Leitsatz (amtlich)

1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob Inhaber eines Mineralölherstellungsbetriebes nur derjenige ist, der die unmittelbare tatsächliche Herrschaftsgewalt über die den Mineralölherstellungsbetrieb bildende Einheit ausübt und selbständig entweder eigenhändig oder mit von ihm sozial abhängigem und seinen Weisungen unterstellten Personal steuerbares Mineralöl gewinnt oder bearbeitet.

2. Auch im Beschwerdeverfahren kann eine mündliche Verhandlung stattfinden.

 

Normenkette

MinöStG § 3 Abs. 2; FGO §§ 90, 128 ff.

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) teilte mit Schreiben vom 16. August 1976 und vom 11. Juli 1977 dem Antragsgegner und Beschwerdeführer (Hauptzollamt - HZA -) nach § 12 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) und §§ 40 bis 42 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStDV) mit, daß sie die Herstellung von Mineralöl aufnehmen werde. Unter dem 12. September 1977 schloß sie mit der Firma H einen Vertrag, wonach sie von dieser eine aus drei Tanks bestehende Anlage pachtete mit der Absicht, darin Treibstoffe zu bearbeiten, und zwar in der Weise, daß in ihrem Auftrag und auf ihre Weisung diese Bearbeitung von der Firma H mit deren Personal ausgeführt werde. Als Entgelt sollte die Antragstellerin einen Pachtzins für die Tanks sowie bestimmte Stundensätze für die Arbeitskräfte der Firma H und für die Gestellung von Energie zahlen. Mit Schreiben vom 13. September 1977 überreichte die Antragstellerin dem HZA eine Zeichnung der auf dem Gelände der Firma H gepachteten Herstellungsanlage; mit einem weiteren Schreiben vom 21. September 1977 ergänzte sie ihre Angaben über die Herstellung. Das HZA ließ die Lagerstätten und die Zapfstelle entsprechend der Anmeldung der Antragstellerin zu und teilte ihr dies mit Schreiben vom 18. Oktober 1977 mit. Die Mineralölherstellung begann im November 1977.

Am 21. März 1978 richtete das HZA an die Antragstellerin folgendes Schreiben:

"Inhaber eines Mineralölherstellungsbetriebes ist diejenige natürliche oder juristische Person, die die unmittelbare tatsächliche Herrschaftsgewalt über die den Mineralölherstellungsbetrieb bildende räumliche Einheit ausübt und die selbständig entweder eigenhändig oder mit von ihr sozial abhängigem und ihren Weisungen unterstelltem Personal steuerbares Mineralöl gewinnt oder bearbeitet ...

Nach Sachlage kommen nicht Sie, sondern allein die Firma H ... als Mineralölhersteller im vorgenannten Sinn in Betracht. Die Firma H ., .. übt den unmittelbaren Besitz aus und hat sich mit dem Vertrag vom 12.9.1977 u. a. zum Betreiben der Mineralölherstellungsanlagen durch ihr Personal und durch von ihr gestellte Energie sowie zur Übernahme aller im Rahmen des Mineralölherstellungsbetriebes anfallenden verwaltungsmäßigen Arbeiten, damit also zu allen, eine Mineralölherstellung im vorliegenden Fall ergebenden Tathandlungen verpflichtet. Sie dagegen haben nur eine Leistung bestellt und übernehmen die Verpflichtung zur Entrichtung des Entgelts ...

Zur Abwicklung der bestehenden Verhältnisse gewähre ich Ihnen eine Übergangszeit bis zum 30.4.1978. Nach Ablauf dieser Zeit werde ich die Firma H ... als Inhaber des Mineralölherstellungsbetriebes mit den daraus folgenden Rechten und Pflichten behandeln. Ich weise darauf hin, daß die Zulassung der Lagerstätten dann gegenstandslos ist. Eventuell noch vorhandene Bestände befinden sich nach Ablauf der Übergangszeit im freien Verkehr.

Die Firma H ... habe ich verständigt."

Die Antragstellerin sah dieses Schreiben als einen vollziehbaren Verwaltungsakt an, durch den das HZA die durch sein Schreiben vom 18. Oktober 1977 ausgesprochene Bestätigung der Anmeldung eines Herstellungsbetriebes zu Unrecht widerrufen habe. Sie erhob Einspruch und stellte beim Finanzgericht (FG) den Antrag, die Vollziehung des Verwaltungsakts auszusetzen. Das FG gab diesem Antrag durch Beschluß vom 18. Mai 1978 statt für die Zeit bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Einspruchsentscheidung. Zur Begründung führte es aus:

Die in dem Schreiben des HZA vom 21. März 1978 enthaltene Mitteilung, daß die Antragstellerin nicht Herstellerin i. S. des Mineralölsteuergesetzes sei und dementsprechend am 30. April 1978 nicht mehr als Hersteller behandelt werde, sei ein vollziehbarer Verwaltungsakt. Es handele sich um eine hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts treffe und die Absicht erkennen lasse, nach Ablauf der gesetzten Frist die Mineralölbestände zu besteuern. Es sei ernstlich zweifelhaft, daß die Antragstellerin nicht Herstellerin i. S. des Mineralölsteuergesetzes sei.

Der Begriff des Herstellers i. S. des Mineralölsteuergesetzes sei nicht zweifelsfrei. Dem Gesetz lasse sich nur soviel entnehmen, daß als Hersteller der Inhaber des Herstellungsbetriebes anzusehen sei (vgl. § 3 Abs. 2 MinöStG). Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und die Literatur zu den Verbrauchsteuergesetzen sowie zu § 190 der Reichsabgabenordnung (AO) hätten als Hersteller und Betriebsinhaber stets schon denjenigen angesehen, der dem Finanzamt (FA) den Betrieb als Inhaber angemeldet habe. Nach dieser Auffassung wäre die Antragstellerin Betriebsinhaberin, weil sie den Betrieb unter ihrem Namen angemeldet habe. Folge man dieser Auffassung nicht, dann sei als Betriebsinhaber derjenige anzusehen, auf dessen Rechnung der Betrieb laufe. Es beständen nur geringe Zweifel, daß die Antragstellerin auch in diesem Sinne Herstellerin sei. Die Stoffe würden im Betrieb der Firma H. auf Weisung und auf Rechung der Antragstellerin gemischt. Die Antragstellerin trage die Risiken und ziehe die Vorteile der Herstellung jedenfalls im Verhältnis zur Firma H.

Das HZA macht mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde geltend: Sein Schreiben vom 21. März 1978 sei kein vollziehbarer Verwaltungsakt, da es nichts fordere oder feststelle, was durch Vollziehungsmaßnahmen erzwingbar wäre. Der Hinweis, daß sich die Mineralölbestände mit Ablauf der Übergangsfrist im freien Verkehr befänden, sei unrichtig. Denn diese Bestände befänden sich im nicht angemeldeten Herstellungsbetrieb der Firma H. Für sie entstehe eine Steuerschuld erst, wenn sie aus diesem Betrieb entfernt würden. Es beständen im übrigen keine ernstlichen Zweifel daran, daß die Antragstellerin nicht Inhaberin des Herstellungsbetriebes sei. Mangels gesetzlicher Umschreibung sei der Begriff "Inhaber" nach allgemeinem Sprachgebrauch und allgemeiner Anschauung zu bestimmen. Danach sei Inhaber im rechtlichen und wirtschaftlichen Sinn derjenige, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über eine Sache habe. Dementsprechend hätten schon der RFH und das Reichsgericht (RG) in mehreren Entscheidungen die Auffassung vertreten, daß Betriebsinhaber derjenige sei, für dessen Rechnung der Betrieb gehe und der die Verfügungsgewalt über ihn habe. Die in seinem Schreiben vom 21. März 1978 enthaltene Auslegung des Begriffes "Inhaber des Herstellungsbetriebes" sei daher richtig. Sie treffe auf die Antragstellerin nicht zu.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Das FG hat mit Recht in dem Schreiben des HZA vom 21. März 1978 einen vollziehbaren Verwaltungsakt gesehen und auch mit Recht von der durch § 69 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ihm gebotenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, seine Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit auszusetzen.

Nach § 118 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ist Verwaltungsakt jede hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Durch das Schreiben vom 21. März 1978 kommt der Wille des HZA zum Ausdruck, auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, nämlich des Mineralölsteuerrechts, den von der Antragstellerin durch ihren Vertrag mit der Firma H. vom 12. September 1977 sowie durch ihre Erklärungen vom 16. August 1976, vom 11. Juli 1977, vom 13. September 1977 und vom 21. September 1977 geschaffenen individuellen Fall zu regeln, und zwar der Antragstellerin das Recht abzusprechen, die Stellung eines Mineralölherstellers i. S. des Mineralölsteuerrechts einzunehmen. Die Maßnahme ist darauf gerichtet, nach außen, nämlich gegenüber der Antragstellerin, unmittelbare Rechtswirkung in dem Sinne zu erzeugen, daß als Inhaber des von der Antragstellerin angemeldeten und eingerichteten Herstellungsbetriebes dem HZA gegenüber nur die Firma H. auftreten darf. Die Antragstellerin soll nicht befugt sein, bei der Herstellung von Mineralöl gegenüber dem HZA die im Mineralölsteuerrecht an die Herstellereigenschaft geknüpften Rechtsfolgen wahrzunehmen. Das HZA hat mehr getan, als nur eine Rechtsansicht geäußert. Das ergibt sich jedenfalls daraus, daß es durch die Festsetzung einer bestimmten Übergangszeit von der Antragstellerin die Abwicklung bestehender Verhältnisse verlangte.

Das Schreiben des HZA vom 21. März 1978 ist auch ein vollziehbarer Verwaltungsakt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein Verwaltungsakt vollziehbar, wenn durch ihn vom Betroffenen etwas gefordert wird, das im Falle der Verweigerung im Wege von Vollziehungsmaßnahmen erzwungen werden könnte oder müßte (vgl. Beschluß vom 28. November 1974 V B 44/74, BFHE 114, 171, BStBl II 1975, 240, mit weiteren Nachweisen). Durch den Verwaltungsakt des HZA vom 21. März 1978 hat das HZA die mit seinem Schreiben vom 18. Oktober 1977 gemäß § 41 Abs. 2 MinöStDV der Antragstellerin gegenüber ausgesprochene Zulassung der Lagerstätten für die Zeit nach dem 30. April 1978 für gegenstandslos erklärt. Die anschließende Erklärung, nach dem 30. April 1978 eventuell noch vorhandene Bestände befänden sich im freien Verkehr, enthält die Drohung, daß es diese Bestände als aus dem Herstellungsbetrieb entferntes und demnach gemäß § 3 MinöStG steuerbar gewordenes Mineralöl behandeln werde. Es genügt, daß diese angedrohte Behandlung der nach dem 30. April 1978 noch vorhandenen Bestände dem HZA möglich war; ob sie rechtmäßig wäre, ist für die Frage, ob ein vollziehbarer Verwaltungsakt vorliegt, unerheblich.

Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß an der Rechtmäßigkeit des durch Einspruch angefochtenen Verwaltungsakts vom 21. März 1978 ernstliche Zweifel i. S. des § 69 FGO bestehen. Denn es liegen gewichtige Umstände vor, die Unentschiedenheit und Unsicherheit in der Beurteilung der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Rechtsfrage bewirken, wie im derzeit geltenden Mineralölsteuerrecht der Begriff "Inhaber des Herstellungsbetriebes" auszulegen ist (vgl. BFH-Urteil vom 4. Mai 1977 I R 162-163/76, BFHE 123, 3, BStBl II 1977, 765).

§ 3 Abs. 2 MinöStG beschränkt sich darauf, den Inhaber des Herstellungsbetriebes als "Hersteller" zu bezeichnen; was darunter jedoch im einzelnen zu verstehen ist, ist weder gesetzlich geregelt noch bisher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt worden. Der Begriff "Inhaber des Herstellungsbetriebes" kann verschieden ausgelegt werden. Mit ihm kann derjenige gemeint sein, der selbst oder durch von ihm abhängiges Personal in einem von ihm beherrschten räumlichen Bereich den Vorgang steuert, durch den Mineralöl entsteht. Es ist ebensogut denkbar, als Inhaber des Herstellungsbetriebes denjenigen anzusehen, in dessen Auftrag, nach dessen Weisungen, auf dessen Rechnung und Risiko der Vorgang abläuft, durch den Mineralöl entsteht. Dabei ist auch zweifelhaft, ob jeweils alle genannten einzelnen Merkmale vorliegen müssen oder ob und inwieweit nur einzelne dieser Merkmale ausschlaggebend sind. Es ist deshalb ernstlich zweifelhaft, ob Inhaber des Mineralölherstellungsbetriebes gemäß der vom HZA im Verwaltungsakt vom 21. März 1978 vertretenen Auffassung nur derjenige ist, der die unmittelbare tatsächliche Herrschaftsgewalt über die den Mineralölherstellungsbetrieb bildende Einheit ausübt und selbständig entweder eigenhändig oder mit von ihm sozial abhängigem und seinen Weisungen unterstelltem Personal steuerbares Mineralöl gewinnt oder bearbeitet.

Dem von der Antragstellerin unterstützten Begehren des HZA nach einer mündlichen Verhandlung war nicht stattzugeben. An sich kann auch im Beschlußverfahren eine mündliche Verhandlung stattfinden. Die für das vorliegende Beschwerdeverfahren maßgebenden Vorschriften der §§ 128 ff. FGO sehen zwar im Gegensatz zu der für das Revisionsverfahren geltenden Regelung des § 121 und des § 90 Abs. 1 FGO eine mündliche Verhandlung nicht vor. Auch die das Beschlußverfahren betreffende Verweisungsvorschrift des § 113 Abs. 1 FGO erwähnt § 90 FGO nicht. Doch ergibt sich aus § 90 Abs. 1 Satz 2 FGO selbst, daß eine mündliche Verhandlung stattfinden kann (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 90 Anm. 2, 7; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 132 FGO; Kühn/Kutter, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 113 Anm. 1). Es handelt sich aber im vorliegenden Fall um ein Verfahren, das sich auf eine nur summarische Prüfung des Prozeßstoffes zu beschränken hat und eine nur vorläufige eilbedürftige Regelung zum Gegenstand hat (vgl. BFH-Beschluß vom 22. November 1968 VII B 165/67, BFHE 94, 472). Die Beteiligten haben ausreichend Gelegenheit gehabt, zur Sach- und Rechtslage schriftlich Stellung zu nehmen und haben davon auch Gebrauch gemacht, so daß kein Anlaß für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung ersichtlich ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72905

BStBl II 1979, 392

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