Verkehr entnommen würden.

Die Klägerin wandte sich daraufhin mit Schreiben vom 19. Oktober 1992 an das HZA und beantragte für den Zeitraum vom 1. Juni bis 31. Oktober 1992 die Erstattung des Zolls wegen der nicht geltend gemachten Wertminderungspauschale für die Kfz. Gleichzeitig teilte sie mit, ab dem 1. November 1992 die Wertminderungspauschale wegen Beseitigung der Transportschäden an den Kfz wieder als Vorwegabzug in Anspruch zu nehmen. Dabei verwies sie darauf, dass zwischenzeitlich entschieden worden sei, dass der tatsächlich gezahlte Preis für die Kfz um die Wertminderung für die Transportschäden in Höhe der Reparaturkosten weiterhin herabgesetzt werden könne, unabhängig davon, dass die Schäden im maßgebenden Zeitpunkt bereits beseitigt seien.

Mit einem weiteren Schreiben vom 19. Oktober 1992 wandte sich die Klägerin an den Bundesminister der Finanzen (BMF). Mit diesem Schreiben bat die Klägerin um Bestätigung, dass sich das Entwachsen und die Beseitigung von Transportschäden an Kfz im Freihafen von V (Belgien) nicht zollwerterhöhend auswirke. Der BMF teilte der Klägerin darauf mit Schreiben vom 29. Dezember 1992 im Einzelnen mit, dass das Entwachsen der Fahrzeuge keine abgabenerhöhende Behandlung darstelle, während sich die Ausführung der Reparaturarbeiten werterhöhend auswirke und daher zu einer Eingangsabgabenerhöhung führe. Dies bedeute, dass die Transportschäden nicht mehr zollwertmindernd anerkannt werden könnten.

Mit Schreiben vom 16. Juni 1993 teilte die BpZ dem HZA zu dem Erstattungsantrag der Klägerin vom 19. Oktober 1992 mit, es seien für die Sammelzollanmeldungen der Klägerin für die Monate Januar 1992 bis April 1993 noch zollwertrechtlich zu berücksichtigende Transportschäden von … DM festgestellt worden. Für diese Transportschäden habe die Klägerin noch keinen Wertminderungsabzug in Anspruch genommen. Auf der Grundlage des Schreibens der Zollwertgruppe der OFD vom 7. August 1992 stehe der Klägerin daher ein Erstattungsanspruch von … DM Zoll zu. Diesen Betrag erstattete das HZA der Klägerin mit Steueränderungsbescheid vom 28. Juli 1993.

Die OFD teilte alsdann dem HZA mit Schreiben vom 30. August 1993 mit, an der von der Zollwertgruppe vertretenen Auffassung werde im Hinblick auf das Schreiben des BMF nicht mehr festgehalten. Eine daraufhin angeordnete Außenprüfung bei der Klägerin ergab, dass die Klägerin ab dem 1. Januar 1992 hinsichtlich der in dem Zolllager gelagerten Kfz Wertminderungsbeträge für die Beseitigung der Transportschäden von … DM in Anspruch genommen habe und aufgrund des Antrags der Klägerin vom 19. Oktober 1992 Wertminderungsbeträge von weiteren … DM festgestellt worden seien. Insgesamt betrügen die berücksichtigten Wertminderungsbeträge … DM, der hierauf entfallende Zollwert von 10 % mache … DM aus. Demgemäß erhob das HZA von der Klägerin mit Steueränderungsbescheid vom 25. Januar 1995 den Zoll in der genannten Höhe von … DM nach. Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 10. November 1997) und Klage hiergegen hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) führt im Einzelnen aus, die Zollschuld sei nach Abschluss der sich an das Zolllagerverfahren anschließenden, externen gemeinschaftlichen Versandverfahren entstanden. Dieser Zeitpunkt sei grundsätzlich für die Ermittlung des Zollwerts der Kfz maßgeblich. Etwas anderes folge auch nicht aus Art. 22 Abs. 2 ZolllagerVO. Art. 34 Abs. 3 ZolllagerDVO stehe einer Anwendung des Art. 22 Abs. 2 Satz 1 ZolllagerVO entgegen. Die Tatbestandsvoraussetzung des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 (NacherhebungsVO) des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung … (ABlEG Nr. L 197/1) für eine Nacherhebung des Zolls hätten vorgelegen. Die Nacherhebung des Zolls sei nicht nach Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO unzulässig gewesen. Nach Überzeugung des FG hätten bei konkreter Beurteilung aller Umstände des Einzelfalles die Irrtümer der Zollwertgruppe und des HZA von der Klägerin erkannt werden können (Art. 5 Abs. 2 und Abs. 1 NacherhebungsVO). Es komme nicht darauf an, ob die Klägerin diese Irrtümer tatsächlich erkannt habe.

Mit ihrer Beschwerde, die sie auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache stützt (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision gegen die Vorentscheidung. Es gehe um die Klärung von Rechtsfragen, die im Hinblick auf das Erkennen eines Irrtums der Zollbehörden offen geblieben seien. Es sei klärungsbedürftig, "ob ein Indiz für eine verwickelte Rechtslage im Sinne der EuGH-Rechtsprechung vorliegen könne, wenn unterschiedliche Behördenebenen übereinstimmende, irrtümliche Rechtsmeinungen kundtun oder ob diese Behörden als Einheit nur eine einheitliche Rechtsmeinung vertreten" könnten. Im Hinblick auf die Frage, ob eine verwickelte Rechtslage vorliege, sei außerdem klärungsbedürftig, ob nicht ein zusätzlicher, grundsätzlich zu beachtender Anhaltspunkt für die fehlende Erkennbarkeit eines aktiven Irrtums gegeben sei, wenn die in Streit stehenden Regelungen (Art. 22 Abs. 2 ZolllagerVO i.V.m. Art. 34 Abs. 3 ZolllagerDVO) in Widerspruch zu bestehenden Rechtsprinzipien ―hier dem Zollwertrecht― stünden. In diesem Zusammenhang sei zu klären, ob nicht ―in Abweichung zur Auffassung des FG― ein grundsätzlich zu beachtendes weiteres Indiz für eine verwickelte Rechtslage immer dann anzunehmen sei, wenn eine Regelung nicht oder zumindest nicht eindeutig im Einklang mit bestehenden Rechtsgrundsätzen stehe. Weiter stelle sich die Rechtsfrage, ob ein Wirtschaftsteilnehmer, der eine Erstattung von Zollabgaben in einem förmlichen Erstattungsverfahren erhalten habe, das notwendig die gesamte Überprüfung der Abgabenfestsetzung anhand des einschlägigen Gemeinschaftsrechts voraussetze, Zweifel haben bzw. ausräumen muss, weil dem eine gegenteilige Äußerung des BMF entgegen stehe. Außerdem sei klärungsbedürftig, ob eine Stellungnahme des BMF zu einem anderen Sachverhalt (Behandlung der Waren im Freihafen), der jedoch durch inhaltsgleiche Normen geregelt werde, zu Zweifeln im Streitfall (Behandlung der Waren im Zolllager) führen müsse. Schließlich sei klärungsbedürftig, ob die Sorgfaltspflichten des Zollschuldners so weitreichend seien, dass er sich auch interne Dienstanweisungen des BMF, die in den VSF-Nachrichten veröffentlicht worden seien, beschaffen und kennen müsse.

Die Entscheidung über diese Rechtsfragen habe Bedeutung für die Allgemeinheit, weil der Umfang des Vertrauensschutzes, der bei Irrtümern der Zollverwaltung gewährt werde, für jeden Zollpflichtigen von Bedeutung sei. Die Klärung der Rechtsfragen sei auch weiterhin bedeutsam, weil Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex der inzwischen außer Kraft getretenen Regelung des Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO entspreche. Die Klärung der Rechtsfragen sei entscheidungserheblich, weil das FG im Streitfall davon ausgegangen sei, dass die Klägerin den Irrtum der Behörden hätte erkennen müssen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen, die sämtlich um die Erkennbarkeit des Irrtums der Zollbehörden für die Klägerin kreisen, haben keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie, da schon von der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt, nicht mehr klärungsbedürftig sind.

Denn die Frage, nach welchen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, ob ein zollamtlicher Irrtum für den Abgabenschuldner erkennbar war oder nicht (vgl. Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO), ist rechtsgrundsätzlich dahin geklärt, dass es insoweit auf eine konkrete Beurteilung aller Umstände des Einzelfalls ankommt, wobei namentlich (nicht nur) die Art des Irrtums, die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen sind (vgl. z.B. EuGH-Urteile vom 26. Juni 1990 Rs. C-64/89, EuGHE 1990, I-2535, und vom 1. April 1993 Rs. C-250/91, EuGHE 1993, I-1819, sowie BFH-Urteil vom 20. Juli 1999 VII R 85/98, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1999, 381). Der zollamtliche Irrtum schließt noch nicht dessen Nichterkennbarkeit durch den Beteiligten ein (vgl. EuGHE 1990, I-2535). Der Beteiligte muss sich über die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften an Hand ihrer im ABlEG erfolgten Veröffentlichung informieren (vgl. u.a. EuGH, Urteil vom 26. November 1998 Rs. C-370/96, EuGHE 1998, I-7711) und sich bei Zweifeln an ihrer Auslegung weitestmöglich Aufschluss darüber verschaffen, wie sie zu verstehen sind (vgl. EuGH, Urteil in EuGHE 1993, I-1819 Rdnr. 24). Die Berücksichtigung dieser u.a. in Betracht kommenden Gesichtspunkte im Einzelfall liegt im Bereich der Rechtsanwendung (vgl. u.a. EuGH, Urteile in EuGHE 1990, I-2535 Rdnr. 23, und in EuGHE 1993, I-1819 Rdnr. 22) auf den konkreten Sachverhalt, der regelmäßig grundsätzliche Bedeutung nicht zukommen kann (vgl. BFH, Beschlüsse vom 15. Dezember 1992 VII B 123/92, BFH/NV 1994, 65, und vom 8. Juni 1993 VII B 58/93, BFH/NV 1994, 433).

Das FG hat sich ausführlich damit auseinander gesetzt, welches Gewicht im Streitfall der Tatsache zukommt, dass die am Entscheidungsprozess beteiligten Behörden unterschiedlicher Ebenen zu der einschlägigen Rechtsfrage, wie die Einfuhren zollwertrechtlich zu behandeln sind, unterschiedliche Rechtsmeinungen untereinander und der Klägerin gegenüber vertreten haben. Es hat sich ferner damit befasst, ob die sich aus den maßgebenden Vorschriften ergebende Rechtslage schwierig und verwickelt oder verhältnismäßig klar und eindeutig war.

Es hat weiterhin beurteilt, ob der Beteiligte seinen Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Aufklärung des Irrtums genügt hat. Insofern hat es nach den Umständen des konkreten Falles gegeneinander abgewogen, welches Gewicht auf der einen Seite die Tatsache hat, dass über die Rechtsfrage in einem förmlichen Erstattungsverfahren zu Gunsten der Klägerin entschieden wurde, andererseits aber für ein insoweit rechtlich gleich geregeltes Verfahren (Behandlung im Freihafen) eine von der dem Erstattungsverfahren zu Grunde liegenden Rechtsauffassung abweichende Stellungnahme der vorgesetzten Behörde, nämlich des BMF, vorlag und sich den frühzeitig veröffentlichten maßgeblichen Rechtsvorschriften zum Zolllager ebenso wie der dazu veröffentlichten Dienstanweisung die der Nacherhebung zu Grunde gelegte, nunmehr für richtig gehaltene Antwort auf die zweifelhafte Rechtsfrage eindeutig entnehmen ließ.

Die Abwägung all dieser Gesichtspunkte gegeneinander ist, weil auf den konkreten Einzelfall bezogen, einer darüber hinausgehenden grundsätzlichen Klärung nicht fähig. Selbst wenn das FG die einzelnen Gesichtspunkte fehlerhaft gewertet haben sollte, wäre daraus die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht herzuleiten, weil sich die gerichtliche Würdigung dieser Gesichtspunkte nur auf den konkreten Einzelfall bezogen hat und ihr somit keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zukommen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425731

BFH/NV 2000, 1261

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