Entscheidungsstichwort (Thema)

Erledigungserklärungen; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Vortrag der Wiedereinsetzungsgründe innerhalb der Antragsfrist

 

Leitsatz (NV)

1. Erledigungserklärungen im Prozeß entfalten nur dann verfahrensrechtliche Wirkungen, wenn das Rechtsmittel statthaft und zulässig ist.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist kann nur gewährt werden, wenn der Rechtsmittelführer innerhalb der Antragsfrist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO die Tatsachen zur Begründung der Wiedereinsetzung vorträgt. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Wiedereinsetzungsgründe offenkundig oder gerichtsbekannt sind; dabei kommt es auf die Kenntnis der Rechtsmittelinstanz an.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 129 Abs. 1

 

Tatbestand

Mit der Beschwerde gegen den ihr am 3. April 1993 zugestellten FG-Beschluß, die laut Eingangsstempel des FG am 20. April 1993 bei diesem eingegangen ist, verfolgte die Antragstellerin ihren Antrag auf Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung weiter.

Auf den Hinweis des Vorsitzenden des VII. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH), daß die Beschwerde verspätet eingegangen sei (Verfügung vom 14. Juli 1993), beantragte die Antragstellerin mit Telefax vom 27. Juli 1993 wegen der Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug sie unter Hinweis auf beigefügte Fotokopien über fehl geschlagene Sendeversuche vor, die Beschwerde hätte am Abend des 19. April 1993 dem FG als Fernkopie übermittelt werden sollen. Der Telefaxanschluß des Gerichts sei jedoch an diesem Tage -- wie ihrem Prozeßbevollmächtigten von der für den Betrieb des Fernkopierers des FG zuständigen Mitarbeiterin am 20. April 1993 telefonisch mitgeteilt worden sei -- nicht empfangsbereit gewesen. Die Richtigkeit dieses Vorbringens wurde dem Vorsitzenden des BFH-Senats auf Anfrage vom Präsidenten des FG durch Übersendung der Kopie seines gerichtsinternen Schreibens vom 21. April 1993 betreffend die Funktionstüchtigkeit des Telefaxanschlusses des FG im maßgeblichen Zeitraum im wesentlichen bestätigt.

Nachdem der Antragsgegner die Erklärung abgegeben hatte, daß die Antragstellerin für den Veranlagungszeitraum 1993 wie beantragt behandelt werde, erklärte die Antragstellerin die Hauptsache für erledigt und beantragte, dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, hilfsweise die Erledigung der Hauptsache gerichtlich festzustellen.

Der Antragsgegner erklärte die Haupt sache nur für den Veranlagungszeitraum 1993 insoweit für erledigt, als die Antragstellerin beantragt hatte, ihn im Wege der einstweiligen Anordnung anzuhalten, ... , zu unterlassen. Im übrigen beantragt er, die Beschwerde zurückzuweisen und der Antragstellerin, auch soweit die Erledigung erklärt werde, die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist ungeachtet der beiderseitigen Erledigungserklärungen als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 129 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) eingelegt worden ist und die von der Antragstellerin wegen der Fristversäumung beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) versagt werden muß.

1. Erledigungserklärungen -- wie sie von den Beteiligten abgegeben worden sind -- sind zwar auch in der Rechtsmittelinstanz möglich und zulässig. Ihre verfahrensrechtliche Wirkung -- bei übereinstimmenden Erklärungen die ohne weitere Nachprüfung anzunehmende Erledigung mit der Folge der Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 138 Rz. 11) -- tritt jedoch nur ein, wenn die Revision bzw. die Beschwerde statthaft und zulässig ist (Beschluß des Senats vom 16. März 1989 VII R 82/88, BFHE 156, 79, BStBl II 1989, 569 mit Hinweisen auf die vorangegangene Rechtsprechung; ebenso Gräber/Ruban, a.a.O., § 138 Rz. 18 b). Das gilt nicht nur bei den beiderseitigen, sondern auch bei den einseitigen Erledigungserklärungen durch den Kläger bzw. Antragsteller, wie sie im Streitfall zum Teil gegeben sein können. Bei einseitiger Erledigungserklärung hätte das Gericht zu prüfen, ob tatsächlich eine Erledigung der Hauptsache eingetreten ist (Gräber/Ruban, a.a.O., § 138 Rz. 20). Zu einer solchen Sachentscheidung über die Frage der Erledigung ist der BFH aber nur befugt, wenn das Rechtsmittel (Revision oder Beschwerde) zulässig eingelegt, der bei Gericht gestellte Antrag also zulässig ist (Beschluß des Senats vom 25. April 1989 VII B 185/88, BFH/NV 1990, 112 m. w. N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 138 Rz. 18 b).

Der Senat braucht somit nicht zu prüfen, ob und inwieweit die Erledigungserklärungen, die die Beteiligten im Beschwerdeverfahren abgegeben haben, übereinstimmen und ob, soweit nur eine einseitige Erle digungserklärung der Antragstellerin vorliegen sollte, auch insoweit durch die Bereitschaft des Antragsgegners, die Antragstellerin für den Veranlagungszeitraum 1993 wie beantragt zu behandeln, tatsächlich eine Erledigung der Hauptsache ein getreten ist. Die Erledigungserklärungen entfalten jedenfalls deshalb keine verfahrensrechtlichen Wirkungen, weil die Beschwerde der Antragstellerin nicht zulässig ist.

2. Die Antragstellerin hat mit ihrer Beschwerde die Beschwerdefrist von zwei Wochen nach der Bekanntgabe der angefochtenen Entscheidung (§ 129 Abs. 1 FGO) versäumt. Die Frist begann mit der Zustellung des FG-Beschlusses an die Antragstellerin am 3. April 1993 und endete mit Ablauf des 19. April 1993, da der letzte Tag der Zweiwochenfrist (17. April 1993) auf einen Samstag fiel (§ 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 1. Alternative des Bürgerlichen Gesetz buches). Die Beschwerde ist erst am 20. April 1993, und damit verspätet beim FG eingegangen.

Auch wenn die Beschwerdeschrift deshalb nicht fristgerecht beim FG eingehen konnte, weil dessen Telefaxanschluß am 19. April 1993 wegen eines technischen Versagens nicht empfangsbereit war, so daß die vom Prozeßbevollmächtigten der Antragstellerin an diesem Tage versuchte Übermittlung der Beschwerde per Telefax scheiterte, kann die Beschwerde nicht -- wie von der Antragstellerin beantragt -- als fristgemäß angesehen werden. Dem vorstehenden Umstand könnte nur durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Rechnung getragen werden, weil die Antragstellerin ohne Verschulden verhindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO; vgl. BFH-Beschluß vom 6. Februar 1991 V B 44/89, BFH/NV 1992, 111).

3. Der Antragstellerin kann aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, weil sie die dafür erforderlichen formellen Voraussetzungen nicht erfüllt hat.

Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Im Streitfall ist das Hindernis bereits am 20. April 1993 weggefallen, da an diesem Tage sowohl das Hindernis für die Übermittlung der Beschwerde an das FG (per Telefax) entfiel als auch der Prozeß bevollmächtigte der Antragstellerin von der Fristversäumung und den ihr zugrundeliegenden Umständen Kenntnis erlangte. Nach dem Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten ist ihm am 20. April 1993 von der für das Telefaxgerät zuständigen Mitarbeiterin des FG telefonisch mitgeteilt worden, daß das Empfangsgerät u. a. am letzten Tag der Beschwerdefrist ausgefallen war und daß mit der Wiederaufnahme des Betriebs im Laufe dieses Tages zu rechnen sei. Die Kenntnis des Prozeßbevollmächtigten von dem Ausfall des Telefaxempfangsgerätes des FG am 19. April 1993 ergibt sich auch aus den vom Prozeßbevollmächtigten vorgelegten Sendeberichten, nach denen das Telefaxgerät des Gerichts an diesem Tage nicht erreichbar war. Auf demselben Wege war für den Prozeßbevollmächtigten ersichtlich, daß die Beschwerdeschrift schließlich am 20. April 1993 per Telefax dem FG übermittelt werden konnte. Mit seinem erst auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden auf die Fristversäumnis hin gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 26. Juli 1993 hat der Prozeßbevollmächtigte der Antragstellerin somit die Antragsfrist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO versäumt.

Nach § 56 Abs. 2 Satz 4 i. V. m. Satz 3 FGO kann indes die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, wenn die versäumte Rechtshandlung -- wie hier die Einlegung der Beschwerde am 20. April 1993 -- innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist, so daß es im Streitfall auf den formellen Wiedereinsetzungsantrag nicht ankäme (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Rz. 58). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind jedoch auch in diesen Fällen die Tatsachen zur Begründung der Wiedereinsetzung innerhalb der Antragsfrist vorzutragen (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Denn durch die Nachholung der versäumten Handlung wird nur der Wiedereinsetzungsantrag ersetzt. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Wiedereinsetzungsgründe offenkundig oder gerichtsbekannt sind (vgl. BFH-Urteile vom 26. November 1976 III R 125/74, BFHE 121, 15, BStBl II 1977, 246; vom 17. September 1987 III R 259/84, BFH/NV 1988, 681; vom 16. Dezember 1988 III R 13/85, BFHE 155, 282, BStBl II 1989, 328, 329; vom 24. August 1990 VI R 178/85, BFH/NV 1991, 140, 141; BFH-Beschluß vom 1. Juni 1992 V B 57/92, BFH/NV 1993, 249; ebenso Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Rz. 58).

Der Antragstellerin kann -- unabhängig von dem verspäteten Wiedereinsetzungsantrag -- auch nach § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil sie den Wiedereinsetzungsgrund (defektes Telefaxempfangsgerät des FG) nicht innerhalb der seit dem 20. April 1993 laufenden Antragsfrist von zwei Wochen, sondern erst mit dem Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 26. Juli 1993 vorgetragen hat. Auf den fristgerechten Vortrag des Wiedereinsetzungsgrundes konnte nicht verzichtet werden, weil dieser nicht offenkundig oder gerichtsbekannt war. Denn der Ausfall des Telefaxgeräts des FG am 19. April 1993 war dem BFH nicht bekannt und aus den ihm vorliegenden Akten auch nicht ersichtlich. Daß die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen beim FG bekannt waren, steht der Verpflichtung der Antragstellerin, sie innerhalb der Antragsfrist auch dem BFH als Beschwerdeinstanz vorzutragen, nicht entgegen. Denn die Ausnahme vom Erfordernis fristgerechten eigenen Tatsachenvortrags des Säumigen trägt dem Umstand Rechnung, daß reiner Formalismus betrieben würde, wenn der entscheidungsbefugten Person Tatsachen innerhalb bestimmter Fristen unterbreitet werden müßten, die ihr ohnehin bekannt sind (BFH in BFH/NV 1991, 140, 142). Zur Entscheidung über die Beschwerde und somit zu der Prüfung, ob die Beschwerdefrist eingehalten und ggf. wegen ihrer Versäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, ist aber allein der zuständige Senat beim BFH und nicht das FG befugt.

Der BFH hat zwar im Urteil in BFHE 121, 15, BStBl II 1977, 246 die Verzögerung in der Postbeförderung als nicht vortrags bedürftigen, gerichtsbekannten Wiedereinsetzungsgrund angesehen und hierbei mit dem Hinweis auf eine Bestätigung der Post über die Postlaufzeit in dem speziellen Falle Tatsachen erwähnt, die ihm offensichtlich erst nach Ablauf der Antragsfrist bekanntgeworden sind. Diese Umstände (Verhinderung der planmäßigen Landung des Postflugzeugs wegen Bodennebels) waren jedoch nicht entscheidungserheblich, da sie in den Urteilsgründen nur "ergänzend" angeführt worden sind. Die (gerichtsbekannte) Tatsache der Verzögerung in der Postbeförderung hat der BFH in dem Urteilsfall bereits aus dem Poststempel auf dem bei den Senatsakten befindlichen Briefumschlag und aus der ihm bekannten normalen Postlaufzeit hergeleitet. Im Streitfall waren dem Senat aber keine Tatsachen bekannt oder aus den Akten ersichtlich, die darauf hindeuteten, daß die Antragstellerin ohne Verschulden an der Einhaltung der Beschwerdefrist verhindert war. Sie hätten dem Senat deshalb innerhalb der Antragsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vorgetragen werden müssen. Dieses Erfordernis soll eine zügige und sachgemäße Behandlung des Wiedereinsetzungsantrags durch den Antragsteller und das Gericht sicherstellen und so die Unsicherheit darüber, ob es bei den Folgen der Fristversäumnis bleibt, in engen Grenzen halten (vgl. BFH- Urteil vom 15. Dezember 1977 VI R 179/75, BFHE 124, 141, BStBl II 1978, 240, 241).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420396

BFH/NV 1995, 422

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