Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung, Divergenz, Verfahrensmängel

 

Leitsatz (NV)

1. Hat der BFH die Streitfrage bereits entschieden, muß mit der Beschwerde begründet werden, weshalb gleichwohl eine erneute Entscheidung des BFH im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist.

2. Eine Divergenz ist nur dann ordnungsgemäß bezeichnet, wenn abstrakte Rechtssätze der Entscheidungen des FG und des BFH gegenübergestellt werden und dargelegt wird, daß sie sich widersprechen.

3. Die Bezeichnung eines Verfahrensmangels erfordert die Angabe der Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensverstoß ergeben. Das Recht, einen Verfahrensmangel zu rügen, geht bei verzichtbaren Mängeln bereits durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge vor dem FG verloren.

4. Hat das FG sein Urteil kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, ist die Zulassung der Revision nur möglich, wenn für jeden der Gründe ein Zulassungsgrund vorliegt.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2-3

 

Gründe

Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen. Ihre Begründung genügt nicht den Anforderungen des §115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Es muß sich um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handeln (Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rdnr. 141 ff.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Anm. 8, m. w. N.). Eine Rechtsfrage ist u. a. dann nicht (mehr) klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch den BFH geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (Herrmann, a. a. O., Rdnr. 145, m. w. N.; Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Anm. 9).

Die grundsätzliche Bedeutung muß dargelegt werden. Hat der BFH bereits früher über die streitige Rechtsfrage entschieden, so muß der Beschwerdeführer begründen, warum er gleichwohl eine erneute Entscheidung des BFH zu der betreffenden Frage im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung für erforderlich hält (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Hierzu muß er substantiiert darlegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die vom BFH bereits entschiedene Rechtsfrage umstritten ist, insbesondere welche neuen gewichtigen, vom BFH bislang nicht geprüften Einwände in der Rechtsprechung der Finanzgerichte (FG) und/oder in der Literatur gegen die Auffassung des BFH erhoben werden (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 23. Januar 1992 II B 64/91, BFH/NV 1992, 676, m. w. N.; ständige Rechtsprechung).

Hat das FG die Entscheidung kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so ist die Zulassung der Revision nur möglich, wenn für jeden der Gründe ein Zulassungsgrund vorliegt (z. B. BFH-Beschluß vom 2. Mai 1974 IV B 3/74, BFHE 112, 337, BStBl II 1974, 524; Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Anm. 11, m. w. N.). Eine schlüssige Rüge setzt deshalb voraus, daß hinsichtlich eines jeden selbständig tragenden Grundes ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird (BFH-Beschluß vom 17. Mai 1994 X B 280/93, BFH/NV 1995, 114).

Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerde nicht. Das FG hat sein klageabweisendes Urteil in erster Linie unter Berufung auf das Urteil des BFH vom 8. März 1968 VI R 29/67 (BFHE 92, 81, BStBl II 1968, 430) damit begründet, der Kläger habe das mangelhafte erste Fahrzeug nicht sofort, sondern wegen fehlender Fahraufträge erst nach fast einem halben Jahr ersetzt. Deshalb stellten die Wandelung hinsichtlich des ersten Fahrzeugs und die Neu anschaffung des zweiten Fahrzeugs inves titionszulagerechtlich eigenständige Vorgänge dar. Hierzu hat der Kläger lediglich vorgetragen, es sei grundsätzlich bedeutsam, ob der Austausch unabdingbar sofort erfolgen müsse, insbesondere wenn das Austauschgut in der Zeit zwischen der Rückgabe des alten Wirtschaftsguts und der Neuanschaffung bereits genutzt werde.

Damit ist die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage indes nicht hinreichend dargetan. Der Kläger hat keine Gründe angeführt, aufgrund derer eine erneute Entscheidung des BFH zu der Problematik des Austausches eines mangelhaften Wirtschaftsguts geboten erscheint. Im Grunde hat er insoweit die grundsätzliche Bedeutung der Sache lediglich behauptet; dies reicht nicht aus (Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Anm. 58).

Die weiteren Ausführungen des Klägers zur Investitionszulagegewährung bei Anschaffung eines gebrauchten Wirtschaftsgutes als Ersatz für ein im Wege der Wandelung zurückgegebenes Wirtschaftsgut sowie zu der Problematik bei Bezug des Ersatzwirtschaftsgutes bei einem anderen Händler sind nicht schlüssig. Denn das FG hat seine Entscheidung vorrangig auf den -- unab hängig von den zusätzlichen Argumenten tragenden -- Gesichtspunkt gestützt, der Kläger habe jedenfalls den Austausch des Busses nicht sofort vorgenommen.

2. Mit dem Vortrag, das erstinstanzliche Urteil weiche von der Entscheidung des BFH vom 5. Oktober 1976 ab, aus der sich nicht ergebe, daß es auf die Gleichwertigkeit oder Höherwertigkeit des Ersatzwirtschaftsguts ankomme, hat der Kläger eine Divergenz (§115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet. Er hätte dazu abstrakte Rechtssätze der Entscheidungen des FG und des BFH gegenüberstellen und darlegen müssen, daß sie einander widersprechen (BFH-Beschluß vom 4. April 1996 VII B 10/96, BFH/NV 1996, 761). Im übrigen ist zu bemerken, daß sich unter dem vom Kläger angegebenen Datum keine Entscheidung des BFH findet, die sich zu der angesprochenen Problematik äußert. Außerdem kommt der Frage, da das FG vorrangig auf den fehlenden zeitlichen Zusammenhang zwischen Wandelung und Neuanschaffung abstellt, keine Entscheidungserheblichkeit zu.

3. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, das FG habe ein unzulässiges Überraschungsurteil gefällt. Das Gericht ist verpflichtet, den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den Tatsachen und Beweisergebnissen vorher zu äußern, die der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen (BFH- Beschluß vom 30. April 1987 V B 86/86, BFHE 149, 437, BStBl II 1987, 502). Dies gilt insbesondere für tatsächliche Gesichtspunkte, die dem Rechtsstreit eine Wende geben, mit der ein Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (BFH-Beschluß vom 17. Januar 1989 IV B 113/87, BFH/NV 1990, 382).

Der bloße Hinweis des Klägers auf ein Überraschungsmoment reicht indes nicht aus, den Verfahrensmangel ordnungsgemäß zu bezeichnen. Der Kläger hat nicht im einzelnen, wie es bei der Rüge von Verfahrensmängeln erforderlich ist (Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Anm. 65 i. V. m. §120 Anm. 37 f.), die Tatsachen angegeben, aus denen sich nach seiner Ansicht der behauptete Verfahrensverstoß ergibt. Im übrigen hat nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem FG am 12. Dezember 1996 der Vertreter des FA erklärt, das Fahrzeug sei ab 1. September 1995 in ... (alte Bundeslänger) zugelassen worden. Der Kläger, der erklärt hatte, er könne dazu nichts sagen, kann somit von der entsprechenden Feststellung des FG nicht überrascht worden sein.

Auch soweit der Kläger rügt, das FA habe seinen Beweisantrag hinsichtlich des Verbleibens des Fahrzeugs im Fördergebiet zu Unrecht übergangen, genügen seine Darlegungen nicht zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels.

Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozeßbeteiligten verzichten können und tatsächlich auch verzichtet haben (§155 FGO i. V. m. §295 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch das Übergehen eines Beweisantrages wie die im Streitfall beantragte Zeugenvernehmung (BFH-Beschluß vom 4. Oktober 1991 VII B 98/91, BFH/NV 1992, 603; Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Anm. 37, m. w. N.). Bei verzichtbaren Verfahrensmängeln geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch schon durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich. Der Verfahrensmangel muß in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt werden, in der der Rügeberechtigte erschienen ist; verhandelt er zur Sache, ohne den Verfahrensmangel zu rügen, obwohl er den Mangel kannte oder kennen mußte, verliert er das Rügerecht (§295 Abs. 1 ZPO; BFH-Beschluß in BFH/NV 1992, 603). Demgemäß kann sich der Kläger in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht mehr auf die Unterlassung der von ihm schriftsätzlich beantragten Zeugenvernehmung berufen. Nach dem Sitzungsprotokoll hat der anwesende Kläger zur Sache verhandelt, ohne die unterlassene Beweiserhebung zu rügen. Der geltend gemachte Verfahrensmangel gilt damit als geheilt; er kann im Beschwerdeverfahren nicht mehr berücksichtigt werden. Da der Kläger in seiner Beschwerdeschrift keine Ausführungen dazu gemacht hat, daß er den geltend gemachten Verfahrensmangel in der mündlichen Verhandlung gerügt hat bzw. aus welchen Gründen ihm eine entsprechende Rüge unmöglich war, fehlt es bereits an der schlüssigen Darlegung des Verfahrensmangels (Gräber/Ruban, a. a. O., §115 Anm. 65 i. V. m. §120 Anm. 40).

Nicht gehört werden kann der Kläger schließlich mit seinem Einwand, das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Es handelt sich insoweit um die Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels i. S. von §116 Abs. 1 Nr. 1 FGO, die nur die (zulassungsfreie) Revision, nicht aber die Nichtzulassungsbeschwerde eröffnen könnte. Ungeachtet dessen weist der Senat darauf hin, daß die Mitwirkung eines einer anderen Gerichtsbarkeit angehörenden Richters in Finanzstreitsachen in Fällen der Abordnung an ein FG gelegentlich vorkommt und nicht zu beanstanden ist (Gräber/Koch, a. a. O., §15 Anm. 2, m. w. N.).

Die Entscheidung ergeht im übrigen gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs i. d. F. des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 26. November 1996 (BGBl I 1996, 1810, BStBl I 1996, 1522) ohne Angabe von Gründen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66910

BFH/NV 1998, 333

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