Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumte Revisionsbegründungsfrist: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (NV)

1. Wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt, ist substantiiert und in sich schlüssig vorzutragen, wie die Fristen im Büro des Prozessbevollmächtigen überwacht werden. Es ist insbesondere auch darzulegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d. h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die geeignet sind, die Nichtbeachtung der Fristen auszuschließen, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat.

2. Die Revisionsbegründungsfrist gehört nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen. Der Prozessbevollmächtigte ist daher bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet.

 

Normenkette

FGO § 54 Abs. 2, §§ 56, 116 Abs. 7, § 120 Abs. 2; ZPO § 222 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf (Urteil vom 24.02.2005; Aktenzeichen 14 K 5118/03 Kg)

BVerfG (Aktenzeichen 1 BvR 1092/07)

 

Tatbestand

I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit welcher der Kläger und Revisionskläger (Kläger) sich gegen die Rückforderung des ihm ausbezahlten Kindergeldes für seine Töchter P und C wendet und zugleich die Festsetzung von Kindergeld und Auszahlung an ihn für die Zeit ab Juni 2003 begehrt, als unbegründet ab.

Der Senat ließ die Revision gegen das Urteil des FG mit Beschluss vom 7. November 2005 III B 47/05 zu, welcher dem Kläger --vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten-- am 3. Dezember 2005 zugestellt wurde. Die Revisionsbegründung ging am 12. Januar 2006 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Zugleich begehrte der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Hinblick auf die versäumte Revisionsbegründungsfrist die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor, in seinem Büro hätte im Hinblick auf das Zustellungsdatum vom 3. Dezember 2005 zwar eine sog. "Vorfrist" für den 30. Dezember 2005 und eine "Notfrist" für den Fristablauf am 2. Januar 2006 notiert werden müssen. Dies habe die zuständige Mitarbeiterin aber versäumt, weil sie fehlerhaft angenommen habe, der auf dem Briefumschlag des BFH angebrachte Eingangsstempel vom 5. Dezember 2005 sei für die Fristberechnung maßgeblich. So habe sie die "Vorfrist" erst für den 2. Januar 2006 und die entsprechende "Notfrist" erst auf den 4. Januar 2006 notiert. Zum Zeitpunkt der Wiedervorlage der Akte bei ihm, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers, sei die Frist daher bereits abgelaufen gewesen. Als Beweis wurde eine Kopie des Briefumschlages des BFH eingereicht, auf dem das Zustellungsdatum vom 3. Dezember 2005 und der Posteingangsstempel vom 5. Dezember 2005 erkennbar sind.

Es sei ferner zu prüfen, ob es einer weitergehenden Revisionsbegründung im Hinblick auf die bereits gefertigte Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt bedurft hätte. Das Erfordernis einer weitergehenden Revisionsbegründung stelle insoweit nur eine unbeachtliche Formalität dar.

Der Kläger beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Revisionsbegründungsfrist zu gewähren und das FG-Urteil sowie die Bescheide vom 24. Februar 2005 und 13. April 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) zu verpflichten, dem Kläger für seine Kinder P und C ab Juni 2003 Kindergeld zu gewähren.

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§§ 124 Abs. 1 Satz 2, 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Hat der BFH der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, beginnt mit der Zustellung des Zulassungsbeschlusses die Frist zur Begründung der Revision zu laufen.

Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist die Vorlage einer Revisionsbegründung auch nach Zulassung der Revision durch den BFH gesetzlich vorgegeben (§ 116 Abs. 7 Satz 2 FGO), so dass darauf nicht verzichtet werden kann. Eine andere im Streitfall nicht entscheidungserhebliche Frage ist, ob und in welchem Umfang im Rahmen der Revisionsbegründung auf bereits eingereichte Schriftsätze Bezug genommen werden kann (vgl. hierzu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 61, 62, m.w.N.).

Die Revisionsbegründungsfrist beträgt einen Monat (§ 116 Abs. 7, § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO). Im Streitfall ist die Frist für den am 3. Dezember 2005 zugestellten Beschluss am 3. Januar 2006 abgelaufen.

Die erst am 12. Januar 2006 eingegangene Revisionsbegründung des Klägers war mithin verspätet, da eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist nicht beantragt worden war (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO).

2. Die von dem Kläger begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann nicht bewilligt werden.

a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 25. Juni 2003 XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589, m.w.N.). Hiernach schließt jedes Verschulden --also auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--).

b) Im Streitfall scheitert die Wiedereinsetzung daran, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers die vorgetragenen Wiedereinsetzungsgründe nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht hat.

aa) Wenn --wie im Streitfall-- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt wird, muss substantiiert und in sich schlüssig vorgetragen werden, wie die Fristen im Büro des Prozessbevollmächtigten überwacht werden. Es ist insbesondere auch darzulegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die geeignet sind, die Nichtbeachtung der Fristen auszuschließen, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (BFH-Beschlüsse vom 24. Januar 2005 III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312, und in BFH/NV 2003, 1589). Dabei ist zu beachten, dass die Revisionsbegründungsfrist nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehört. Der Prozessbevollmächtigte ist daher bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1312, m.w.N.).

Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers genügt nicht den genannten Anforderungen zur Feststellung der ordnungsgemäßen Überwachung der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist. Insoweit fehlt jegliche Darstellung des Prozessbevollmächtigten des Klägers zur regelmäßigen Handhabung der Fristenkontrolle in seinem Büro und zur Überprüfung seines Personals bei der Einhaltung der Fristen. Dem Senat ist es daher aus diesem Grunde schon nicht möglich, das Fehlen eines Organisationsmangels bei der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist festzustellen.

bb) Als präsentes Beweismittel i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 294 Abs. 2 ZPO hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers lediglich eine Ablichtung des Briefumschlages vorgelegt, der den am 3. Dezember 2005 zugestellten Beschluss des BFH III B 47/05 über die Zulassung der Revision enthielt. Es fehlt als weiteres mögliches Mittel der Glaubhaftmachung aber auch eine eidesstattliche Versicherung der Angestellten zur Richtigkeit der Sachverhaltsschilderung des Prozessbevollmächtigten des Klägers (BFH-Beschluss vom 13. Dezember 2001 X R 42/01, BFH/NV 2002, 533).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1716565

BFH/NV 2007, 945

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