Leitsatz (amtlich)

1. Der Bescheid, durch den eine Marktordungsstelle die von ihr erteilte Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr einer Ware widerruft. Ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt. Die in ihm ausgesprochene Rechtsfolge tritt deshalb unabhängig davon ein, ob der Widerruf rechtmäßig ist.

2. Gegen die Festsetzung der Infolge eines solchen Widerrufsbescheids entstandenen Abschöpfungsschuld kann der Abgabenpflichtige keine Einwendungen erheben, welche die Rechtmäßigkeit des Widerrufs betreffen.

 

Normenkette

ErstVOGetrReis § 4 Abs. 2; EWGV 92/62 Art. 2; AbG §§ 1, 2 Abs. 1; ZG § 36 Abs. 1, 3

 

Tatbestand

I.

Die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt) hatte der … AG am 8. und 29. Oktober 1964 Erstattungszusagen für die Ausfuhr von zusammen 300 000 kg Graupen aus perlförmig geschliffener Gerste mit dem Verbrauchsland Österreich erteilt. Nachdem diese Firma entsprechende Exporte getätigt hatte, beantragte sie am 18. und 21. November 1964 für 103 640 kg dieser Gerstengraupen formularmäßig die Erstattung in Form der abschöpfungsfreien Einfuhr von Gerste. In einem Begleitschreiben zu dem Erstattungsantrag vom 21. November 1964 teilte sie mit, daß sie hinsichtlich der auf diesen Antrag entfallenden 104 700 kg Gerste mit der Einfuhr von 95 600 kg die Antragstellerin und mit den restlichen 9 100 kg eine andere Firma beauftragt habe, ferner daß diese direkt die erforderlichen Einfuhrgenehmigungen beantragen würden.

Die Antragstellerin beantragte sodann am 26. November 1964 eine Einfuhrgenehmigung für 250 t Braugerste, wobei sie unter „besondere Angaben” vermerkte: „gegen Nachweise der Firma … AG”. Die EVSt erteilte der Antragstellerin die Einfuhrlizenz unter dem 30. November 1964 und bewilligte darin die abschöpfungsfreie Einfuhr des Getreides.

Auf Grund dieser Einfuhrgenehmigung ließ die Antragstellerin am 18. Dezember 1964 bei der Zollzweigstelle Frankfurt/Main-Westhafen 241 980 kg Braugerste zum freien Verkehr abfertigen. Die Zollstelle beließ die Sendung abschöpfungsfrei.

Durch einen an die … AG gerichteten Bescheid vom 12. Dezember 1966 widerrief die EVSt für Ausfuhrsendungen in einer Gesamtmenge von 1 515 850 kg Gerstengraupen die Erstattung in Form der abschöpfungsfreien Einfuhr von 3 789 625 kg Gerste. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus, daß die ausgeführten Waren entgegen den in den Erstattungszusagen und Ausfuhrbescheinigungen gemachten Verbrauchslandangaben nachweislich nach Italien verbracht worden seien. Zugleich teilte die EVSt der Zollzweigstelle Frankfurt/Main-Westhafen mit, daß hinsichtlich der von der Antragstellerin am 18. Dezember 1964 dort eingeführten Sendung Braugerste für 149 100 kg die Voraussetzungen für die gewährte Abschöpfungsfreiheit nicht mehr gegeben seien. Das Zollamt (ZA) Frankfurt/Main-Zollhof forderte daraufhin durch Änderungsbescheid vom 22. Dezember 1966 von der Antragstellerin 26 673,99 DM Abschöpfung nach.

Die Vollziehung dieses, von der Antragstellerin mit dem Einspruch angefochtenen Abgabenbescheids setzte das ZA zunächst aus, hob diese Anordnung jedoch auf, nachdem eine von der … AG gegen den Widerruf der Erstattung durch die EVSt erhobene Klage vom Finanzgericht (FG) abgewiesen worden war. Nach erfolgloser Beschwerde beantragte die Steuerpflichtige deshalb nunmehr beim FG die Aussetzung der Vollziehung des Änderungsbescheids vom 22. Dezember 1966. Im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens widerrief die EVSt durch Bescheid vom 2. Dezember 1969 auch der Antragstellerin gegenüber die dieser auf Grund der Einfuhrlizenz vom 30. November 1964 für 149 400 kg Gerste gewährte Abschöpfungsfreiheit.

Das FG lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung durch Beschluß vom 6. Januar 1970 ab.

Mit der gegen den Beschluß des FG erhobenen Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, daß gegen den angefochtenen Bescheid des ZA vom 22. Dezember 1966 aus mehreren Gründen ersthafte Bedenken bestünden.

Sie beruft sich auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach die Genehmigung der abschöpfungsfreien Einfuhr ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt sei und infolgedessen nur der Widerruf dieser Genehmigung den Wegfall der Abschöpfungsfreiheit herbeiführe. Den Widerruf der der Antragstellerin erteilten Einfuhrgenehmigung habe die EVSt aber erst mit Bescheid vom 2. Dezember 1969 ausgesprochen. Zu diesem Zeitpunkt sei jedoch bereits Verjährung eingetreten und ein Widerruf deshalb nicht mehr zulässig gewesen. Der Widerrufsbescheid der EVSt vom 2. Dezember 1969 habe deshalb keine Rechtswirkung mehr haben können.

Nach Mitteilung der Antragstellerin hat diese aufgrund der vom Hauptzollamt (HZA) eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen am 28. Juli 1970 den Abschöpfungsbetrag gezahlt.

Sie beantragt nunmehr, die Vorentscheidung aufzuheben, die Vollziehung des Änderungsbescheids des ZA vom 22. Dezember 1966 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen und die Rückzahlung der von ihr entrichteten Beträge anzuordnen.

Das HZA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Vorinstanz hat die von der Antragstellerin begehrte Aussetzung der Vollziehung im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Denn weder bestehen an der Rechtmäßigkeit des vom ZA erlassenen Abgabenbescheids vom 22. Dezember 1966 ernstliche Zweifel noch hat die Antragstellerin dargetan, daß die Vollziehung dieses Verwaltungsaktes eine unbillige Härte für sie zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO).

Bei der Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr von Getreide gemäß § 4 Abs. 2 der Erstattungsverordnung Getreide und Reis vom 24. November 1964 – ErstVOGetrReis – (Bundesgesetzblatt I 1964 S. 917 – BGBl I 1964, 917 –) in Verbindung mit Art. 2 der Verordnung Nr. 92/62 der EWG – VO (EWG) 92/62 – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1962 S. 1906 – ABlEG 1962, 1906 –) handelt es sich – worauf die Antragstellerin mit Recht hinweist – ebenso wie bei dem Widerruf einer solchen Genehmigung um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt (Beschluß des BFH VII B 165/67 vom 22. November 1968, BFH 94, 472). Das bedeutet, daß die Antragstellerin durch die Einfuhrlizenz der EVSt vom 30. November 1964 einen unmittelbaren Anspruch auf Abschöpfungsfreiheit der darin bezeichneten Ware erworben hatte, diese Rechtsfolge also unabhängig davon eingetreten war, ob die Voraussetzungen für die damit gewährte Erstattung tatsächlich erfüllt waren oder nicht. Solange die Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr bestand, durfte deshalb das ZA für die auf Grund dieser Lizenz eingeführte Gerste keine Abschöpfung erheben (§ 1 des Abschöpfungserhebungsgesetzes – AbG –).

Der Antragstellerin ist ferner zuzugeben, daß ihr Anspruch auf abschöpfungsfreie Einfuhr durch den Widerrufsbescheid der EVSt vom 12. Dezember 1966 nicht berührt wurde. Denn dieser Bescheid war nicht an sie, sondern an die … AG gerichtet. Die Einfuhrlizenz vom 30. November 1964 und die darin ausgesprochene Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr war hingegen der Antragstellerin erteilt worden und sie konnte deshalb auch nur ihr gegenüber wirksam widerrufen werden. Der Umstand, daß die betreffenden. Erstattungszusagen auf die … AG lauteten und diese Firma die erforderlichen Warenausfuhren getätigt sowie die Erstattungsanträge gestellt hatte, führt nach Ansicht des Senats zu keiner anderen Beurteilung. Denn die Frage, wer Adressat eines Verwaltungsaktes ist, muß in erster Linie dem Inhalt dieses Verwaltungsaktes selbst entnommen werden. Danach war aber die Einfuhrlizenz vom 30. November 1964 eindeutig für die Antragstellerin bestimmt, die im übrigen auch den Lizenzantrag gestellt hatte.

Dagegen ist der Anspruch der Antragstellerin auf die Abschöpfungsfreiheit der von ihr eingeführten 149 100 kg Gerste durch den Bescheid der EVSt vom 2. Dezember 1969 beseitigt worden, mit dem diese die Erstattung auch ihr gegenüber widerrufen hat. Dieser Widerruf erfolgte nach dem Inhalt des Bescheids rückwirkend auf den Zeitpunkt der Einfuhr. Dies ist einmal der von der EVSt gewählten Formulierung zu entnehmen, wonach die Abschöpfungsfreiheit für die am 18. Dezember 1964 eingeführte Gerste widerrufen wurde, und ergibt sich ferner daraus, daß das mit dem Bescheid verfolgte rechtliche Ziel nur durch einen Widerruf erreicht werden konnte, der auf den für die Entstehung der Abschöpfungsschuld maßgebenden Zeitpunkt zurückwirkte.

Die von der Antragstellerin gegen die Zulässigkeit dieses Widerrufs erhobenen Bedenken können den Wegfall der Abschöpfungsfreiheit für die von ihr eingeführte Gerste nicht in Frage stellen. Denn ebenso wie bei der Erteilung der Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr tritt auch bei ihrem Widerruf die in diesem rechtsgestaltenden Verwaltungsakt ausgesprochene Rechtsfolge allein durch den wirksamen Erlaß der betreffenden Verfügung, also unabhängig davon ein, ob die darin getroffene Regelung rechtmäßig ist. Infolgedessen kommt es für den Streitfall nicht darauf an, ob dem durch den Bescheid der EVSt vom 2. Dezember 1969 ausgesprochenen Widerruf der von der Antragstellerin erhobene Einwand der Verjährung entgegensteht. Dadurch könnte nämlich allenfalls die Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes, nicht dagegen, wie die Antragstellerin meint, seine Wirksamkeit berührt werden.

Hat sonach aber die EVSt die der Antragstellerin durch die Einfuhrlizenz vom 30. November 1964 genehmigte Abschöpfungsfreiheit wirksam und mit Rückwirkung auf den Tag der Einfuhr des Getreides widerrufen, so ist nach der Sach- und Rechtslage, wie sie sich im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung durch den erkennenden Senat darstellt, für die am 18. Dezember 1964 von der Zollzweigstelle Frankfurt/Main-Westhafen zum freien Verkehr abgefertigten 149 100 kg Braugerste in der Person der Antragstellerin eine Abschöpfungsschuld entstanden (§§ 1, 2 Abs. 1 AbG, § 36 Abs. 1 und 3 des Zollgesetzes). Dieser Abschöpfungsanspruch selbst ist nicht verjährt, da er erst durch den Widerrufsbescheid der EVSt vom 2. Dezember 1969 begründet wurde und deshalb auch – ungeachtet der Rückwirkung des Widerrufs – erst in diesem Zeitpunkt im Sinne des § 145 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung entstanden ist. Der angefochtene Abschöpfungsbescheid erweist sich damit als rechtmäßig.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514625

BFHE 1971, 1

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