Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung der Sachaufklärungspflicht in Fällen ohne Beweisantritt

 

Leitsatz (NV)

Wird als Verfahrensmangel unzureichende Sachaufklärung mit der Begründung gerügt, das FG habe auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, so sind darzulegen: die ermittlungsbedürftigen Tatsachen, die nicht verwendeten Beweismittel sowie die entsprechenden Beweisthemen, aufgrund welcher Anhaltspunkte im schriftsätzlichen Vorbringen oder sonst in den Akten des FG die Beweiserhebung sich dem FG hätte aufdrängen müssen, das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme, inwiefern das Urteil des FG auf Grund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann, daß die Nichterhebung der Beweise vor dem FG rechtzeitig gerügt worden ist oder auf Grund des Verhaltens des FG nicht mehr vor diesem gerügt werden konnte.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betreibt einen gewerblichen Grundstückshandel. Mit Kaufvertrag vom 5. November 1991 erwarb er ein mit einer Gaststätte bebautes Grundstück sowie das im Gebäude befindliche Gaststätteninventar. In der Kaufvertragsurkunde wurde die Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen. Unter V. 2. a des Kaufvertrages ist vermerkt, der Grundbesitz sei verpachtet; der Pachtzins stehe ab 1. Dezember 1991 dem Käufer zu.

Der Verkäufer hatte bis zum 30. Juni 1990 die Gaststätte selbst betrieben und war danach bis Ende November 1990 als selbständiger Immobilienmakler tätig.

In seiner Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 1991 machte der Kläger die im Kaufvertrag gesondert ausgewiesene Steuer als abziehbaren Vorsteuerbetrag geltend. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA) verweigerte gemäß § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) den Abzug der im Kaufvertrag ausgewiesenen Vorsteuerbeträge insoweit, als diese auf die Lieferung des Grundstücks (d. h. ohne Inventar) entfielen. Gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 änderte das FA mit Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid vom 14. Juli 1992 die Umsatzsteuerfestsetzung entsprechend. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

Im Klageverfahren gegen diesen Bescheid äußerte der Berichterstatter des Senats des Finanzgerichts (FG) in dem an das FA gerichteten Schreiben vom 8. November 1994 Zweifel an der Unternehmereigenschaft des Verkäufers und bat um Mitteilung, ob und in welcher Weise der Verkäufer im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrages unternehmerisch tätig gewesen sei. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, dem das Schreiben an das FA zur Kenntnisnahme übersandt worden war, teilte dem FG durch Schreiben vom 8. Dezember 1994 mit, die Gaststätte sei vom Verkäufer verpachtet gewesen. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem FG trug der Prozeßbevollmächtigte des Klägers vor, der Verkäufer sei im Zeitpunkt des Grundstücksverkaufs durch die Verpachtung der Gaststätte Unternehmer gewesen.

Das FG wies die Klage mit folgender Begründung ab: Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers habe erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptet, der Verkäufer sei Unternehmer gewesen. Der Umstand der Verpachtung der Gaststätte sei jedoch nicht hinreichend konkretisiert worden, obwohl ein substantieller Sachvortrag möglich gewesen wäre. Bereits mit den Schreiben vom 19. September und 8. November 1994 habe der Berichterstatter des Senats die Beteiligten darauf hingewiesen, daß es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Unternehmereigenschaft des Verkäufers ankomme. Der Kläger hätte im Falle der Verpachtung im Besitz von Unterlagen sein müssen, die das angebliche Pachtverhältnis hätten belegen können. Jedenfalls müsse er den Namen des Pächters und den Zeitpunkt der Beendigung des Pachtverhältnisses gekannt haben. Hierzu habe der Prozeßbevollmächtigte des Klägers nichts Näheres vorgetragen. Bei dieser Sachlage hätten sich dem Senat weder weitere Ermittlungen noch -- mangels eines entsprechenden Antrags -- eine Vertagung der mündlichen Verhandlung aufgedrängt.

Das FG ließ es dahingestellt, ob der Verkäufer wirksam den Verzicht (§ 9 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG -- 1991) auf die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 9 a UStG 1991 erklärt habe und ob bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG 1991 der Abzug des Vorsteuerbetrags wegen Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO 1977 zu versagen gewesen wäre.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich der Kläger auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Abweichung des FG-Urteils von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). Außerdem macht der Kläger Verfahrensmängel geltend. Er rügt Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten, Verwertung von verfahrensfehlerhaft erlangten Auskünften, Übergehen seines Antrags auf Vertagung sowie mangelhafte Sachaufklärung.

Das FA hält eine weitere Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Die Revision war wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Die Rüge unzureichender Sachaufklärung ist wirksam erhoben, da sie gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichend bezeichnet ist.

a) Der Kläger rügt als Verfahrensmangel unzureichende Sachaufklärung und macht sinngemäß geltend, das FG hätte auch ohne Vorliegen eines Beweisantrags aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht den Sachverhalt näher aufklären müssen. In einem solchen Falle sind darzulegen:

-- die ermittlungsbedürftigen Tatsachen,

-- die nicht verwendeten Beweismittel sowie die entsprechenden Beweisthemen,

-- aufgrund welcher Anhaltspunkte im schriftsätzlichen Vorbringen oder sonst in den Akten des FG die Beweiserhebung sich dem FG hätte aufdrängen müssen,

-- das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme,

-- inwiefern das Urteil des FG aufgrund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann,

-- daß die Nichterhebung der Beweise vor dem FG rechtzeitig gerügt worden ist oder aufgrund des Verhaltens des FG nicht mehr vor diesem gerügt werden konnte.

b) Der Kläger hat diese Anforderungen ordnungsgemäßer Darlegung (gerade noch) hinreichend erfüllt.

Aus dem Gesamtzusammenhang seines Vorbringens ergibt sich, daß nach seiner Auffassung das FG sich den Pachtvertrag hätte vorlegen lassen müssen, um den ermittlungsbedürftigen Umstand der Verpachtung aufzuklären. Der Kläger weist diesbezüglich auf die Angabe im Kaufvertrag und auf seinen Schriftsatz vom 8. Dezember 1994 hin, um zu belegen, daß sich dem FG eine Beweiserhebung zur Frage der Verpachtung hätte aufdrängen müssen. Ferner legt der Kläger sinngemäß dar, daß nach Kenntnisnahme des Pachtvertrages durch das FG die Unternehmereigenschaft des Verkäufers hätte bejaht werden müssen und der Vorsteuerabzug nicht wegen fehlender Unternehmereigenschaft hätte versagt werden dürfen. Aus den Ausführungen des Klägers unter A. (Vorbemerkungen) ergibt sich, daß er nicht damit zu rechnen brauchte, das FG werde die Verpachtung bezweifeln und die Unternehmereigenschaft verneinen. Hieraus ergibt sich ferner konkludent die Darlegung, er habe das Unterlassen weiterer Sachaufklärung nicht rechtzeitig rügen können.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist aufgrund der Rüge unzureichender Sachaufklärung begründet.

Das FG hatte aufgrund der ihm vorliegenden Kaufvertragsurkunde sowie aufgrund des Vorbringens des Klägers im Schriftsatz vom 8. Dezember 1994 Hinweise auf die Verpachtung des Grundstücks durch den Verkäufer, die dessen Unternehmereigenschaft im Zeitpunkt der Grundstückslieferung begründet hätten. Für die Unternehmereigenschaft des Verkäufers sprach auch der Umstand, daß das FA den Vorsteuerabzug des Klägers nicht beanstandet hatte, soweit er auf der Lieferung des Inventars durch den Verkäufer beruhte. Das FA hatte erkennbar die Unternehmereigenschaft des Verkäufers zugrunde gelegt. Dem FG hätte sich deshalb aufdrängen müssen, die Frage der Verpachtung aufzuklären, indem es dem Kläger z. B. die Vorlage des -- auf ihn als Erwerber ggf. übergegangenen -- Pachtvertrages, die Vorlage von Unterlagen über die Zahlung des Pachtzinses oder die Benennung des Pächters aufgegeben hätte.

Die Amtsermittlungspflicht des FG war nicht bereits deshalb hinreichend erfüllt, weil der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung keine Einzelheiten zur Verpachtung vortragen konnte. Bevor das FG entgegen der Angabe im Kaufvertrag und der entsprechenden Behauptung des Klägers zum Ergebnis hätte kommen dürfen, die Gaststätte sei nicht verpachtet gewesen, hätte es dem Kläger aufgeben müssen, die Verpachtung nachzuweisen. Dies hat das FG nicht nur in der mündlichen Verhandlung, sondern auch in der Zeit davor versäumt.

In dem vom FG angeführten Schreiben des Berichterstatters vom 19. September 1994 an das FA bzw. an den Kläger ist die Verpachtung nicht erwähnt worden. Das Schreiben vom 8. November 1994, in dem die Frage nach der Unternehmereigenschaft des Verkäufers erstmals gestellt wurde, richtete sich nur an das FA. Dem Kläger ist demnach vor der mündlichen Verhandlung nicht aufgegeben worden, Einzelheiten zur Verpachtung vorzutragen.

Hätte das FG die Unternehmereigenschaft des Verkäufers bejaht, wäre die Klage nicht mit der vom FG gegebenen Begründung abgewiesen worden. Das Urteil des FG beruht demnach auf der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung.

Aus den Akten einschließlich des Protokolls der mündlichen Verhandlung ergibt sich kein Hinweis darauf, daß der Kläger hätte erkennen können, das FG werde ohne Beweisaufnahme zum Ergebnis gelangen, der Verkäufer habe die Gaststätte nicht verpachtet, und daß das FG die Klage wegen fehlender Unternehmereigenschaft des Verkäufers abweisen werde. Der Kläger war deshalb nicht in der Lage, die Nichterhebung der Beweise vor dem FG zu rügen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420863

BFH/NV 1996, 55

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