Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage an den EuGH: Umsatzsteuerrechtliche Behandlung der vermögensverwaltenden Tätigkeit von Gemeinden, unmittelbare Wirkung von begünstigendem und zugleich belastendem Gemeinschaftsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Erlaubt Art. 4 Abs. 5 Unterabsatz 4 der Richtlinie 77/388/EWG den Mitgliedstaaten, steuerbefreite Tätigkeiten, für deren Besteuerung aber optiert werden kann, bei Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, obgleich sie sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen und in gleicher Weise ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer?

2. Falls die erste Frage zu verneinen ist: Kann der Umfang des Optionsrechts zur Besteuerung nach Maßgabe des Art. 13 Teil C Absatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG in der Weise eingeschränkt werden, daß Tätigkeiten i.S. des Art. 13 Teil C Absatz 1 der Richtlinie 77/388/EWG nur unter bestimmten Voraussetzungen als unternehmerische Tätigkeiten behandelt werden, wenn sie von Einrichtungen des öffentlichen Rechts ausgeübt werden?

3. Falls auch diese Frage zu verneinen ist: Kann eine Einrichtung des öffentlichen Rechts sich auch dann unmittelbar auf Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG berufen, um sich der Anwendung einer nationalen Vorschrift zu widersetzen, wenn sich die Anwendung dieser Richtlinienregelung zwar mittelbar über den Vorsteuerabzug begünstigend, im übrigen aber belastend auswirkt?

 

Normenkette

UStG 1980 § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1; KStG 1984 § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 4; EWGRL 388/77 Art. 4 Abs. 5, Art. 13 Teil B Buchst. b, Art. 13 Teil C Abs. 2, Art. 17; EGVtr Art. 177 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG München (Entscheidung vom 17.02.1994; Aktenzeichen 14 K 2942/92)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Gemeinde. Sie war Eigentümerin eines Gebäudes, das sie bis März 1989 zur Nutzung als Gaststätte an eine Brauerei verpachtete. Im Anschluß daran wurde das Gebäude abgerissen.

Im Jahre 1987 hatte die Klägerin auf demselben Gelände mit dem Neubau eines Gebäudes begonnen, das im Juli 1989 bezugsfertig wurde. Keller- und Erd- sowie ein Teil des Dachgeschosses dieses Gebäudes dienen ebenfalls dem Betrieb einer Gaststätte; das Ober- sowie das restliche Dachgeschoß werden zu Wohnzwecken genutzt. Der Anteil der Gaststätte beläuft sich auf 63,74 v.H. Die Klägerin ließ die für den Gaststättenbetrieb erforderlichen Abluftleitungen verlegen, die Sanitärräume ausstatten und die Leuchtreklame an der Außenwand des Gebäudes anbringen. Dagegen wurde das Gaststätteninventar (Herde, Maschinen, Dunstabzugshauben, Möblierung, Geschirr) nicht von ihr beschafft.

Im Februar 1989 schloß die Klägerin als Verpächterin mit einer Brauerei als Pächterin mit Wirkung vom Juli 1989 einen Pachtvertrag über den gesamten Neubau zum Betrieb einer Gaststätte einschließlich einer Wohnung für den Wirt zu einem Pachtzins von monatlich 1 200 DM für die Gaststätte und weiteren 300 DM für die Wohnung, jeweils zuzüglich Nebenkosten und Umsatzsteuer.

Die Klägerin verzichtete nach § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 auf die Steuerbefreiung der Verpachtungsumsätze gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 und machte für die Streitjahre (1988 und 1989) die auf die Kosten für die Errichtung des Neubaus entfallende Umsatzsteuer, soweit sie die Gaststätte betraf, als Vorsteuer geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dem nicht. Er vertrat die Auffassung, die Verpachtung der Gaststätte in dem Neubau sei kein Betrieb gewerblicher Art, weil die Klägerin das erforderliche Gaststätteninventar nicht mitverpachtet habe. Sie sei deshalb nach § 2 Abs. 3 UStG 1980 nicht unternehmerisch tätig geworden. Dementsprechend setzte das FA die Umsatzsteuer fest.

Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage durch das in EFG 1994, 767 wiedergegebene Urteil statt. Es entschied, die Klägerin sei unternehmerisch tätig geworden. Zwar folge aus § 2 Abs. 3 UStG 1980, daß juristische Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art gewerblich oder beruflich tätig seien. Als Betrieb gewerblicher Art gelte nach § 4 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1984 auch die Verpachtung eines Betriebes, allgemeiner Auffassung nach allerdings nur dann, wenn bei größerem Einrichtungsbedarf das Inventar vom Verpächter beschafft und dem Pächter zur Nutzung überlassen werde. Ansonsten handele es sich um Vermögensverwaltung. § 2 Abs. 3 UStG 1980 werde aber von Art. 4 Abs. 1, 2 und 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) verdrängt. Danach sei --abweichend von § 2 Abs. 3 UStG 1980 und mit dieser Vorschrift unvereinbar-- nicht an Gegenstand und inhaltliche Ausgestaltung der fraglichen Tätigkeit anzuknüpfen, sondern an die Form des Auftretens; verneint werde die Unternehmereigenschaft ausnahmsweise nur dann, wenn die Einrichtung des öffentlichen Rechts im Rahmen der öffentlichen Gewalt auftrete. Da die Klägerin im Streitfall dem Pächter gegenüber nicht hoheitlich, sondern privatwirtschaftlich aufgetreten sei, sei sie folglich Unternehmerin. Sie könne sich unmittelbar auf die Richtlinie 77/388/EWG berufen: Einerseits habe der deutsche Gesetzgeber diese nicht in gemeinschaftsrechtskonformer Weise in nationales Recht umgesetzt. Andererseits sei sie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin stellt keinen ausdrücklichen Antrag, hält ihren bisherigen Standpunkt aber unter Hinweis auf das FG-Urteil aufrecht.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ist nach Art. 177 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) geboten. Sie dient der Klärung der vorgelegten entscheidungserheblichen Rechtsfragen.

1. Ein Unternehmer kann die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980).

Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980). Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 sind allerdings juristische Personen des öffentlichen Rechts (zu ihnen gehören auch Gemeinden als Gebietskörperschaften und damit die Klägerin) nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG) und ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig.

2. a) Im Streitfall erfüllt die Klägerin mit der Verpachtung der Gaststätte nur deshalb nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG 1980, weil sie keinen Betrieb gewerblicher Art unterhält. Zwar gilt nach § 4 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 KStG 1984 als Betrieb gewerblicher Art auch die Verpachtung eines solchen Betriebes. Allgemeinem nationalem Verständnis nach, das auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) zurückgeht (z.B. RFH-Urteil vom 25. Januar 1944 I 191/43, RStBl 1945, 42; Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Juli 1964 I 136/62 U, BFHE 80, 235, BStBl III 1964, 559; vom 5. Juli 1972 I R 83/70, BFHE 106, 215, BStBl II 1972, 776; vom 13. März 1974 I R 7/71, BFHE 112, 61, BStBl II 1974, 391; vom 6. Oktober 1976 I R 115/75, BFHE 120, 355, BStBl II 1977, 94; vom 2. März 1983 I R 100/79, BFHE 138, 66, BStBl II 1983, 386; Streck, Körperschaftsteuergesetz, 3. Aufl., § 4 Anm. 19; Birkenfeld, Das Große Umsatzsteuer-Handbuch, I Rdnr.281; Ramme in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz --Mehrwertsteuer--, Kommentar, 6. Aufl., § 2 Abs. 3 Anm. 61; s. auch Abschn. 5 Abs. 6 der Körperschaftsteuer-Richtlinien --KStR--), ist die Verpachtung eines Betriebes i.S. des § 4 Abs. 4 KStG 1984 jedoch nur dann anzunehmen, wenn das Pachtverhältnis Umstände aufweist, die die Teilhabe des Verpächters (Gemeinde) am gewerblichen Leben und damit seine Mitwirkung bei der Betriebsgestaltung des Pächters erkennen lassen. Ist zur Betriebsführung größeres Inventar erforderlich, bedarf es deshalb der Mitverpachtung von Inventarstücken. Werden --wie im Streitfall-- allein Räume verpachtet, handelt es sich hingegen um bloße Vermögensverwaltung mit Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. Dies gilt wegen der eindeutigen Bezugnahme in § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 auf die Regelungen in § 4 KStG 1984 nach deutschem Recht grundsätzlich auch für das Umsatzsteuerrecht (vgl. BFH-Urteil vom 11. Januar 1979 V R 26/74, BFHE 127, 83, BStBl II 1979, 746; Reiß, UR 1994, 388, 389; s. auch Seer, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1992, 1790, 1792; zweifelnd Klenk, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 1993, 116).

b) Die Beschränkung der Unternehmereigenschaft der juristischen Personen des öffentlichen Rechts infolge der Anknüpfung an den Betrieb gewerblicher Art des KStG in § 2 Abs. 3 UStG 1980 verstößt gegen Gemeinschaftsrecht. Nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG gelten u.a. Gemeinden nicht als Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Wie hierzu der EuGH entschieden hat (Urteile vom 17. Oktober 1989 Rs. 231/87 und 129/88, EuGHE 1989, 3233, 3276; vom 15. Mai 1990 Rs. C-4/89, EuGHE 1990, 1869, 1886), handelt es sich bei den Tätigkeiten "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" im Sinne dieser Vorschrift um Tätigkeiten, die die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausüben; ausgenommen sind die Tätigkeiten, die sie unter den gleichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer. Es kommt sonach nicht darauf an, ob es sich um eine der Körperschaft des öffentlichen Rechts "eigentümliche und ihr vorbehaltene" (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juni 1988 V R 79/84, BFHE 154, 192, BStBl II 1988, 910 m.w.N.), also um eine hoheitliche Tätigkeit handelt. Ausschlaggebend ist vielmehr, in welcher Weise sie tätig wird. Unterliegen ihre Leistungen nicht den Regelungen des Zivilrechts, sind sie (sofern sie --wie im Streitfall-- nicht unter die Ausnahmen von Art. 4 Abs. 5 Unterabsätze 2 und 3 der Richtlinie 77/388/EWG fallen) nicht steuerbar. Angesichts dessen ist es für die Unternehmereigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts unbeachtlich, ob deren Leistungen im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art oder im Rahmen einer Vermögensverwaltung erbracht werden.

Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 ist wegen des klaren Wortlauts nicht möglich (vgl. Reiß, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1994, 323, 324); die Vorschrift ist vielmehr gemeinschaftsrechtswidrig (vgl. auch Wagner in Umsatzsteuer in nationaler und europäischer Sicht, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft --DStJG--, Band 13 --1990--, S.58, 72; derselbe, UR 1993, 301, 303; offenbar auch Widmann, UR 1994, 317; Reiß, UR 1994, 388, 389 f.; Ramme, UR 1991, 80; s. auch BFH-Beschluß vom 16. Dezember 1992 V B 74/92, BFH/NV 1993, 696; offengelassen in BFH-Urteil vom 10. Dezember 1992 V R 3/88, BFHE 170, 277, BStBl II 1993, 380).

Der erkennende Senat hat jedoch den Anwendungsvorrang der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu beachten. Dies schließt es ein, erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt zu lassen (vgl. EuGH-Urteile vom 9. März 1978 Rs. 106/77, EuGHE 1978, 629; vom 11. Juli 1989 Rs. 170/88, EuGHE 1989, 2305; s. auch Reiß, StuW 1994, 323, 325 ff., allerdings eingeschränkt auf den --hier vorliegenden-- Fall einer entsprechenden Feststellung des entgegenstehenden Gemeinschaftsrechts durch den EuGH).

3. Nach Auffassung des Senats hängt die Nichtanwendung des § 2 Abs. 3 UStG 1980 mit der Folge des Verzichts auf die Steuerbefreiung der Verpachtungsumsätze (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980, § 9 UStG 1980) und des Abzugs der geltend gemachten Vorsteuerbeträge (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980) allerdings von der Auslegung weiterer Vorschriften der Richtlinie 77/388/EWG ab.

a) Nach Art. 4 Abs. 5 Unterabsatz 4 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten die Tätigkeiten von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der Richtlinie von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Eine entsprechende gesetzliche Regelung ist im UStG 1980 ausdrücklich nicht enthalten. Sie könnte sich aber mittelbar daraus ergeben, daß § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 nur jene Einrichtung des öffentlichen Rechts zum Unternehmer bestimmt, die einen Betrieb gewerblicher Art (nach Maßgabe des § 4 KStG 1984) unterhält. Dies könnte wiederum zur Konsequenz haben, daß die Tätigkeit der Einrichtung des öffentlichen Rechts, die diese Voraussetzungen nicht erfüllt, im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt wird (vgl. Klenk in Sölch/ Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, 5. Aufl., § 2 Bem.103; anders wohl Wagner in DStJG, Band 13 --1990--, S.58, 72 Fußnote 45).

Dabei ist zu berücksichtigen, daß Art. 4 Abs. 5 Unterabsatz 4 der Richtlinie 77/388/EWG die Gleichbehandlung der von Einrichtungen des öffentlichen Rechts ausgeführten, nach Art. 4 Abs. 5 Unterabsatz 1 der Richtlinie 77/388/EWG nichtsteuerbaren Umsätze mit solchen Umsätzen dieser Einrichtungen bezweckt, die zwar nicht im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeführt werden, die aber nach Maßgabe von Art. 13 der Richtlinie steuerbefreit sind (zum Verhältnis von Art. 4 Abs. 5 und Art. 13 der Richtlinie s. auch EuGH-Urteil vom 11. Juli 1985 Rs. 107/84, EuGHE 1985, 2655, 2667). Diese Gleichbehandlung wirft keine Probleme auf, wenn auf die Steuerbefreiung nicht verzichtet werden kann. Bei verzichtbaren Befreiungen ist sie aber nicht zweifelsfrei. Werden steuerbefreite Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts unter solchen Umständen als Tätigkeiten behandelt, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, werden sie gegenüber privaten Wirtschaftsteilnehmern benachteiligt. Letztere können --bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen-- auf die Steuerbefreiung verzichten, die Einrichtung des öffentlichen Rechts jedoch nicht. Diese unterschiedlichen Rechtsfolgen könnten mit der Regelung in Art. 4 Abs. 5 Unterabsatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG kollidieren, wonach auch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, als Steuerpflichtige gelten, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Angesichts dieser Unklarheiten legt der Senat dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Erlaubt Art. 4 Abs. 5 Unterabsatz 4 der Richtlinie 77/388/EWG den Mitgliedstaaten, steuerbefreite Tätigkeiten, für deren Besteuerung aber optiert werden kann, bei Einrichtungen des öffentlichen Rechts als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, obgleich sie sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen und in gleicher Weise ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer?

b) Auch dann, wenn die vorgenannte Frage zu verneinen wäre, bliebe offen, ob der Klägerin der begehrte Vorsteuerabzug zustünde. Das Recht hierzu folgt nicht aus § 2 Abs. 3 Satz 1, sondern aus § 15 Abs. 1 UStG 1980. Es setzt den Verzicht nach § 9 UStG 1980 auf die in § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 bestimmte Steuerfreiheit für Vermietungs- und Verpachtungsleistungen voraus. Der Verzicht wiederum ist davon abhängig, daß es sich bei dem Leistenden um einen Unternehmer handelt. Der Umstand, daß eine Gemeinde nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 4 KStG 1984 wegen des Fehlens eines Betriebes gewerblicher Art nicht als Unternehmerin angesehen wird, ist also lediglich eine Voraussetzung dafür, daß sie nicht gemäß § 9 Abs. 1 UStG 1980 auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 verzichten kann.

Unter diesem Gesichtspunkt könnte § 2 Abs. 3 UStG 1980 durch Art. 13 Teil C Absatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG gedeckt sein. Art. 13 Teil C Absatz 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG beläßt den Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit, ihren Steuerpflichtigen das Recht einzuräumen, bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken auf die Steuerbefreiung (Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie) zu verzichten und hierdurch den Vorsteuerabzug zu erwirken (Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie). Die Mitgliedstaaten können den Umfang des Optionsrechts zur Besteuerung aber beschränken und die Modalitäten seiner Ausübung bestimmen (Art. 13 Teil C Absatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG). Dies ist nach deutschem Recht im Ergebnis dadurch geschehen, daß der Körperschaft des öffentlichen Rechts, die ein Grundstück vermietet oder verpachtet, nach § 2 Abs. 3 UStG 1980 keine Unternehmereigenschaft zukommt (ebenso Reiß, UR 1994, 388, 390; derselbe, StuW 1994, 323, 325). Bedenken dagegen bestehen nicht zuletzt deshalb, weil § 2 Abs. 3 UStG 1980 gemeinschaftsrechtswidrig ist (vgl. oben unter 2. b).

Der Senat legt deshalb dem EuGH die folgende --zweite-- Frage vor, die entscheidungserheblich ist, falls die erste Frage zu verneinen wäre:

Kann der Umfang des Optionsrechts zur Besteuerung nach Maßgabe des Art. 13 Teil C Absatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG in der Weise eingeschränkt werden, daß Tätigkeiten i.S. des Art. 13 Teil C Absatz 1 der Richtlinie 77/388/EWG nur unter bestimmten Voraussetzungen als unternehmerische Tätigkeiten behandelt werden, wenn sie von Einrichtungen des öffentlichen Rechts ausgeübt werden?

4. Sind die beiden vorstehenden Fragen zu verneinen, bleibt zweifelhaft, ob die Klägerin sich angesichts der in § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 richtlinienwidrig angeordneten Nichtsteuerbarkeit der von ihr getätigten Verpachtungsleistungen unmittelbar auf Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann. Zwar steht das Recht, sich unmittelbar auf sie begünstigende Bestimmungen der Richtlinie zu berufen, auch Einrichtungen des öffentlichen Rechts zu (EuGH-Urteile in EuGHE 1989, 3233, 3279 f.; in EuGHE 1990, 1869). Die von der Klägerin begehrte Gewährung des Vorsteuerabzugs setzt jedoch --gleichsam als Kehrseite-- die Besteuerung der Vermietungsumsätze voraus. Bedenken gegenüber der unmittelbaren Anwendung der Richtlinie können hier deshalb bestehen, weil ihr gleichzeitig begünstigende als auch belastende Wirkung zukommt.

Der EuGH hat solche Bedenken verneint, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Willen bekundet habe, die Begünstigung in Anspruch zu nehmen und im übrigen die Konsequenzen seiner Entscheidung zu tragen (Urteil vom 19. Januar 1982 Rs. 8/81, EuGHE 1982, 53, 75 f.). In jener Entscheidung ging es um den --im Hinblick auf den Streitfall umgekehrten-- Sachverhalt, daß der Steuerpflichtige die Steuerfreiheit der von ihm getätigten Umsätze begehrte, wodurch zugleich der Vorsteuerabzug ausgeschlossen wurde. Vergleichbare Sachverhalte lagen im Ergebnis den EuGH-Urteilen in EuGHE 1989, 3233; in EuGHE 1990, 1869 zugrunde. Im Schrifttum (Reiß, StuW 1994, 323, 324 f.) wird die (formale) Fortgeltung der vom deutschen Gesetzgeber angeordneten Nichtsteuerbarkeit von Verpachtungsleistungen in § 2 Abs. 3 UStG 1980 auch dann bejaht, wenn diese Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Beruft sich die Klägerin nicht im Streitjahr, sondern in den Folgejahren darauf, mit ihren Verpachtungsleistungen keinen Betrieb gewerblicher Art zu unterhalten und mithin nicht gewerblich tätig zu sein, könnte sie hiernach nicht ohne weiteres contra legem als Unternehmerin angesehen werden; § 2 Abs. 3 UStG 1980 wäre anzuwenden. Eine Berechtigung für das erkennende Gericht, sich dann über die begünstigende nationale Regelung zu Lasten des Steuerpflichtigen hinwegzusetzen, könnte sich allenfalls aus der oben unter 2. b herausgestellten Verpflichtung ergeben, der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht Vorrang einzuräumen.

Der Senat hält deshalb die Vorabentscheidung des EuGH über folgende weitere Frage für erforderlich:

Kann eine Einrichtung des öffentlichen Rechts sich auch dann unmittelbar auf Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG berufen, um sich der Anwendung einer nationalen Vorschrift zu widersetzen, wenn sich die Anwendung dieser Richtlinienregelung zwar mittelbar über den Vorsteuerabzug begünstigend, im übrigen aber belastend auswirkt?

 

Fundstellen

Haufe-Index 420655

BFH/NV 1995, 77

BFHE 177, 534

BFHE 1996, 534

BB 1995, 2149

BB 1995, 2149-2151 (LT)

DStR 1995, 1266-1268 (KT)

DStZ 1995, 765 (L)

HFR 1995, 738-740 (LT)

StE 1995, 497 (K)

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