Entscheidungsstichwort (Thema)

"Ruhen" und ,,Aussetzen" des Verfahrens

 

Leitsatz (NV)

1. Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens (§ 251 Abs. 1 ZPO) setzt voraus, daß beide Verfahrensbeteiligte einen entsprechenden Antrag stellen.

2. Zu den Voraussetzungen für die Anordnung einer Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO.

 

Normenkette

FGO §§ 155, 74; ZPO § 251 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist zusammen mit seiner Ehefrau für die Jahre 1977, 1979 mit 1981 gemäß § 26 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Einkommensteuer veranlagt worden. Wegen Auslegungsfragen zu §§ 24 a, 34 Abs. 4 EStG hat der Kläger erfolglos Einspruch eingelegt und danach am 17. Oktober 1983 Klage zum Finanzgericht (FG) erhoben. Wegen rückständiger Einkommensteuer für die Jahre 1979 und 1980, bezüglich derer erfolglos Anträge auf Stundung sowie Aussetzung der Vollziehung gestellt worden sind, hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) zuvor mit Bescheiden vom 3. Januar und 3. März 1983 Säumniszuschläge festgesetzt (für 1979: 102 DM; für 1980: 460 DM). Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde durch Einspruchsentscheidung vom 19. April 1984 zurückgewiesen. Auch wegen dieser Entscheidung erhob der Kläger Klage zum FG.

Bevor das FG mit Urteil vom 14. November 1986 die Klage gegen die Einkommensteuerfestsetzungen der Jahre 1977, 1979 mit 1981 als unbegründet abwies, hat der Kläger in dem die Rechtmäßigkeit der Säumniszuschlag-Festsetzung für die Jahre 1979 und 1980 betreffenden Parallelverfahren beim FG mit Schriftsatz vom 3. Juli 1985 beantragt, dieses Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Streitsache wegen ESt ruhen zu lassen.

Das FG lehnte diesen Antrag durch Beschluß vom 9. Februar 1987 ab. Es hat in den Gründen dieser Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen des gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechend anzuwendenden § 251 der Zivilprozeßordnung (ZPO) seien nicht gegeben. Es läge kein Antrag beider Beteiligten vor. Außerdem seien sachliche Voraussetzungen für die erstrebte Anordnung nicht erkennbar. Es sei nichts vorgetragen, was die Zweckmäßigkeit der Anordnung erkennbar und nachprüfbar mache. Ergänzend bemerkt das FG, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO nicht gegeben seien.

Mit der Beschwerde machte der Kläger geltend, daß sich die Begründung seines Antrags aus dem Schriftsatz vom 3. Juli 1985 ergebe. Er stütze sein Begehren auf den von ihm erwarteten günstigen Ausgang des Klageverfahrens . . . Davon sei dann auch das Verfahren betreffend Festsetzung der Säumniszuschläge betroffen. Es ergäbe sich dann nämlich, daß das FA den vergeblich gestellten Anträgen auf Stundung bzw. Aussetzung der Vollziehung hätte nachgeben müssen, was den Anfall von Säumniszuschlägen vermieden hätte. In der Beschwerde bemerkt der Kläger ergänzend, daß die das Verfahren wegen EStG betreffenden Rechtsfragen in das Verfahren um die Rechtmäßigkeit der Säumniszuschläge eingebracht werden müßten, falls dem Antrag auf Ruhen dieses Verfahrens nicht entsprochen würde. Auch seien die Voraussetzungen des § 74 FGO gegeben, denn der Anspruch auf rechtmäßige Festsetzung der Einkommensteuer sei ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 74 FGO. § 240 der Abgabenordnung (AO 1977) schließe es nicht aus, daß es nach einem Obsiegen in der Hauptsache (Einkommensteuerfestsetzung) zu einer Erstattung der unrechtmäßig festgesetzten Säumniszuschläge komme.

Gegen das klagabweisende Urteil des FG vom 14. November 1986 betreffend Einkommensteuer 1977, 1979 mit 1981 hatte der Kläger Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision im Urteil des FG eingelegt. Der erkennende Senat hat diese Beschwerde mit Beschluß vom 7. September 1988 IV B 23/87 als unbegründet zurückgewiesen. Damit trat Rechtskraft in diesem Verfahren ein. Hierauf sind die Beteiligten durch Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 5. Oktober 1988 hingewiesen worden. Sie haben daraufhin übereinstimmend die Erledigung der Hauptsache im schwebenden Beschwerdeverfahren erklärt. Beide Beteiligten haben beantragt, dem jeweils anderen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Im Falle der Erledigung der Hauptsache durch beiderseitige Erledigungserklärungen der Beteiligten ist über die Kosten nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 138 Abs. 1 FGO). Der Kläger hat mit Antrag auf Ruhen des Verfahrens betreffend Festsetzung der Säumniszuschläge 1979 und 1980 ein Verfahren in Gang gesetzt, das nach der Gesetzeslage keine Aussicht auf Erfolg haben konnte. Ein Ruhen des Verfahrens kann nach dem unzweideutigen Wortlaut des entsprechend anzuwendenden § 251 ZPO vom Gericht nur angeordnet werden, wenn beide Parteien einen entsprechenden Antrag stellen. Das war ersichtlich nicht der Fall, da ein solcher Antrag des FA nicht vorliegt (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 74 FGO Tz. 5). Es spricht nichts dafür, wegen der entsprechenden Anwendung des § 251 ZPO aufgrund der Generalregelung des § 155 FGO von dem Antragserfordernis beider Beteiligter abzugehen. Deswegen bedürfen die Ausführungen des FG und die dazu mit der Beschwerde angebrachten Ausführungen, die sich mit der unterstellten Zulässigkeit des Antrags nur eines Beteiligten beschäftigen, keiner Erörterung. Das gilt auch für das Beschwerdevorbringen, soweit es sich mit der Frage der gegenseitigen Beeinflussung der Parallelverfahren beschäftigt. Selbst wenn diese Ausführungen zutreffend wären, könnten sie das Verfahrenshindernis eines fehlenden Antrags beider Beteiligten nicht beheben.

Ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO ist nicht gestellt worden. Der Kläger muß sich an der abgegebenen Prozeßerklärung festhalten lassen. Auch gibt die Begründung des Antrags auf Ruhen des Verfahrens keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger selbst gemeint habe, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren betreffend Einkommensteuerfestsetzung sei ein Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen bzw. Nichtbestehen der Ausgang des Rechtsstreits über die Festsetzung der Säumniszuschläge abhänge. Der Kläger trägt nämlich zur Begründung seines Ruhensantrages selbst vor, daß sich aufgrund des von ihm erwarteten günstigen Ausgangs des Verfahrens betreffend Einkommensteuer ergeben würde, daß es ,,objektiv" gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerfestsetzungen gegeben habe und daß deshalb die Ablehnung seiner Stundungs- und Aussetzungsanträge nicht rechtmäßig gewesen sei. Aus diesem Verwaltungshandeln (und nicht unmittelbar aus der Einkommensteuerfestsetzung selbst) leitet der Kläger die Unrechtmäßigkeit der Festsetzung von Säumniszuschlägen im angegriffenen Umfang ab. Mithin konnte das FG weder aus dem Antrag noch seiner Begründung entnehmen, daß der Kläger einen Antrag nach § 74 FGO stellen wollte.

Da auch ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 74 FGO in dem (damals laufenden) Parallelprozeß nicht gesehen werden kann (vgl. Tipke / Kruse, a.a.O., § 74 FGO Tz. 2; Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 74, Anm. 1 ff., 12 ff.), tragen die Ausführungen des FG zu dieser Vorschrift seine Entscheidung nicht, was das FG selbst in seinem Einleitungssatz zu den nachfolgenden Ausführungen deutlich herausgestellt hat. Das Beschwerdevorbringen, das auf die Möglichkeit eines Erlasses ,,an sich verwirkter Säumniszuschläge" eingeht, legt selbst offen, daß ein etwaiger günstiger Ausgang des Verfahrens zur Einkommensteuerfestsetzung allenfalls einen mittelbaren, keinesfalls aber einen unmittelbaren und vorgreiflichen Einfluß auf die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Säumniszuschlägen gehabt hätte.

Bei dieser Sachlage entspricht es der Billigkeit, dem Kläger die Kosten des von ihm in Gang gesetzten Verfahrens aufzuerlegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416285

BFH/NV 1990, 375

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