Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassung der Beschwerde gegen die Entscheidung über einstweilige Anordnung

 

Leitsatz (NV)

1. Trotz beiderseitiger Erledigungserklärung des Rechtsstreits in der Hauptsache im Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung des FG über eine einstweilige Anordnung tritt die Erledigung nicht ein, wenn die Beschwerde nicht statthaft oder sonst nicht zulässig ist.

2. Nur das FG, nicht aber der BFH, hat darüber zu befinden, ob die Beschwerde gegen die Entscheidung über eine einstweilige Anordnung zuzulassen ist. Die Maßstäbe für die Entscheidung über die Zulassung sind dem § 115 Abs. 2 FGO zu entnehmen.

3. Die Beschwerde kann auch im Rahmen der Rechtsmittelbelehrung zugelassen werden; dabei muß jedoch die Absicht des FG, die Beschwerde zulassen zu wollen, deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Mit der Formulierung "Gegen den Beschluß wegen einstweiliger Anordnung steht den Beteiligten die Beschwerde zu" wird die erforderliche Zulassungsentscheidung nicht getroffen. Es handelt sich dabei lediglich um eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung.

 

Normenkette

FGO §§ 114, 115 Abs. 2, § 128 Abs. 3, § 130 Abs. 1, § 138 Abs. 1; GKG § 8 Abs. 1

 

Tatbestand

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Finanzgericht (FG) den Antrag des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus Einkommensteuerbescheiden wegen Fehlens eines Anordnungsanspruchs gemäß § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) abgewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung heißt es u. a.: "Gegen den Beschluß wegen einstweiliger Anordnung steht den Beteiligten die Beschwerde zu." Der Antragsteller legte dementsprechend Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat. Nachdem der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) im Laufe des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesfinanzhof (BFH) Aussetzung der Vollziehung der betreffenden Einkommensteuerbescheide gewährt hatte, erklärten die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragten jeweils, dem Gegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (§ 138 Abs. 1 FGO).

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist ungeachtet der beiderseitigen Erledigungserklärungen als unzulässig zu verwerfen, da die Beschwerde mangels Zulassung durch das FG nicht statthaft ist (§ 128 Abs. 3, § 132 FGO).

1. Beiderseitige Erledigungserklärungen, die sich, wie im Streitfall, nicht auf das Rechtsmittelverfahren beschränken, sind zwar auch in der Beschwerdeinstanz möglich und zulässig, doch tritt die verfahrensrechtliche Wirkung -- die aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen anzunehmende Erledigung des gesamten Rechtsstreits (§ 138 Abs. 1 FGO) -- nur ein, wenn die Beschwerde statthaft und zulässig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. die Senatsbeschlüsse vom 26. Januar 1971 VII B 137/69, BFHE 101, 209, BStBl II 1971, 306 -- Beschwerde --, und vom 16. März 1989 VII R 82/88, BFHE 156, 79, BStBl II 1989, 569 -- Revision --; s. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 138 Rz. 18 b m. w. N.). Hier ist die Beschwerde mangels Zulassung durch das FG bereits nicht statthaft.

2. Nach § 128 Abs. 3 FGO steht den Beteiligten gegen die Entscheidung des FG über eine einstweilige Anordnung nach § 114 Abs. 1 FGO die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Für die Zulassung gilt § 115 Abs. 2 FGO entsprechend.

Der angefochtene Beschluß des FG enthält keine Ausführungen über die Zulassung der Beschwerde wegen einer oder mehrerer der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Zulassungsgründe. Die Beschwerde ist deshalb nicht statthaft.

Für die Zulassung der Beschwerde nach § 128 Abs. 3 FGO ist im Gesetz keine besondere Form vorgeschrieben. Nach der Rechtsprechung des BFH zur Zulassung der Revision durch das FG (§ 115 Abs. 1 und 2 FGO) muß die Zulassung nicht ausdrücklich in die Urteilsformel aufgenommen werden, auch wenn dies im Hinblick auf die Rechtsklarheit erwünscht ist. Vielmehr genügt es, wenn die Zulassung des Rechtsmittels etwa durch Hinweis auf den Zulassungsgrund oder die gesetzliche Bestimmung erkennbar aus den Urteilsgründen hervorgeht (BFH-Urteile vom 24. November 1964 VII 237/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1965, 130; vom 12. Februar 1965 VI 96/64, HFR 1965, 557, und vom 5. November 1971 VI R 284/69, BFHE 103, 477, BStBl II 1972, 139).

Unter besonderen Voraussetzungen kann auch ein in der Rechtsmittelbelehrung des FG-Urteils enthaltener ausdrücklicher Ausspruch, daß die Revision zulässig sei, als Revisionszulassung anerkannt werden (BFH-Beschluß vom 12. April 1967 VI R 321/66, BFHE 88, 361, BStBl III 1967, 396). Da die Zulassung jedoch stets ausdrücklich durch besondere Entscheidung erfolgen muß, reicht es nicht aus, daß eine Rechtsmittelbelehrung lediglich von der Zulässigkeit der Revision gegen das Urteil des FG ausgeht und nicht zu erkennen gibt, daß mit ihr selbst die Revision durch besondere Entscheidung aus einem der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe zugelassen wird. Eine Rechtsmittelbelehrung, nach der -- ohne Hinweis auf die besondere Entscheidung über die Zulassung -- die Revision als zulässig behandelt wird, kann nur als unrichtige Rechtsmittelbelehrung verstanden werden. Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung führt aber nicht dazu, daß ein nach dem Gesetz nicht zulässiges Rechtsmittel als zulässig zu behandeln ist (Urteil in HFR 1965, 130, und BFH-Urteil vom 3. September 1964 II 106/64, HFR 1965, 73; ständige Rechtsprechung).

Die vorstehenden, für die Zulassung der Revision entwickelten Grundsätze hat der BFH in ständiger Rechtsprechung auf die Zulassung der Beschwerde gegen den die Aussetzung der Vollziehung ablehnenden Beschluß des FG nach § 69 Abs. 3 FGO aufgrund des bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) entsprechend angewandt (vgl. die Beschlüsse vom 3. Dezember 1985 VII B 65/85, BFH/NV 1986, 419; vom 23. Juni 1987 VIII B 212/86, BFHE 150, 114, BStBl II 1987, 635, und vom 27. Juli 1992 VIII B 100/91, BFH/NV 1993, 113, 114). Nach der Neufassung des § 128 Abs. 3 FGO durch Art. 1 Nr. 32 des FGO-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2109), der die Regelung des Art. 1 Nr. 3 BFHEntlG in die FGO übernommen und sie auf die Entscheidungen über einstweilige Anordnungen nach § 114 Abs. 1 FGO ausgedehnt hat, gelten diese Grundsätze auch für die Entscheidung des FG über eine einstweilige Anordnung nach § 114 Abs. 1 FGO (Senatsbeschlüsse vom 6. Juli 1993 VII B 116/93, BFH/NV 1994, 652, und vom 28. Oktober 1993 VII B 229/93, BFH/NV 1994, 254).

Im Streitfall folgt daraus, daß aus der dem angefochtenen Beschluß beigefügten Rechtsmittelbelehrung, nach der die Beschwerde den Beteiligten gegeben sein soll ("Gegen den Beschluß wegen einstweiliger Anordnung steht den Beteiligten die Beschwerde zu"), die nach § 128 Abs. 3 FGO erforderliche Zulassung dieses Rechtsmittels nicht entnommen werden kann. Weder aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses noch aus dem Inhalt der Rechtsmittelbelehrung ist die Absicht des FG erkennbar, die Beschwerde gegen die Ablehnung der einstweiligen Anordnung zulassen zu wollen. Aus einer Rechtsmittelbelehrung allein könnte eine Zulassung des Rechtsmittels allenfalls dann entnommen werden, wenn in ihr die Zulassung durch eine ausdrücklich darauf gerichtete Formulierung betreffend Zulassung und Zulassungsgrund zum Ausdruck käme (etwa: Die Beschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen). An einer solchen Formulierung aber fehlt es hier.

Ein Anhaltspunkt für die Zulassung der Beschwerde durch besondere Entscheidung ergibt sich auch nicht daraus, daß das FG auf die Beschwerde des Antragstellers hin einen Nichtabhilfebeschluß gefaßt hat (§ 130 Abs. 1 FGO). Auch diesem kann eine ausdrückliche Zulassung der Beschwerde, wie sie nach dem eindeutigen Wortlaut des § 128 Abs. 3 FGO erforderlich ist (vgl. zur konstitutiven Zulassung eines Rechtsmittels generell BFH-Beschluß vom 26. August 1987 IV B 27/87, BFHE 150, 403, BStBl II 1987, 786), nicht entnommen werden.

3. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 8 Abs. 1 GKG abgesehen, weil der Antragsteller die Beschwerde aufgrund einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung eingelegt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421315

BFH/NV 1996, 569

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