Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde; Divergenz; Verletzung rechtlichen Gehörs; mangelhafte Beweiswürdigung

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Abweichung i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegt nicht vor, wenn das FG -- ohne ausdrücklich oder konkludent einen von der BFH-Rechtsprechung abweichenden allgemeinen Rechtssatz aufzustellen -- bei der Anwendung der Rechtssätze auf den konkreten Fall Fehler begeht.

2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör fordert nicht, daß das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert.

3. Die Beweiswürdigung des FG kann nicht Gegenstand einer zulässigen Verfahrensrüge sein.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 1-2, § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3

 

Gründe

Es kann offenbleiben, ob die Beschwerdebegründung den formellen Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht, da sie jedenfalls nicht begründet ist (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 11. Februar 1987 II B 140/86, BFHE 148, 494, BStBl II 1987, 344).

Das angefochtene Urteil weicht nicht von dem BFH-Urteil vom 14. November 1986 III R 12/81 (BFHE 148, 212, BStBl II 1987, 178) ab. In diesem Urteil hat der BFH den Rechtssatz aufgestellt, daß es für die Beteiligtenstellung nicht nur auf die Bezeichnung als Beteiligter in der Klageschrift ankommt. Vielmehr sei maßgeblich, welcher Sinn der Beteiligtenbezeichnung in der Klageschrift bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizumessen sei. Bei unrichtiger äußerer Bezeichnung sei grundsätzlich die Person als Partei anzusprechen, die erkennbar durch die Parteibezeichnung betroffen werden solle; dabei sei im allgemeinen nicht davon auszugehen, daß Klage für jemanden erhoben werden solle, der nicht mehr existiere.

Das Finanzgericht (FG) hat im angefochtenen Urteil keinen hiervon abweichenden allgemeinen Rechtssatz aufgestellt. Es hat vielmehr ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BFH Bezug genommen, nach der bei der Auslegung der Beteiligten bezeichnung in der Klageschrift alle Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art zu berücksichtigen sind, die aus der Sicht des Finanzamts (FA) oder des FG zur Bestimmung des Klägers herangezogen werden können.

Ob das FG bei der Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze zu einem zutreffenden Ergebnis gekommen ist, hat der Senat in diesem Zusammenhang nicht zu prüfen. Denn eine Abweichung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegt nicht vor, wenn das FG -- ohne ausdrücklich oder konkludent einen von der BFH-Rechtsprechung abweichenden allgemeinen Rechtssatz aufzustellen -- bei der Anwendung der Rechtssätze auf den konkreten Fall Fehler begeht (vgl. die Nachweise bei Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 17).

Eine Abweichung des FG von dem Urteil in BFHE 148, 212, BStBl II 1987, 178 ist auch deshalb zu verneinen, weil diese Entscheidung zu einem anderen Sachverhalt ergangen ist. Das Urteil in BFHE 148, 212, BStBl II 1987, 178 betraf eine Klage gegen Straßengüterverkehrsteuerbescheide, die gegen eine (durch Umwandlung entstandene) KG gerichtet waren. Steuerschuldner und Adressat solcher Bescheide ist die Gesellschaft als solche. Deshalb kann bei Steuerbescheiden auch im Regelfall davon ausgegangen werden, daß diejenige Person oder Personenvereinigung Klage erhoben hat, gegen die sich die Steuerfestsetzung richtet. Dagegen steht bei einem Gewinnfeststellungsbescheid, der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist, die Klagebefugnis im Regelfall nicht den betroffenen Feststellungsbeteiligten, sondern der Gesellschaft zu (§ 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO). Bei Streitigkeiten über Feststellungsbescheide trifft die Aussage im Urteil in BFHE 148, 212, BStBl II 1987, 178, daß eine Klage i. d. R. den vom angefochtenen Bescheid betroffenen Personen zuzurechnen ist, nicht zu.

Das angefochtene Urteil weicht auch nicht von dem BFH-Urteil vom 10. November 1988 IV R 15/86 (BFH/NV 1989, 499) ab. In diesem Urteil hat der BFH eine nach dem Wortlaut der Klageschrift von einer (durch Umwandlung erloschenen) KG eingelegte Klage als Klage des früheren persönlich haftenden Gesellschafters A ausgelegt. Für dieses Auslegungsergebnis war außer dem Umstand, daß A die Prozeßvollmacht unterzeichnet hatte, die Tatsache maßgeblich, daß die KG ausweislich der Klageschrift durch den persönlich haftenden Gesellschafter A vertreten werden sollte. Der BFH sah sich an einer Auslegung nicht durch die (scheinbar) eindeutige Bezeichnung der KG als Klägerin in der Klageschrift gehindert. Er hat insoweit zur Begründung auf seine Entscheidung vom 25. September 1985 IV R 180/83 (BFH/NV 1986, 171) Bezug genommen. In dieser Entscheidung hat der IV. Senat aus geführt, auch bei scheinbar eindeutiger Bezeichnung hänge die Bestimmung des Klägers in der Klageschrift von allen dem Empfänger der Klageschrift (also FA und FG) bekannten oder vernünftigerweise erkennbaren Umständen tatsächlicher oder rechtlicher Art ab. Der IV. Senat führte a. a. O. weiter aus, im Streitfall sei dem FA aufgrund der Außenprüfung das Erlöschen der KG (durch Ausscheiden eines von zwei Gesellschaftern) bekannt gewesen. Diese Tatsache sei auch für das FG erkennbar gewesen, so daß die von dem früheren Gesellschafter unterzeichnete Prozeßvollmacht nur den Schluß zugelassen habe, daß die Klage in seinem Namen erhoben werden sollte.

Von diesen Rechtsgrundsätzen ist auch das FG im angefochtenen Urteil ausgegangen; es hat eine Auslegung der Klageschrift, wie sie der BFH in BFH/NV 1989, 499 vorgenommen hat, nur deshalb abgelehnt, weil im vorliegenden Fall (anders als in der Sache in BFH/NV 1989, 499) bei Ablauf der Klagefrist weder dem FA noch dem FG die Vollbeendigung der Personengesellschaft bekannt gewesen sei. Im Streitfall habe deshalb keine Veranlassung bestanden, an der Richtigkeit der Beteiligtenbezeichnung in der Klageschrift, in der die KG als Klägerin benannt sei, zu zweifeln.

Da sich der hier zu beurteilende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt von dem des Urteils in BFH/NV 1989, 499 unterscheidet, ist schon aus diesem Grunde eine Abweichung i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zu verneinen.

Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) greift nicht durch. Das FG hat keine mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs unvereinbare Überraschungsentscheidung getroffen.

Den Beteiligten war aufgrund der richterlichen Anordnung vom 4. April 1989 bekannt, daß das FG Zweifel an der Klagebefugnis der KG hatte. Wie sich aus dem Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten vom 8. April 1993 ergibt, vertraten auch diese die Ansicht, daß die KG im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits vollbeendet war. Sie haben in diesem Zusammenhang auch unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des BFH in BFH/NV 1986, 171, und BFH/NV 1989, 499 vorgetragen, daß nach ihrer Ansicht die Klageschrift dahingehend ausgelegt werden könne, daß eine wirksame Klage des früheren Gesellschafters X vorliege.

Das FG hat in seinem Beschluß vom 24. September 1993, durch den es die früheren Gesellschafter der KG zum Verfahren beigeladen hat, ausdrücklich offen gelassen, ob der Gesellschafter X als Kläger angesehen werden könne. Die Beteiligten hatten mithin ausreichend Gelegenheit, sich zur Frage der Klagebefugnis der KG und der Auslegung der Klageschrift in bezug auf die Bezeichnung der Beteiligten zu äußern. Entgegen der Ansicht der Beigeladenen verlangt der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, daß das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert. Der Anspruch auf Schutz vor Überraschungsentscheidungen ist nicht schon dann verletzt, wenn das FG rechtliche Gesichtspunkte, die bisher nicht im Vordergrund standen, in der Entscheidung als maßgebend herausstellt (BFH-Urteil vom 31. Juli 1991 VIII R 23/89, BFHE 165, 398, 401, BStBl II 1992, 375 m. w. N.). Das FG war deshalb nicht verpflichtet, die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung darauf hinzuweisen, daß es eine Auslegung der Klageschrift, wie sie von den Prozeßbevollmächtigten der KG befürwortet wurde, für unzulässig hielt.

Unbegründet ist auch die Rüge, das FG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Wie sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt, hat das FG durchaus den Inhalt der Bilanz auf den 31. Dezember 1981 zur Kenntnis genommen und auch die Tatsache berücksichtigt, daß die KG ihre Tätigkeit bereits zum 31. Dezember 1981 eingestellt hatte. Es hat daraus nur nicht die Schlußfolgerung gezogen, daß bereits aus dieser Tatsache und dem Inhalt der Bilanz auf den 31. Dezember 1981 zwingend die Vollbeendigung der Klägerin zu diesem Zeitpunkt folge. Ob dieser Auffassung des FG zuzustimmen ist, braucht der Senat hier nicht zu prüfen. Die Beweiswürdigung des FG kann nicht Gegenstand einer zulässigen Verfahrensrüge sein. Sie ist auch im Rahmen des Revisionsverfahrens nur daraufhin zu prüfen, ob dem FG Denkfehler oder Verstöße gegen allgemeine Erfahrungssätze unterlaufen sind. Bei derartigen Verstößen, die die Beschwerdeführer im übrigen nicht geltend gemacht haben, handelt es sich um materiell-rechtliche Fehler, auf die eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann (ständige Rechtsprechung vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 28. Juli 1994 XI B 69/93, BFH/NV 1995, 54, und die Nachweise bei Gräber, a. a. O., § 115 Rz. 28).

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420697

BFH/NV 1995, 1000

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