Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung nach Verwerfung der Revision; Krankheit als Wiedereinsetzungsgrund

 

Leitsatz (NV)

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist auch nach Verwerfung der Revision als unzulässig möglich.

2. Wird ein Wiedereinsetzungsantrag damit begründet, der in der beauftragten Sozietät mit der Bearbeitung der Sache betraute Prozeßbevollmächtigte habe sich aufgrund einer Erkrankung zeitlich nicht mehr orientieren können, muß auch dargelegt werden, in welcher Weise die Verfahrensbevollmächtigten in ihrem Bürobetrieb sichergestellt hatten, daß Fristversäumnisse ausgeschlossen sind, und wie die Streitsache im Bürobetrieb behandelt wurde.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 155; ZPO § 85 Abs. 2

 

Tatbestand

Das Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde den Verfahrensbevollmächtigten am 7. Dezember 1992 zugestellt. Die vom Verfahrensbevollmächtigten A unterzeichnete Revisionsschrift ging am 30. Dezember 1992 beim FG ein. Die ebenfalls von diesem Bevollmächtigten unterschriebene Revisionsbegründungsschrift vom 3. März 1993 ging erst am 11. März 1993 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Der Senatsvorsitzende wies die Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 23. März 1993 auf den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist am 8. Februar 1993, auf den verspäteten Eingang der Revisionsbegründungsschrift, auf die in § 124 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genannten Folgen sowie auf § 56 FGO hin. Dieses Schreiben wurde den Verfahrensbevollmächtigten am 29. März 1993 durch Übergabe an eine Angestellte zugestellt. Nachdem die Verfahrensbevollmächtigten sich hierzu nicht geäußert hatten, verwarf der Senat die Revision mit Beschluß vom 7. Mai 1993 wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig.

Mit dem vom Verfahrensbevollmächtigten B unterzeichneten Schriftsatz vom 5. Juli 1993 beantragen die Antragsteller, Kläger und Revisionskläger (Kläger) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Revisionsbegründungsfrist. Zur Begründung führen sie aus, der Verfahrensbevollmächtigte A, der die Streitsache allein bearbeitet habe, sei erneut an einem Gehirntumor erkrankt, wie sich bei einer ärztlichen Untersuchung am ... Juni 1993 herausgestellt habe. Diese Erkrankung habe dazu geführt, daß es dem Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr gelungen sei, zeitliche Orientierung zu gewinnen. Schon seit geraumer Zeit sei er nicht mehr geschäfts- und prozeßfähig gewesen. Er sei nicht mehr in der Lage gewesen, den Ablauf von Fristen zu bestimmen und zu überwachen. Dies hätten die übrigen Verfahrensbevollmächtigten erst aufgrund der ärztlichen Untersuchung feststellen können. Diese hätten die Fristversäumung nicht durch organisatorische Maßnahmen verhindern können. Der Verfahrensbevollmächtigte A habe seine Erkrankung selbst nicht erkennen können.

Der Antragsschrift sind Versicherungen an Eides Statt der Verfahrensbevollmächtigten B und C sowie von zwei Kanzleiangestellten beigefügt, in denen diese übereinstimmend die Angaben in dem Schriftsatz bestätigen und ergänzend erklären, daß es in den letzten Wochen zu einigen Auffälligkeiten gekommen sei, deren Bedeutung erst im nachhinein, d.h. nach der ärztlichen Feststellung der Erkrankung, habe erkannt werden können. Nach Einlegung der Revision in der Streitsache hätten die Mandatsakten ununterbrochen im Arbeitszimmer des Verfahrensbevollmächtigten A gelegen. In allerneuester Zeit sei es vorgekommen, daß dieser unregelmäßiger und insbesondere erst spät im Laufe des Tages ins Büro gekommen sei oder für kurze Besorgungen das Büro verlassen habe, aber erst nach Stunden zurückgekommen sei. Diese Auffälligkeiten hätten die ärztliche Untersuchung am ... Juni 1993 veranlaßt.

Nach einer ärztlichen Bescheinigung der Städtischen Kliniken ... - Neurochirurgische Klinik - vom 15. Juli 1993 befand sich A Ende 1991/Anfang 1992 wegen eines Gehirntumorleidens in stationärer Behandlung und wurde operiert, später noch einer Strahlenbehandlung unterzogen. In der Folgezeit sei es zu einem erneuten Wachstum der Geschwulst gekommen, die zu einer zunehmenden psychischen Veränderung geführt habe, die schon Ende 1992 manifest geworden sei. Für daraus resultierende Unregelmäßigkeiten, z.B. in der Beachtung von Terminen in seinem Beruf als Rechtsanwalt, sei der Verfahrensbevollmächtigte A von diesem Zeitpunkt an nicht mehr verantwortlich zu machen.

 

Entscheidungsgründe

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) ist nicht zu gewähren.

Einer Wiedereinsetzung steht zwar nicht entgegen, daß der Senat die Revision bereits als unzulässig verworfen hat (Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 22. November 1957 IV ZB 236/57, Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 519b ZPO Nr. 9; vgl. auch BFH-Beschluß vom 19. Juni 1979 VII R 79-80/78, BFHE 128, 32, BStBl II 1979, 574).

Die Kläger haben aber nicht hinreichend dargelegt, daß die gesetzlichen Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben sind und die in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vorgeschriebene Antragsfrist von zwei Wochen gewahrt wurde (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 27. März 1985 II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586; vom 17. September 1992 IV R 78/90, BFH/NV 1993, 398; BFH-Beschluß vom 19. August 1992 V B 27/92, BFH/NV 1993, 480).

Die Fristversäumnis wäre nur dann als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht hätte verhindert werden können (BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1977 IV B 62/76, BFHE 121, 171, BStBl II 1977, 291; vom 18. September 1992 V B 135/92, BFH/NV 1993, 542; BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 398). Das Verschulden von Prozeßbevollmächtigten steht dem Verschulden des Beteiligten selbst gleich (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).

Die Verfahrensbevollmächtigten haben nicht vorgetragen, in welcher Weise sie in ihrem Bürobetrieb sichergestellt hatten, daß Fristversäumnisse ausgeschlossen sind. Es fehlen Angaben, ob, ggf. von wem und wie im einzelnen ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung zur Wahrung der Fristen geführt wurde und wie die Überwachung ausgestattet war (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 18. Januar 1984 I R 196/83, BFHE 140, 146, BStBl II 1984, 441). Die Verfahrensbevollmächtigten haben auch nicht dargestellt, wie die Streitsache ggf. im Fristenkontrollbuch behandelt wurde. Sie gehen auch nicht darauf ein, warum das Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 23. März 1993, das ausweislich der Postzustellungsurkunde dem Verfahrensbevollmächtigten A nicht persönlich übergeben wurde, und zunächst auch der Senatsbeschluß vom 7. Mai 1993 unbeachtet blieben. Schließlich wird auch nicht näher begründet, warum die übrigen Verfahrensbevollmächtigten nicht bereits eher die Einhaltung von Fristen durch ihren Kollegen A überprüft haben, obwohl nach der ärztlichen Bescheinigung vom 15. Juli 1993 die zunehmende psychische Veränderung aufgrund der Erkrankung schon Ende 1992 manifestiert geworden war. Unter Berücksichtigung der nicht lange zurückliegenden schweren Vorerkrankung von A mußten die übrigen Verfahrensbevollmächtigten der ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben durch ihren Kollegen besondere Aufmerksamkeit widmen und etwaige Veränderungen in dessen Verhalten frühzeitig beachten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419531

BFH/NV 1994, 331

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