Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufwendungen eines Körperbehinderten für eine Begleitperson als außergewöhnliche Belastung

 

Leitsatz (NV)

Das BMF wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 FGO zum Beitritt aufgefordert und gebeten zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und in welcher Höhe Aufwendungen, die einem schwerstbehinderten Steuerpflichtigen anlässlich einer Urlaubsreise für eine Begleitperson entstehen, neben dem Körperbehindertenpauschbetrag als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.

 

Normenkette

EStG §§ 33, 33b

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg (EFG 1999, 70)

 

Tatbestand

I. Sachverhalt

Die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (1994) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger ist seit seiner Geburt an Körperspastik erkrankt, was dazu geführt hat, dass für ihn ein Grad der Behinderung von 100 % sowie die Merkmale G, aG und H festgestellt worden sind. Der Schwerbehindertenausweis enthält zudem den Hinweis: "Die Notwendigkeit ständiger Begleitung ist nachgewiesen." Für die Klägerin ist ein Grad der Behinderung von 80 v.H. sowie das Merkzeichen G festgestellt worden. In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger Aufwendungen für eine (fremde) Begleitperson bei Urlaubsreisen als außergewöhnliche Belastung geltend: …

Der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) lehnte den Abzug der Aufwendungen für die Begleitpersonen ab, da die Notwendigkeit der Reisen nicht durch ein amtsärztliches Attest vor Reisebeginn nachgewiesen worden sei. Das FA gewährte indessen den Pauschbetrag für auf fremde Hilfe angewiesene Behinderte gemäß § 33b Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 7 200 DM (Bescheid vom 8. Januar 1996). Das Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 70 veröffentlichten Urteil teilweise statt. Es war der Auffassung, die dem Kläger für eine Begleitperson entstandenen Kosten stellten eine außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG dar, die neben dem Pauschbetrag für Körperbehinderte (§ 33b Abs. 3 EStG) abzugsfähig sei. Kosten für eine Reisebegleitung erwüchsen einem auf fremde Hilfe angewiesenen Körperbehinderten in angemessener Höhe zwangsläufig. Als angemessen werde eine Urlaubsreise jährlich mit geschätzten Kosten für die Begleitperson von bis zu 3 000 DM angesehen.

Sowohl das FA als auch die Kläger haben gegen die Entscheidung des FG Revision eingelegt.

Das FA ist zum einen der Auffassung, den strittigen Aufwendungen fehle das für die Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung erforderliche Merkmal der Zwangsläufigkeit. Die Notwendigkeit einer Begleitung ergebe sich im Streitfall zwar aus der Schwere der Behinderung, maßgebliche Ursache für die zu beurteilenden Kosten sei jedoch der freie Entschluss der Kläger, eine Urlaubsreise zu unternehmen. Zudem seien die Aufwendungen für eine Begleitperson in den Fällen des § 33b Abs. 3 EStG mit dem Pauschbetrag abgegolten, weil mit diesem auch Aufwendungen für fremde Hilfe erfasst würden. Denn bei diesen Kosten handle es sich nicht um außerordentliche Kosten im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Hinweis auf die Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 11. Dezember 1987 III R 95/85, BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275, und vom 30. November 1966 VI 313/64, BFHE 88, 407, BStBl III 1967, 457). Hinsichtlich des vom FG als angemessen angesehenen Abzugsbetrages hat das FA keine Einwendungen erhoben.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger ebenfalls die Verletzung des § 33 EStG. Sie halten den vom FG zum Abzug zugelassenen Betrag für zu niedrig. Das FG habe unberücksichtigt gelassen, dass einem Schwerbehinderten gerade wegen seiner Behinderung höhere Aufwendungen bei einer Reise entstünden als dem durchschnittlichen Steuerpflichtigen, da ein schwerbehinderter Steuerpflichtiger auf behindertengerechte Ausstattung des Reisemittels, der Unterkunft und der Reiseveranstaltungen angewiesen sei, und dass für die Begleiter üblicherweise ein Honorar zu entrichten sei, da für sie die Reise Arbeitszeit bedeute. Solche Honorare bewegten sich schon allein in der Größenordnung von etwa 3 000 DM pro Monat. All dies zeige, dass Reisekosten für Begleitpersonen in Höhe von 12 000 DM pro Jahr angemessen und neben dem Pauschbetrag nach § 33b Abs. 3 EStG abzugsfähig seien.

 

Entscheidungsgründe

II. Rechtsfragen

Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer in bestimmter Weise ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse erwachsen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind krankheitsbedingte Maßnahmen und die dadurch veranlassten Aufwendungen stets aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, soweit sie entweder der Heilung dienen oder den Zweck verfolgen, die Krankheit erträglich zu machen (Urteil vom 18. Mai 1999 III R 46/97, BFHE 188, 566, BStBl II 1999, 761, m.w.N.). Abziehbar sind derartige Aufwendungen jedoch nur, soweit es sich um unmittelbare Krankheitskosten handelt. Dagegen sind Aufwendungen, die nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstehen, in der Regel nicht als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen (z.B. Urteile vom 20. März 1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596; vom 24. Oktober 1995 III R 106/93, BFHE 179, 93, BStBl II 1996, 88), weil sie entweder nicht außergewöhnlich i.S. des § 33 Abs. 1 EStG sind oder die nach § 33 Abs. 2 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen fehlt, der Steuerpflichtige diesen Aufwendungen also ausweichen kann.

Werden diese Grundsätze auf den Streitfall übertragen, neigt der Senat zu der Auffassung, Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen dadurch entstehen, dass er während einer Urlaubsreise infolge seiner schweren Behinderung auf ständige Begleitung angewiesen ist, ihrer Art nach noch den (unmittelbaren) Krankheitskosten zuzuordnen.

Werden die strittigen Aufwendungen als zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 2 EStG angesehen, stellt sich die weitere Frage, ob diese durch den Pauschbetrag für Körperbehinderte nach § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG abgegolten sind. Der erkennende Senat tendiert dazu, diese Frage zu verneinen. Er hat wiederholt entschieden (vgl. z.B. Urteile vom 15. November 1991 III R 30/88, BFHE 166, 159, BStBl II 1992, 179, und vom 26. März 1993 III R 9/92, BFHE 171, 428, BStBl II 1993, 749, 751), dass neben dem Körperbehinderten-Pauschbetrag nach § 33b EStG, der als Vereinfachungsregelung zur Abgeltung laufender und typischer, unmittelbar mit der Behinderung zusammenhängender Kosten als außergewöhnliche Belastung ohne Einzelnachweis dient, unter bestimmten Voraussetzungen gewisse mit der Körperbehinderung zusammenhängende Aufwendungen nach § 33 EStG zusätzlich zum Abzug zuzulassen sind. Dazu gehören Kfz-Aufwendungen Schwerkörperbehinderter, die in ihrer Geh- und Stehfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, sowie außerordentliche Kosten, die zwar mit der Körperbehinderung zusammenhängen, sich aber infolge ihrer Einmaligkeit der Typisierung des § 33b EStG entziehen, wie z.B. Kosten einer Operation (BFH-Urteil in BFHE 88, 407, BStBl III 1967, 457) oder Aufwendungen für eine Heilkur (BFH-Urteil in BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275).

Da Kosten für die Reisebegleitung eines Körperbehinderten jedoch nur dann und insoweit als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen wären, als sie nicht außerhalb des Rahmens des Angemessenen liegen, stellt sich dann die Frage, bei welchem Betrag die Angemessenheitsgrenze zu ziehen ist. Der Senat ist wie das FG der Ansicht, dass die Bestimmung angemessener Aufwendungen nur im Schätzungswege möglich ist, und hält die Zugrundelegung eines Durchschnittsfalles, losgelöst von individuellen Faktoren, für sachgerecht. Dabei ist aber zu beachten, dass neben den durchschnittlichen Kosten für einen jährlichen Urlaub (Fahrt, Unterbringung und Verpflegung) möglicherweise auch Lohnkosten für die Begleitperson anfallen können.

III. Beitritt des Bundesministeriums der Finanzen (BMF)

Der Senat hält es u.a. im Hinblick auf die haushaltsmäßigen Auswirkungen einer erweiternden Rechtsprechung für wünschenswert, dass das BMF nach § 122 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Revisionsverfahren beitritt und zu den aufgeworfenen entscheidungserheblichen Fragen Stellung nimmt.

Die Stellungnahme sollte insbesondere auf die folgenden Fragen eingehen:

1. Welche Aufwendungen wollte der Gesetzgeber durch den Pauschbetrag nach § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG abgelten?

Auf welchen Erfahrungswerten beruht die Bemessung des Pauschbetrages und ist ggf. eine betragsmäßige Anpassung geplant?

2. Sind dem BMF, ggf. auch dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Erfahrungswerte zur Höhe der durchschnittlichen Aufwendungen für die Begleitung von Schwerbehinderten anlässlich von Kur- oder Erholungsreisen bekannt? In welcher Höhe wird Betreuern durchschnittlich ein Arbeitsentgelt gewährt und in welcher Höhe können Schwerbehinderte zusätzliche Hilfen bzw. Zuschüsse aus Anlass von Reisen ggf. erhalten?

3. Nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes für das frühere Bundesgebiet zu den durchschnittlichen Aufwendungen privater Haushalte für den Urlaub (vgl. Statistisches Jahrbuch 1998, 550 ff.) lagen diese für das Streitjahr 1994 bei einem Vier-Personen-Haushalt mit höherem Einkommen (Haushaltstyp 3) bei insgesamt 4 452 DM und damit pro Person erheblich unter dem vom FG geschätzten Betrag. Können aus diesen statistischen Angaben Anhaltspunkte für die Angemessenheit von Aufwendungen der hier streitigen Art abgeleitet werden?

4. Schließlich wären Erfahrungswerte hilfreich zur durchschnittlichen Häufigkeit und Dauer von Urlaubsreisen der Steuerpflichtigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 604599

BFH/NV 2001, 1261

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