Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine ordnungsgemäße Zustellung bei offensichtlich unrichtiger Angabe der Zustellungszeit in der Postzustellungsurkunde; keine zulassungsfreie Revision, wenn das Fehlen einer notwendigen Beiladung gerügt wird

 

Leitsatz (NV)

1. Wird ein FG-Urteil durch die Post zugestellt und ist in der Zustellungsurkunde die Zustellungszeit offensichtlich unrichtig angegeben, so fehlt es an einer ordnungsgemäßen Zustellung. Die Frist für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wird hierdurch nicht in Lauf gesetzt.

2. Das Vorbringen, das FG habe die Vorschriften über die notwendige Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO) verletzt, gehört nicht zu den Gründen für eine (nach § 116 Nr. 3 FGO) zulassungsfreie Revision.

 

Normenkette

FGO § 53 Abs. 2, § 60 Abs. 3, § 116 Nr. 3; VwZG §§ 3, 9 Abs. 1; ZPO § 191 Nr. 1, § 195

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Die Klägerin, Revisionsklägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG.

Das Finanzgericht (FG) hat ihre Klage wegen Gewinnfeststellung, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 1983 und 1984 mangels unzureichender Bezeichnung des Streitgegenstandes als unzulässig abgewiesen. Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Auf der Postzustellungsurkunde (PZU), die die Zustellung des FG-Urteils beurkundet, ist infolge eines offensichtlichen Irrtums als Zeit der Zustellung der 6. Januar 1987 angegeben. Laut Eingangsstempel des FG ist die PZU am 8. Januar 1988 beim FG eingelaufen.

Gegen das Urteil des FG hat die Klägerin durch die X-Steuerberatungsgesellschaft mbH (X-GmbH) mit Schreiben vom 4. Februar 1988 Revision und mit Schreiben vom 8. Februar 1988 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt.

Mit Schreiben vom 4. März 1988 erklärte der Steuerberater G, daß die Revision und die Beschwerde durch ein Büroversehen nicht in seinem, sondern im Namen der von ihm geführten X-GmbH eingelegt worden seien, obwohl die Vollmacht ihm - G - erteilt worden sei. Wegen der vermeintlichen Versäumung der Frist beantragte G Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hat sich zu dem Vorbringen der Klägerin nicht geäußert.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Das Beschwerdeverfahren und das Revisionsverfahren werden gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig.

Die Beschwerde ist zwar von einer nach Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) nicht zur Vertretung vor dem Bundesfinanzhof (BFH) befugten Steuerberatungsgesellschaft eingelegt worden; sie ist daher zunächst unzulässig gewesen (vgl. BFH-Beschluß vom 12. November 1976 III R 14-15/76, BFHE 120, 335, BStBl II 1977, 121). Dieser Mangel ist jedoch nachträglich geheilt worden. Denn die Klägerin hat einer gemäß Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG vertretungsbefugten Person, nämlich dem Steuerberater G, Prozeßvollmacht erteilt und die Beschwerde von G begründen lassen. In dem Beschwerdevorbringen des G liegt eine erneute Beschwerdeeinlegung, die auch als rechtzeitig anzusehen ist, da eine Frist für die Einlegung der Beschwerde wegen eines Mangels bei der Zustellung des FG-Urteils nicht zu laufen begonnen hat.

Gemäß § 53 Abs. 2 FGO i. V. m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), § 191 Nr. 1 und § 195 der Zivilprozeßordnung (ZPO) muß eine Zustellungsurkunde u. a. die Zeit der Zustellung enthalten. Daran fehlt es, wenn - wie im Streitfall - die Angabe der Zustellungszeit in der Zustellungsurkunde offensichtlich unrichtig ist (BFH-Urteil vom 15. Juni 1973 VI R 85/71, BFHE 109, 526, BStBl II 1973, 781). Das Fehlen einer ordnungsmäßigen Zustellung hat zur Folge, daß die Frist für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht in Lauf gesetzt wird (§ 9 Abs. 2 VwZG). Im übrigen ist die Bekanntgabe des Urteils aber gemäß § 9 Abs. 1 VwZG wirksam (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 9. November 1976 GmS-OGB 2/75, BStBl II 1977, 275; Gräber/Koch, Finanzgerichtordnung, 2. Aufl., § 53 Anm. 73).

Die Beschwerde, die mit dem Vorliegen eines Verfahrensmangels begründet wird, ist indessen nicht begründet.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensverstoßes (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.

Die Klägerin hat sich auf die Rüge beschränkt, den Beteiligten sei das rechtliche Gehör versagt worden (§ 119 Nr. 3 FGO); sie ist der Auffassung, zum Verfahren vor dem FG hätten ihre Gesellschafter gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendig beigeladen werden müssen.

Diese Rüge kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil das FG unter den gegebenen Umständen keine Veranlassung hatte, eine Beiladung gemäß § 60 Abs. 3 FGO zu beschließen. Denn die Klägerin hatte vor dem FG nicht substantiiert dargelegt, inwiefern die angefochtenen Verwaltungsakte rechtswidrig sind und sie in ihren Rechten verletzt haben (vgl. BFH-Beschluß vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99); es fehlte somit an der Bezeichnung des Klageziels. Bei dieser Sachlage war die Prüfung, ob eine Beiladung notwendig ist, gar nicht möglich.

Die Revision ist unzulässig.

Gemäß Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG in der ab 17. Juli 1985 geltenden Fassung (Art. 2 des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985, BGBl I, 1274, BStBl I, 496) findet die Revision statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat. Einer besonderen Zulassung der Revision bedarf es lediglich dann nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO genannten wesentlichen Verfahrensmängel gerügt wird.

An den genannten Voraussetzungen hat es im Streitfall gefehlt. Das FG hat die Revision nicht zugelassen; die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg (s. oben I.). Die Klägerin hat auch keine Gründe für eine zulassungsfreie Revision vorgetragen. Das Vorbringen der Klägerin, das FG habe die Vorschriften über die notwendige Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO) verletzt, gehört nicht zu den Gründen für eine (nach § 116 Nr. 3 FGO) zulassungsfreie Revision (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 1977 VII CB 74/75, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1977, 512).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415780

BFH/NV 1989, 174

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