Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine zulassungsfreie Revision bei übergangenem Sachantrag

 

Leitsatz (NV)

1. Eine auf § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO gestützte Verfahrensrevision ist unzulässig, wenn geltend gemacht wird, das FG habe bei seiner Entscheidung einen Sachantrag übergangen.

2. Vom Übergehen eines Antrags ist im Unterschied zum Übergehen eines selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmittels jedenfalls dann auszugehen, wenn ein ausdrücklich gestellter selbständiger Antrag vorliegt, der nicht in dem anderen Antrag aufgeht.

3. Ein ehrenamtlicher Richter ist als verhindert anzusehen, wenn er dem Gericht seine Verhinderung unter Angabe von Gründen mitteilt und es nicht offensichtlich an einer pflichtgemäßen Abwägung des ehrenamtlichen Richters fehlt.

 

Normenkette

FGO § 5 Abs. 3, § 27 Abs. 2, §§ 109, 116 Abs. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Kläger und Revisionskläger (Kläger) in den Streitjahren 1985 bis 1987 als Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit erzielt haben und ob durch die zwingende Umstellung der Gewinnermittlung auf Betriebsvermögensvergleich im Jahr 1985 ein Übergangsgewinn entstanden ist.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen, mit der die Kläger beantragt hatten, "festzustellen, daß die durch die Feststellungsbescheide festgestellten Einkünfte nicht solche aus Gewerbebetrieb, sondern aus selbständiger Arbeit sind, sowie die festgestellten Einkünfte des Jahres 1985 herabzusetzen in dem Maße, in dem diese beeinflußt sind durch eine Umstellung der Gewinnermittlungsmethode von § 4 Abs. 3 EStG zu § 4 Abs. 1 EStG, nämlich um ... DM". Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG im einzelnen aus, warum die Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb zu behandeln seien. Zur Art der Gewinnermittlung und Höhe der Einkünfte enthält das Urteil keine Ausführungen.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Mit ihrer Revision machen die Kläger, die zugleich Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision erhoben haben, geltend, das FG-Urteil beruhe auf wesentlichen Verfahrensmängeln, denn es sei in bezug auf den Klageantrag zur Höhe der Einkünfte nicht mit Gründen versehen und die Richterbank sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Außerdem seien Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) unzutreffend ausgelegt worden.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

1. Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zuvor zugelassen hat. Im übrigen ist die Revision aber dann zulässig, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i. S. von § 116 Abs. 1 FGO gerügt werden. Ein solcher Verfahrensmangel ist schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Mängel ergeben (Senatsbeschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568).

a) Der Vortrag der Kläger ergibt nicht schlüssig einen Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Wird die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter beanstandet, so ist substantiiert darzulegen, daß ohne sachlichen Grund von der Liste nach § 27 Abs. 1 FGO oder der Hilfsliste i. S. des § 27 Abs. 2 FGO und/oder der "gewachsenen Übung" bei dem FG abgewichen worden sei (vgl. BFH-Beschluß vom 10. April 1995 VIII R 69/94, BFH/NV 1995, 912, m. w. N.).

Aus den von den Klägern zur Heranziehung der ehrenamtlichen Richter mitgeteilten Tatsachen ergibt sich eine solche Abweichung nicht. Die Ladung von ehrenamtlichen Richtern aus der Hilfsliste ist nicht zu beanstanden. Nach § 27 Abs. 2 FGO darf ein ehrenamtlicher Richter der Hilfsliste nur herangezogen werden, wenn der nach der Hauptliste eingeteilte Richter unvorhergesehen verhindert ist. Dabei ist jede Verhinderung unvorhergesehen, die nach Absendung der Ladung bekannt wird (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 12. Dezember 1973 VI C 104.73, BVerwGE 44, 215, 218 f.). Eine Verhinderung liegt nach der Rechtsprechung des BVerwG, der der BFH gefolgt ist, dann vor, wenn der ehrenamtliche Richter nach eigener pflichtgemäßer Abwägung unter Angabe eines Grundes mitgeteilt hat, verhindert zu sein. Das Gericht darf bei dem auf gewissenhafte Amtsführung vereidigten ehrenamtlichen Richter davon ausgehen, daß er sich seiner richterlichen Pflicht nicht ohne zwingenden Grund entziehen wird, und muß deshalb nicht nachprüfen, ob der mitgeteilte Grund tatsächlich besteht (BFH- Beschluß vom 14. März 1986 VI R 11/85, BFH/NV 1986, 548; Urteil vom 17. Januar 1989 VII R 187/85, BFH/NV 1989, 532; ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. z. B. Urteil vom 25. April 1991 7 C 11/90, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1992, 254, 256). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung jedenfalls für den Fall an, daß es nicht für das Gericht offensichtlich an einer pflichtgemäßen Abwägung des ehrenamtlichen Richters fehlt.

Im vorliegenden Fall durfte das Gericht nach diesen Grundsätzen sowohl für den Richter Nr. 12 als auch für den Richter Nr. 14 der Hauptliste einen Vertreter aus der Hilfsliste laden. Der Richter Nr. 12 hatte mitgeteilt, einen erkrankten Kollegen vertreten zu müssen. Entgegen der Ansicht der Kläger bedeutete die Teilnahme an der Betriebsversammlung deshalb nicht eine Ausübung seiner ständigen Tätigkeit, sondern stellte einen Ausnahmefall dar. Nach dem von den Klägern vorgetragenen Wortlaut der Absage des Richters Nr. 14 hat sich dieser -- uneingeschränkt -- für beruflich verhindert erklärt. Die Bitte um Benachrichtigung läßt nicht darauf schließen, daß die Absage nur auf Bequemlichkeit beruhte. Vielmehr kann damit auch das Interesse artikuliert worden sein, ausdrücklich durch das Gericht -- nach Befassung des Vorsitzenden -- für die Sitzung entpflichtet zu werden.

b) Auch die Rüge eines Verfahrensmangels nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ist von den Klägern nicht schlüssig vorgetragen worden.

Ein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung überhaupt nicht oder jedenfalls zu einem wesentlichen Teil nicht begründet, indem ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen wird (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Dezember 1995 VIII R 26/95, BFH/NV 1996, 427, m. w. N.). Die Begründung soll die Beteiligten in die Lage versetzen, die für die Entscheidung des Gerichts wesentlichen rechtlichen Erwägungen zur Kenntnis zu nehmen, um ihre prozessualen Rechte wahrnehmen zu können. Hat das Gericht indessen einen Sachantrag überhaupt nicht beschieden, fehlt es nicht an einer Begründung, sondern an der Entscheidung selbst. Deshalb ist das Übergehen eines Sachantrages nicht mit der Verfahrensrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, sondern nur mit dem Antrag nach § 109 FGO auf Ergänzung des Urteils zu korrigieren (BFH-Beschluß vom 18. April 1991 VIII R 82--83/89, BFH/NV 1992, 670).

Im Einzelfall kann die Abgrenzung zwischen einem übergangenen selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmittel und einem übergangenen Antrag schwierig sein. So ist für einen dem Grunde nach sowie im Hinblick auf den anzuwendenden Steuersatz streitigen, im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung zu berücksichtigenden Veräußerungsgewinn angenommen worden, daß ein Urteil insoweit ohne Gründe ergangen ist, als es Ausführungen nicht zum Steuersatz, sondern nur zum Grund des Veräußerungsgewinns enthält (BFH-Urteil vom 11. Juni 1969 I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492). Ganz allgemein soll entsprechendes gelten, wenn nur zum Grund, nicht auch zur Höhe des Steueranspruchs Stellung genommen wird (vgl. BFH-Urteil vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 119 Rz. 25; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Anm. 16). Andererseits hat der BFH das Übergehen eines Antrags angenommen, wenn ein Antrag auf Aufhebung von Gewinnfeststellungsbescheiden (wegen eines Verfahrensfehlers) und ein weiterer Antrag auf Berücksichtigung zusätzlicher Betriebsausgaben in den Gewinnfeststellungen gestellt worden sind, die Entscheidung sich aber nur mit der Frage der Betriebsausgaben auseinandersetzt (BFH in BFH/NV 1992, 670).

Vorliegend machen die Kläger geltend, ihr zweiter Klageantrag zur Höhe der fest gestellten Einkünfte finde zwar im Tat bestand, nicht aber in den gesamten Entscheidungsgründen Erwähnung. Zutreffend gehen sie davon aus, daß zu der nicht von dem ersten Klageantrag erfaßten Frage der Gewinnermittlung und ihrer Auswirkung auf die Höhe der Einkünfte Rechtsausführungen erforderlich gewesen wären. Ihr vollständiges Fehlen läßt nur den Schluß darauf zu, daß der zweite Klageantrag -- im Tatbestand der Vorentscheidung auch mit einem eigenen Spiegelstrich versehen -- vom FG versehentlich übergangen worden ist, so daß es insoweit nicht an der Begründung, sondern an der Entscheidung selbst fehlt. Ähnlich wie in dem Fall, der dem BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 670 zugrundelag, ist schon deshalb von einem Über gehen des Antrags und nicht von dem Übergehen eines selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmittels auszugehen, weil ein ausdrücklicher selbständiger Antrag vorliegt, der nicht in dem anderen Antrag aufgeht. Diese Fallkonstellation ist nicht zu vergleichen mit einer nach Grund und Höhe streitigen Steuerfestsetzung. Die Entscheidung des Gerichts beschränkt sich dabei auf eine Aussage über die Höhe der Steuer. Bei der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ist es demgegenüber möglich, daß sich der Streitgegenstand unabhängig von einer betragsmäßigen Auswirkung auf Zuordnungsfragen beschränkt, wie etwa bei der Einordnung von Einkünften in eine bestimmte Einkunftsart.

2. Die Revision ist nicht dadurch nachträglich zulässig geworden, daß der Senat mit Entscheidung vom gleichen Tag die Revision auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat. Wie der BFH mit Beschluß vom 12. April 1991 III R 181/90 (BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638) entschieden hat, wird eine gleichzeitig mit der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegte unzulässige Revision nicht dadurch statthaft, daß die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg gehabt hat. Dieser Rechtsprechung hat sich auch der erkennende Senat angeschlossen (Beschluß vom 26. Januar 1994 IV R 47/93, BFH/NV 1994, 805; vgl. auch BFH in BFH/NV 1996, 427, 428; a. A. Gräber/Ruban, a. a. O., § 116 Rz. 6 a). Der etwaigen erneuten Einlegung einer Revision aufgrund der jetzt erfolgten Zulassung steht diese Entscheidung nicht entgegen.

3. Bei dieser Sachlage war die Revision als unzulässig zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO). Es obliegt den Klägern, ggf. einen Antrag nach § 109 FGO bei dem FG zu stellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421574

BFH/NV 1996, 840

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