Entscheidungsstichwort (Thema)

Ernstliche Zweifel an mit Revision angefochtenem Steuerbescheid; Entnahmegewinn der Erben bei Erfüllung eines Vermächtnisses; richtige Folgerungen i.S. von § 174 Abs. 4 AO 1977 bei antragsgemäßer Aufhebung eines Bescheides durch FG; keine unbillige Härte wegen Erfassung des Entnahmegewinns bei Erben

 

Leitsatz (NV)

1. Ernstliche Zweifel i.S von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO an einem Steuerbescheid, der Gegenstand eines in der Revisionsinstanz anhängigen Verfahrens ist, können nur angenommen werden, wenn ernstlich mit seiner Aufhebung gerechnet werden kann.

2. Die Auffassung, der Vermächtnisnehmer erwerbe ein zu einem Betriebsvermögen gehörendes Grundstück belastet mit der Eigenschaft als Betriebsvermögen und der Entnahmegewinn entstehe bei ihm, ist durch den Beschluß des Großen Senats vom 5. Juli 1990 GrS 2/89, BFHE 161, 332, BStBl II 1990, 837 überholt.

3. Gemäß § 174 Abs. 4 AO 1977 hat das FA bei antragsgemäßer Aufhebung eines Steuerbescheids die richtigen, d.h. die zutreffender Gesetzesauslegung entsprechenden, steuerlichen Folgerungen zu ziehen.

4. Eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte kommt nicht in Betracht, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids fast ausgeschlossen sind.

5. Daß Erben den durch die Erfüllung eines Vermächtnisses ausgelösten Entnahmegewinn versteuern müssen, stellt keine sachliche Unbilligkeit dar.

 

Normenkette

AO 1977 § 174 Abs. 4; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, § 110 Abs. 2; EStG § 4 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Die Antragstellerinnen, Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) sind die Erben ihrer 1979 verstorbenen Mutter und ihres 1983 verstorbenen Vaters.

Die Mutter war testamentarische Alleinerbin ihres 1972 verstorbenen Vaters. Zu dem Nachlaß gehörte auch eine Land- und Forstwirtschaft, darunter eine 1,7876 ha große Parzelle in O. Die drei übrigen Kinder des Vaters sowie die beiden Kinder eines weiteren, vorverstorbenen Sohnes waren in dem Testament in Form eines Vermächtnisses mit einem 12500 qm großen Teilstück aus der Parzelle in O bedacht worden. Am 12. Juni 1973 übertrug die Mutter in Erfüllung des Vermächtnisses das entsprechende Teilstück auf die Vermächtnisnehmer zu Eigentum. Die Auflassung sollte alsbald nach erfolgter Vermessung erfolgen. Besitz, Nutzungen, Lasten und Gefahr sollten auf die Erwerber mit dem Tag der Umschreibung übergehen. Vermessung und Auflassung unterblieben jedoch wegen bestehender Verkaufsabsichten.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 17. Mai 1976 veräußerten die Mutter der Klägerinnen und die Vermächtnisnehmer gemeinsam die Parzelle in O zu einem Kaufpreis von ... DM an die Gemeinde G. Es war vorgesehen, daß ein Teilkaufpreis in Höhe von ... DM auf die Vermächtnisnehmer entfiel und der Restkaufpreis an die Mutter zu zahlen war, die bei Veräußerung nach wie vor als alleinige Eigentümerin im Grundbuch eingetragen war. Am 10. Juni 1976 wurde eine Auflassungsvormerkung für die Gemeinde G eingetragen. Besitz, Nutzungen, Gefahr und Lasten gingen 1976 auf die Gemeinde G über.

Die Eltern der Klägerinnen hatten für 1975 keine Einkommensteuererklärung abgegeben. Am 14. August 1979 erklärte der Vater gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -), daß der land- und forstwirtschaftliche Betrieb nicht mehr bewirtschaftet werde und die Flächen verpachtet seien. Nach einer Außenprüfung nahm das FA eine Betriebsaufgabe zum 1. November 1975 an und erfaßte den gemeinen Wert des gesamten Grundstücks im Betriebsaufgabegewinn. Diesen rechnete es im Einkommensteuerbescheid 1975 vom 16. September 1982 der verstorbenen Mutter zu und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide gegenüber den Klägerinnen als den Rechtsnachfolgern und dem Vater. Dagegen legten die Klägerinnen und ihr - danach verstorbener und von ihnen allein beerbter - Vater erfolglos Einspruch ein. Im Klageverfahren gab das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 23. Juni 1988 dem Begehren der Klägerinnen statt und berechnete den Aufgabegewinn unter Außerachtlassung des den Vermächtnisnehmern zu übereignenden Grundstücksteils; insoweit müsse der Verkauf den Vermächtnisnehmern zugerechnet werden.

Am 11. November 1988 erließ das FA gegen die Klägerinnen als Rechtsnachfolger ihrer Eltern einen, den ursprünglichen die Eltern betreffenden Bescheid ändernden, auf § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Einkommensteuerbescheid 1976, in dem es einen Aufgabegewinn in Höhe von ... DM erfaßte, jetzt aber für das Jahr 1976.

Nach erfolglos gebliebenem Einspruchsverfahren erhoben beide Klägerinnen Klage. Sie machten geltend, die Änderung des Einkommensteuerbescheids 1976 könne nicht auf § 174 Abs. 4 AO 1977 gestützt werden. Außerdem sei der Betrieb zum 1. November 1975 aufgegeben worden. Zudem stünde dem Änderungsbescheid das rechtskräftige Urteil des FG vom 23. Juni 1988 entgegen. Die Anwendung des Senatsurteils vom 17. Oktober 1991 IV R 97/89 (BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392) verstoße im Streitfall gegen das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung.

Das FG wies die verbundenen Klagen mit der Begründung zurück, die Veräußerung der Parzelle in O sei ein Teil der Betriebsaufgabe und das FA habe zutreffend den Gewinn als tarifbegünstigten Aufgabegewinn behandelt.

Zu Recht habe das FA den Veräußerungsgewinn für das streitige Grundstück im Jahr 1976 erfaßt; der Betriebsaufgabegewinn könne auch in mehreren Veranlagungszeiträumen entstanden sein. Der Anspruch der Vermächtnisnehmer auf Übereignung des Teilgrundstücks spiele keine Rolle; das Grundstück sei in vollem Umfang Betriebsvermögen geblieben. Belastungen des Erben mit Vermächtnisverbindlichkeiten führten auch nicht zu Anschaffungskosten. Die Erfüllung der Erbfallschulden ändere nichts daran, daß der gesamte Nachlaß unentgeltlich auf die Erben übergehe und die Vermächtnisnehmer keinen Entnahmegewinn zu versteuern hätten (vgl. Senatsurteil in BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392).

Die Anwendung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) in BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392 verstoße nicht gegen § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977, weil das FA es im Streitfall - ausweislich der Stellungnahme des Betriebsprüfers - von Anfang abgelehnt habe, die abweichende ältere Rechtsprechung (Urteil vom 5. August 1971 IV 243/85, BFHE 103, 345, BStBl II 1972, 114) anzuwenden. Unerheblich sei, daß für die Errichtung des Testaments möglicherweise die alte Rechtsprechung maßgebend gewesen sei. Der ursprüngliche Bescheid habe auch gemäß § 174 Abs. 4 AO 1977 durch den Bescheid vom 11. November 1988 geändert werden können.

Die Tatbestandsmerkmale des § 174 Abs. 4 AO 1977 seien erfüllt. Der Verkauf des Grundstücks in O durch die Mutter der Klägerinnen sei ein bestimmter Sachverhalt i.S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977. Das FA habe diesen Sachverhalt im Steuerbescheid 1975 irrig beurteilt und den Gewinn aus dem Verkauf des Grundstücks fälschlich dem Besteuerungszeitraum 1975 zugeordnet, ein Fall der sog. Periodenkollision. Zwar habe nach Ansicht des früheren FG-Urteils eine sog. Subjektkollision vorgelegen, weil der Verkauf den Vermächtnisnehmern hätte zugeordnet werden müssen. Diese - nach heutiger Rechtsprechung - falsche Begründung schließe aber die Anwendung des § 174 Abs. 4 AO 1977 nicht aus. § 174 Abs. 4 AO 1977 wolle verhindern, daß ein bestimmter Sachverhalt in keinem Steuerbescheid geregelt werde. Entscheidend sei, daß ein Steuerbescheid geändert werde und danach der Sachverhalt nicht geregelt sei, nicht dagegen, aus welchem Grunde der Steuerbescheid geändert werde. Diese Auslegung trage auch dem Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen Rechnung. Den Klägerinnen, die auch Vermächtnisnehmer gewesen seien, sei bekannt gewesen, daß das FA an die Veräußerung des Grundstücks habe Steuerrechtsfolgen knüpfen wollen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision machen die Klägerinnen die Verletzung von Bundesrecht (§ 174 Abs. 4 AO 1977, § 110 der Finanzgerichtsordnung - FGO - und Art. 20 des Grundgesetzes - GG -) geltend.

Außerdem beantragen sie - nach erfolglos gebliebener Antragstellung beim FA und nachfolgendem Beschwerdeverfahren -, die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1976 auszusetzen.

Zur Begründung nehmen sie auf die Revisionsbegründung Bezug; sie machen außerdem geltend, die Vollziehung bedeute für sie eine unbillige Härte.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist unbegründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

1. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei der überschlägigen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen bewirken (z.B. BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl II 1967, 182, und BFH-Urteil vom 17. Mai 1978 I 50/77, BFHE 125, 423, 426, BStBl II 1978, 579). Ist der Verwaltungsakt - wie im Streitfall - Gegenstand eines bereits in der Revisionsinstanz anhängigen Hauptverfahrens, können ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit nur anerkannt werden, wenn unter Berücksichtigung der besonderen Voraussetzungen des Revisionsverfahrens und der beschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts, insbesondere seiner grundsätzlichen Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO), ernstlich mit der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts gerechnet werden kann. Da es im Revisionsverfahren um Rechtsfragen geht, sind die Erfolgsaussichten auf der Grundlage dieser Fragen zu prüfen (BFH-Beschlüsse vom 4. Dezember 1987 V S 9/85, BStBl II 1988, 702, 705, und vom 19. Mai 1992 VII S 12/92, BFH/NV 1993, 144; vgl. weiter Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 69 Anm. 87).

Danach können im Streitfall bei der gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1976 vom 11. November 1988 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 1989 nicht angenommen werden. Zutreffend hat das FG angenommen, daß die Betriebsaufgabe erst im Jahr 1976 mit der Veräußerung der strittigen Ackerfläche geendet hatte. Auch ist die frühere Auffassung (z.B. BFH in BFHE 103, 345, BStBl II 1972, 114) überholt, der Vermächtnisnehmer erwerbe ein zu einem Betriebsvermögen gehörendes Grundstück - wie im Streitfall - belastet mit der Eigenschaft als Betriebsvermögen und der Entnahmegewinn entstehe bei ihm. Der Große Senat hat durch Beschluß vom 5. Juli 1990 GrS 2/89 (BFHE 161, 332, BStBl II 1990, 837) entschieden, daß die Erfüllung eines Vermächtnisses eine Entnahme durch den Erben darstellt. Schließlich ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß das FG zu Recht § 174 Abs. 4 AO 1977 im Streitfall für anwendbar gehalten hat (vgl. BFH-Urteil vom 8. April 1992 X R 164/88, BFH/NV 1992, 717). Auch sind die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO 1977 erfüllt. Das hat das FG mit zutreffender Begründung bejaht. Gemäß § 174 Abs. 4 AO 1977 hatte das FA die richtigen, d.h. die zutreffender Gesetzesauslegung entsprechenden, steuerlichen Folgerungen daraus zu ziehen, daß infolge der Stattgabe der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1975 der dort erfaßte Aufgabegewinn noch berücksichtigt werden mußte. Dem steht auch die Rechtskraft (§ 110 Abs. 2 FGO) des Urteils des FG vom 23. Juni 1988 nicht entgegen, weil es das Jahr 1975 und nicht das Streitjahr (1976) betraf. Das FA war auch nicht durch § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 daran gehindert, den Einkommensteuerbescheid 1976 zu ändern. Denn es hatte bereits im Verfahren betreffend den Einkommensteuerbescheid 1975 die Auffassung vertreten, das BFH-Urteil in BFHE 103, 345, BStBl II 1972, 114 sei im Streitfall nicht anzuwenden. Zur weiteren Begründung nimmt der Senat auf sein im Hauptverfahren ergangenes Urteils vom 21. Oktober 1993 IV R 42/93, BFHE 173, 285, BStBl II 1994, 385 Bezug.

2. Im Streitfall kommt auch eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte (§ 69 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz FGO) nicht in Betracht. Dieser Aussetzungsgrund steht zwar selbständig neben dem ersten Aussetzungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit, doch scheidet die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung aus, wenn Rechtmäßigkeitszweifel fast ausgeschlossen sind (BFH-Beschlüsse vom 19. April 1968 IV B 3/66, BFHE 92, 314, BStBl II 1968, 538, und vom 9. Januar 1990 VII B 127/89, BFH/NV 1990, 473, 476). Solche Zweifel sind jedoch nach den Ausführungen unter 1. und dem beschlossenen Urteil in der Hauptsache zu verneinen.

Ausschlaggebend ist indes, daß die Klägerinnen ihre wirtschaftliche Lage nicht - wie erforderlich - im einzelnen vorgetragen und glaubhaft gemacht haben (vgl. BFH-Beschlüsse vom 9. Mai 1969 III B 4/67, BFHE 96, 117, BStBl II 1969, 547, und in BFH/NV 1990, 473, 476). Ihr Vorbringen beschränkt sich der Sache nach vielmehr nur darauf, sie seien Hausfrauen mit kleinen Kindern und verfügten nicht über die finanziellen Mittel für die Bezahlung der strittigen Steuern, zumal weder sie noch ihre verstorbenen Eltern aus dem Veräußerungserlös etwas erhalten hätten. Das reicht jedoch für die Annahme einer wirtschaftlichen bedingten unbilligen Härte nicht aus. Denn daß die Erben - wie im Streitfall - den durch die Erfüllung des Vermächtnisses ausgelösten Entnahmegewinn versteuern müssen (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 161, 332, BStBl II 1990, 837 unter C.II. 1c.), stellt keine sachliche Unbilligkeit dar, dieses Ergebnis hat der Gesetzgeber bei der Gestaltung des § 16 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes bewußt in Kauf genommen. Im übrigen stand den Vermächtnisnehmern nur ein 12500 qm Teilstück aus der veräußerten, insgesamt 17876 qm großen Parzelle zu. Auch hat das FA darauf aufmerksam gemacht, daß die Klägerinnen selbst zwischenzeitlich ein Grundstück zu einem deutlich höheren Preis verkauft haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419534

BFH/NV 1994, 788

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