Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung; keine Bindung des FG an Freispruch im Steuerstrafverfahren; Nichtbeachtung der Feststellungslast als materieller Fehler; Verfahrensmängel; Bestellung eines Beistandes durch das FG

 

Leitsatz (NV)

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH besteht keine Bindung des Finanzgerichts an ein Strafurteil und ebenso wenig an einen Freispruch im Steuerstrafverfahren. Das FG kann sich aber die tatsächlichen Feststellungen einer vorausgegangenen strafgerichtlichen Entscheidung auch zu eigen machen, wenn nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis gewonnenen Überzeugung die Feststellungen zutreffend sind und keine substantiierten Einwendungen dagegen erhoben werden.

2. Die Nichtbeachtung der - objektiven - Feststellungslast im Rahmen der Beweiswürdigung stellt keinen Verfahrensmangel dar, sondern allenfalls einen nicht zur Zulassung der Revision führenden materiellen Fehler des angefochtenen Urteils.

3. Die ordnungsgemäße Darlegung eines Verfahrensmangels verlangt, dass diejenigen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - genau und schlüssig bezeichnet werden, aus denen sich ergeben soll, dass der behauptete Verfahrensmangel vorliegt und das angefochtene Urteil - nach der insoweit maßgebenden, gegebenenfalls unrichtigen materiell-rechtlichen Auffassung des FG - auf ihm beruhen kann.

4. Die Bestellung eines Bevollmächtigten oder Beistandes durch das FG liegt in dessen Verfahrensermessen. Sie setzt voraus, dass der Beteiligte selbst nicht in der Lage ist, seine Rechte wahrzunehmen.

 

Normenkette

AO § 393 Abs. 1; FGO § 62 Abs. 1 S. 2, § 76 Abs. 2, § 96 Abs. 1 S. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 116 Abs. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg (Urteil vom 16.01.2007; Aktenzeichen I 12/2006)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 FGO nicht gemäß den gesetzlichen Anforderungen dargetan (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache

Der Kläger meint, die Rechtsfrage sei klärungsbedürftig, ob ein Finanzgericht (FG) entgegen den tatrichterlichen Feststellungen des Strafrichters die Erfüllung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung als gegeben unterstellen dürfe ohne die Berücksichtigung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03 (BFHE 204, 380) d.h. ohne detailliert darzulegen und zu begründen, worauf es seine Annahme stütze.

a) Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärbar ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit den ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen. Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen (BFH-Beschluss vom 18. April 2006 VIII B 141/05, BFH/NV 2006, 1465, m.w.N.). Einer Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, wenn die Rechtsfrage nur anhand einzelfallbezogener Umstände beantwortet werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 3. April 2007 VIII B 101/06, BFH/NV 2007, 1343, m.w.N.).

b) Danach hat der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung einer abstrakt klärungsbedürftigen Rechtsfrage nicht hinreichend dargetan.

Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, hindert ein Freispruch im Strafverfahren wegen der Eigenständigkeit des Besteuerungsverfahrens gegenüber dem Steuerstrafverfahren gemäß § 393 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) das FG nicht, aufgrund eigener Feststellungen zur vollen Überzeugung von einer Steuerhinterziehung zu gelangen (BFH-Beschluss vom 4. Mai 2005 XI B 230/03, BFH/NV 2005, 1485).

Das vom Kläger herangezogene BFH-Urteil in BFHE 204, 380 bestätigt zum einen diesen verfahrensrechtlichen Ausgangstatbestand einer nicht bestehenden Bindung an ein Strafurteil, zum anderen in Übereinstimmung mit einer ständigen Rechtsprechung des BFH, dass das FG sich die tatsächlichen Feststellungen einer vorangegangenen strafgerichtlichen Entscheidung auch zu Eigen machen kann, wenn nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis gewonnenen Überzeugung diese Feststellungen zutreffend sind und wenn keine substantiierten Einwendungen gegen diese Feststellungen erhoben werden.

2. Der Kläger rügt des Weiteren, die Finanzbehörde trage im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Feststellungslast für die steuerbegründenden Tatsachen. Hierüber habe sich das FG hinweggesetzt.

Abgesehen davon, dass das FG die volle Überzeugung von einer durch den Kläger begangenen Steuerhinterziehung in Höhe der entsprechend für die Streitjahre 1993 bis 1996 höher festgesetzten Einkommensteuer gewonnen und seine Entscheidung ausdrücklich nicht auf eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Kläger oder eine mangels hinreichender Aufklärbarkeit des Sachverhaltes auf die objektive Feststellungslast abgestellt hat, würde die Nichtbeachtung der Feststellungslast im Rahmen der Beweiswürdigung ohnedies keinen Verfahrensmangel, sondern allenfalls einen nicht zur Zulassung der Revision führenden materiellen Fehler des angefochtenen Urteils darstellen (vgl. BFH-Beschluss vom 27. März 2007 VIII B 152/05, BFH/NV 2007, 1335).

3. Soweit der Kläger die fehlerhafte Anwendung von Verfahrens-vorschriften (§ 96 Abs. 1 Satz 2, § 76 Abs. 2, § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO) beanstandet, werden damit keine Verfahrensmängel hinreichend schlüssig dargetan.

a) Die ordnungsgemäße Darlegung eines Verfahrensmangels verlangt, dass diejenigen Tatsachen --ihre Richtigkeit unterstellt-- genau und schlüssig bezeichnet werden, aus denen sich ergeben soll, dass der behauptete Verfahrensmangel vorliegt und das angefochtene Urteil --nach der insoweit maßgebenden, ggf. unrichtigen materiell-rechtlichen Auffassung des FG-- auf ihm beruhen kann (BFH-Beschluss vom 3. April 2007 VIII B 60/06, BFH/NV 2007, 1341).

b) Das FG hat ausführlich begründet, warum es nach intensiver Belehrung des im finanzgerichtlichen Verfahren nicht beratenen Klägers von einer Nichtigkeitsfeststellungsklage ausgegangen ist.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 28. Juli 2006 ausdrücklich auf das ausführliche Belehrungsschreiben des Berichterstatters vom 22. Juni 2006 bestätigt, allein eine Nichtigkeitsfeststellungsklage zu erheben und seine Haltung ausweislich der Niederschrift vom 16. Januar 2007 nochmals bekräftigt.

Eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO bzw. der aus § 76 Abs. 2 FGO abzuleitenden gerichtlichen Hinweispflicht ist danach offensichtlich nicht gegeben. Angesichts dieses Sachverhaltes hätte es einer substantiierten Auseinandersetzung bedurft, um dennoch derartige Verfahrensverstöße erkennbar zu machen.

Die Bestellung eines Bevollmächtigten oder Beistandes durch das FG gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO liegt im Verfahrensermessen des Gerichts. Sie setzt voraus, dass der Beteiligte selbst nicht in der Lage ist, seine Rechte wahrzunehmen. Diese Voraussetzung ist nicht nur erfüllt, wenn dem Beteiligten die Fähigkeit zum schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlt, er also nicht geschäftsgewandt ist, sondern auch dann, wenn andere, in der Person des Beteiligten liegende Umstände erwarten lassen, dass er den Rechtsstreit nicht einwandfrei und sachgerecht abwickeln kann (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Oktober 2000 VII B 193/00, BFH/NV 2001, 335).

Nachdem der Kläger promovierter Ingenieur ist und zudem als Vorstandsmitglied einer Erdgasversorgungsgesellschaft tätig war, reicht der bloße Hinweis auf die fehlende (steuerliche) Sachkunde keinesfalls aus, um insoweit eine fehlerhafte Ausübung des Verfahrensermessens durch das FG erkennbar zu machen. § 62 Abs. 1 FGO bringt gerade zum Ausdruck, dass sich vor dem FG typischerweise kein Beteiligter vertreten lassen muss.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1951357

BFH/NV 2008, 805

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