Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Rüge eines Verfahrensmangels i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO; entsprechende Anwendung von § 126 Abs. 4 FGO im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde wegen eines Verfahrensmangels

 

Leitsatz (NV)

1. Die fehlerhafte Anwendung prozessualer Vorschriften stellt grundsätzlich einen materiell-rechtlichen Fehler (error in iudicando) dar. Mit der Rüge, das FG habe den Klageantrag nicht sachgerecht ausgelegt, wird daher kein Verfahrensverstoß geltend gemacht.

2. Bei der Prüfung, ob die Revision wegen Verfahrensmangels zuzulassen ist, sind entsprechend § 126 Abs. 4 FGO - ausgehend von der Rechtsauffassung des BFH - die Erfolgsaussichten einer künftigen Revision zu berücksichtigen. Dabei ist unerheblich, daß das FG die Klage als unzulässig abgewiesen hat, die Revision indes zu einer Klageabweisung aus sachlichen Gründen führen würde.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 126 Abs. 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehrte im Klageverfahren gegen den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Jahr 1988 (Streitjahr) den Ausgleichsbescheid vom ... dahin zu ändern, daß bei der Ermittlung der tariflichen Steuer ein Grundfreibetrag in Höhe der für die Familie des Klägers geltenden Sozialhilfesätze berücksichtigt wird.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung als unzulässig ab, der Kläger habe, da er die Sozialhilfesätze, nach denen der begehrte Grundfreibetrag bemessen werden solle, weder als Regelsätze noch als Höchstsätze konkretisiert habe, das Gericht nicht in die Lage versetzt, die Grenzen seiner Sachentscheidungsbefugnis zu bestimmen.

Mit der - ausdrücklich nur auf die Geltendmachung eines Verfahrensmangels i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten - Nichtzulassungsbeschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, rügt der Kläger, das FG habe allein deshalb die Klage als unzulässig abgewiesen, weil er die Höhe des begehrten Grundfreibetrags nicht beziffert habe. Hätte es den gestellten Klageantrag zur Kenntnis genommen, wäre die Klage als zulässig angesehen worden. Das Übergehen des Klageantrags stelle einen Verfahrensmangel dar, auf dem das angefochtene Urteil beruhe. Der betreffende Senat des FG habe in vielen Parallelfällen entsprechende Klageanträge als zulässig erachtet. In dieser Situation hätte der Vorsitzende darauf hinwirken müssen, daß ein sachdienlicher Antrag gestellt wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Der Kläger rügt zum einen sinngemäß, das FG habe seinen Klageantrag nicht sachgerecht ausgelegt und ihn zu Unrecht nicht für eine genügende Bezeichnung des Streitgegenstandes i.S. von § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO in der Fassung vor Inkrafttreten des FGO-Änderungsgesetzes ausreichen lassen. Ferner macht er geltend, der Vorsitzende des erkennenden Senats des FG habe ihn entgegen § 76 Abs. 2 FGO nicht auf die Stellung eines sachdienlichen Klageantrags hingewiesen.

Die zuerst genannte Rüge (unzureichende Bezeichnung des Streitgegenstandes) kann bereits deshalb nicht durchgreifen, weil es sich dabei - entgegen den Ausführungen des Klägers - nicht um die Bezeichnung eines Verfahrensmangels i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO handelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die fehlerhafte Anwendung prozessualer Vorschriften grundsätzlich als materiell-rechtlicher Fehler (sog. error in iudicando) zu beurteilen (BFH-Beschluß vom 10. November 1987 V B 19/85, BFH/NV 1988, 448; vgl. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Anm. 25 ff.).

Hinsichtlich der weiteren Rüge (Verletzung der Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO) macht der Kläger indes zu Recht geltend, daß das FG insoweit gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat, als der Vorsitzende des erkennenden Senats des FG ihn nicht auf die Stellung eines - nach der Rechtsauffassung des FG - sachdienlichen Klageantrages hingewiesen hat. Das Gericht hat insbesondere auf Prozeßhindernisse hinzuweisen und Überraschungsentscheidungen zu vermeiden. Dies gilt auch bei Vertretung durch Angehörige rechts- und steuerberatender Berufe (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 76 FGO Tz. 8). Der Kläger konnte nicht damit rechnen, daß das FG seinen Klageantrag als nicht ausreichend ansehen würde.

2. Die Beschwerde ist gleichwohl unbegründet. Es fehlt an der Voraussetzung, daß die angefochtene Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

Wie der Senat in dem Beschluß vom 26. Juni 1992 III B 72/91 (BFH/NV 1992, 722) entschieden hat, sind im Rahmen der Prüfung, ob die Revision wegen Vorliegens von Verfahrensverstößen zugelassen werden soll, in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO die Erfolgsaussichten einer künftigen Revision zu berücksichtigen, um im Interesse der Prozeßökonomie zu verhindern, daß eine Revision zugelassen wird, von der ohnehin feststeht, daß sie im Ergebnis keinen Erfolg haben kann (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 35). Die Prüfung, ob sich das FG-Urteil trotz eines eventuellen Verfahrensmangels aus anderen Gründen gemäß § 126 Abs. 4 FGO als richtig erweist, ist nach der Rechtsauffassung des Revisionsgerichts vorzunehmen (BFH/NV 1992, 722).

Unabhängig von den vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängeln könnte seine Revision deshalb keinen Erfolg haben, weil sich die Entscheidung des FG - trotz der dort vertretenen Meinung, die Klage sei unzulässig - im Ergebnis (die Klage hat keinen Erfolg) als zutreffend erweist.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluß vom 25. September 1992 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91 (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413) § 32a Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG - (auch) in der für das Streitjahr geltenden Fassung nicht für nichtig, sondern nur als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Die für verfassungswidrig erkannte Bestimmung bleibt mithin weiter anwendbar. Der vom Kläger angegriffene Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid erweist sich daher nicht deshalb als rechtsfehlerhaft, weil in ihm lediglich der Grundfreibetrag gemäß § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung berücksichtigt wurde. Bei dieser Sachlage wäre eine eventuelle Revision des Klägers, selbst wenn die von ihm erhobenen Rügen durchgreifen würden, nicht begründet.

Da sich der Kläger mit der Klage lediglich gegen die Höhe des berücksichtigten Grundfreibetrags gewandt hat, hätte bereits das FG - bei sachgerechter Auslegung des Klageantrags - die Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abweisen müssen.

Daß das FG die Klage als unzulässig abgewiesen hat, die Revision indes, wenn sie zugelassen würde, aus sachlichen Gründen keinen Erfolg haben könnte, führt nicht zur Zulassung der Revision. § 126 Abs. 4 FGO findet auch dann Anwendung, wenn der BFH zu dem Ergebnis gelangt, daß statt einer Klageabweisung als unzulässig eine Sachabweisung geboten gewesen wäre (BFH-Urteil vom 16. Dezember 1977 III R 35/77, BFHE 124, 477, BStBl II 1978, 383). Dementsprechend kann eine Beschwerde, mit der die Zulassung der Revision auf Verfahrensmängel gestützt wird, keinen Erfolg haben, wenn sich die Entscheidung - nach der Rechtsauffassung der Revisionsinstanz - als in der Sache richtig erweist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419856

BFH/NV 1994, 882

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