Leitsatz (amtlich)

Eine Beeinträchtigung der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung gewährt nur dann einen Revisionsgrund, wenn die Beeinträchtigung auf den Willen des Gerichts zurückzuführen ist.

 

Orientierungssatz

1. Will der Kläger in der Hauptsache eine Zurückverweisung des Verfahrens an das FG erreichen, ist für den beim BFH gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ein Aussetzungsgrund nur gegeben, wenn es vermutlich zur Zurückverweisung kommt und in der Sache Erfolgsaussichten im dann fortgesetzten Klageverfahren bestehen (vgl. BFH-Beschluß vom 21.11.1973 I S 8/73).

2. Ist die Zugangstür zu dem Gang, der zu dem Sitzungssaal des Gerichts führt, durch einen untergelegten Holzkeil geöffnet gewesen und hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers diesen Keil eigenmächtig entfernt, ist der Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens nur dann verletzt worden, wenn die Zugangstür nur noch mit einem Schlüssel zu öffnen war und das Gericht dies bemerkt hat oder dies bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bemerken können (vgl. Rechtsprechung: BGH, BVerwG).

 

Normenkette

FGO §§ 52, 119 Nr. 5; GVG § 169; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, bei der mündlichen Verhandlung vor dem FG seien die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden. Die Verhandlung habe im Sitzungssaal im III. Obergeschoß eines Gebäudes stattgefunden. Zum Sitzungssaal und den Nebenräumen gelange man über einen Gang, der vom Treppenhaus abgehe. Die Zugangstür zu diesem Gang sei durch einen untergelegten Holzkeil geöffnet gewesen. Da es auf dem Gang zugig gewesen sei, habe ihr Prozeßbevollmächtigter vor Beginn der Verhandlung den Holzkeil entfernt; die Zugangstür sei danach nur mit einem Schlüssel zu öffnen gewesen. So sei es auch während und nach der Verhandlung gewesen.

Die Klägerin hat beim Revisionsgericht beantragt, die Vollziehung der Prüfungsanordnung auszusetzen; das FA habe einen solchen Antrag abgelehnt.

 

Entscheidungsgründe

Dem Antrag der Klägerin kann nicht entsprochen werden.

Nach § 69 Abs.3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann auch das Revisionsgericht als Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Hierbei sind jedoch die Besonderheiten des Revisionsverfahrens zu beachten. Deswegen ist ein Aussetzungsgrund nur gegeben, wenn auch unter Beachtung der nur beschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts ernstlich mit der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts zu rechnen ist. Dem Vortrag der Klägerin in der Hauptsache läßt sich entnehmen, daß sie die Zurückverweisung des Verfahrens an das FG erreichen will. In diesem Fall ist ein Aussetzungsgrund nur gegeben, wenn es vermutlich zur Zurückverweisung kommt und in der Sache Erfolgsaussichten im dann fortgesetzten Klageverfahren bestehen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21.November 1973 I S 8/73, BFHE 110, 498, BStBl II 1974, 114). Im Streitfall ist mit einer Zurückverweisung der Sache an das FG nicht zu rechnen.

Die Klägerin macht in der Hauptsache einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 119 Nr.5 FGO geltend. Dieser ist nach ihrem Vortrag aber tatsächlich nicht gegeben.

Nach § 52 FGO i.V.m. § 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes ist die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht öffentlich. Dies bedeutet, daß beliebige Zuhörer die Möglichkeit des Zutritts haben. War die Zugangstür zum Flur verschlossen, der in den Gerichtssaal führte, so war der Zutritt für Zuhörer beeinträchtigt und die Öffentlichkeit nicht gewahrt. Darin liegt jedoch nur dann ein Revisionsgrund, wenn die Beschränkung der Öffentlichkeit auf den Willen des Gerichts zurückzuführen ist, sei es, daß dieses durch eigene Anordnung die Beschränkung veranlaßt hat, sei es, daß das Gericht es unterließ, eine bestehende und ihm bekanntwerdende Beschränkung durch rechtzeitiges Eingreifen zu beseitigen (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 18.Dezember 1968 3 StR 297/68, BGHSt 22, 297). Ein gesetzwidriger Ausschluß der Öffentlichkeit, der auf ein eigenmächtiges Verhalten anderer Personen zurückgeht und von dem das Gericht keine Kenntnis erhielt, enthält dagegen keinen Revisionsgrund (BGH-Urteil vom 10.Juni 1966 4 StR 72/66, BGHSt 21, 72; BGHSt 22, 297). Deswegen verletzt das versehentliche Schließen der Eingangstür zum Gerichtsgebäude und die dadurch verursachte Behinderung des Zugangs zur mündlichen Verhandlung den Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens nur dann, wenn das Gericht dies bemerkt hat oder dies bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bemerken können (BGHSt 21, 72; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.Januar 1984 9 CB 444/81, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1985, 47).

Im Streitfall waren durch Öffnung der Zugangstür mittels untergelegtem Holzkeil die nötigen Vorkehrungen zur Wahrung der Öffentlichkeit der Verhandlung getroffen. Erst durch das eigenmächtige Handeln des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ist der Zugang zum Gerichtssaal behindert worden. Daß das Gericht diese Behinderung bemerkt habe oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bemerken können, ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61009

BStBl II 1985, 551

BFHE 143, 487

BFHE 1985, 487

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