Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine zulassungsfreie Revision wegen mangelnder Vertretung (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO) bei durch Bevollmächtigten unterlassener Vorlage der Prozeßvollmacht

 

Leitsatz (NV)

1. Eine zulassungsfreie Revision, weil der Beteiligte im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen sei (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO), kommt nicht in Betracht, wenn ein Steuerberater mit Billigung der Partei Klage erhoben, aber trotz Fristsetzung durch das FG keine Vollmacht vorgelegt und nach Ladung zur mündlichen Verhandlung daran nicht teilgenommen hat.

2. Die Fristsetzung zur Vollmachtsvorlage gegenüber dem angeblichen Prozeßbevollmächtigten ist wirksam (herrschende Meinung).

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 3, § 65 Abs. 2 S. 2, § 104 Abs. 1 S. 2, § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 120 Abs. 1 S. 1; VGFGEntlG Art. 3 § 1 S. 1

 

Tatbestand

Auf die von Steuerberater A namens der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhobene Klage mit dem Versprechen, Prozeßvollmacht nachzureichen, setzte der Berichterstatter beim Finanzgericht (FG) diesem mit Verfügung vom 7. April 1993 eine Frist von einem Monat zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens unter Hinweis auf § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie zur Einreichung der schriftlichen Originalvollmacht. Nach fruchtlosem Fristablauf wurde Termin zur mündlichen Verhandlung auf 6. August 1993 bestimmt, wozu der angebliche Prozeßbevollmächtigte mit dem Hinweis geladen wurde, daß die Klägerin nicht geladen worden sei. Nachdem zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen war, wurde die Klage mit anschließend verkündetem Urteil abgewiesen, weil sie mangels Einreichung der Prozeßvollmacht sowie hinreichender Bezeichnung des Klagebegehrens unzulässig sei. Mit noch am selben Tage beim FG eingegangenem Schriftsatz bestellte sich der jetzige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin unter Vorlage einer auf 9. August 1993 datierten Vollmacht mit dem Hinweis, die Klägerin habe von der Ladung zum Termin erst durch ein Schreiben von Steuerberater A vom 5. August 1993, das ihr nach der Verhandlung zugegangen sei, erfahren.

Mit der gegen das FG-Urteil, in dem die Revision nicht zugelassen und das dem Steuerberater A zugestellt wurde, eingelegten Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen Rechts (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO).

Zwar habe Steuerberater A mit ihrer Billigung Klage erhoben. Doch sei ihr durch einen Verfahrensfehler des FG die Möglichkeit zur Nachreichung der Prozeßvollmacht genommen worden. Denn das FG hätte zur mündlichen Verhandlung sie und nicht den vollmachtlosen Vertreter laden müssen; auch die Fristsetzung des FG sei unwirksam.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

1. Nach § 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Beides ist hier unstreitig nicht der Fall.

2. Auch die Voraussetzungen einer zulassungsfreien Revision i.S. des § 116 Abs. 1 FGO sind nicht, wie erforderlich, dargetan. Eine schlüssige Rüge im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn die zur Begründung des Verfahrensmangels vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - einen der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Verfahrensmängel ergeben (vgl. BFH-Beschluß vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850, Ziff.II 1 der Gründe m.w.N.). Dem ist hier nicht genügt.

Die Berufung der Klägerin auf § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO geht schon nach ihrem eigenen Vorbringen fehl. Denn hiernach bedarf es der Zulassung zur Einlegung der Revision nicht, wenn gerügt wird, daß ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat (vgl. dazu BFH-Urteil vom 11. Januar 1980 VI R 11/79, BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229, Ziff.3 der Gründe am Ende). Von letzterem ist die Klägerin selbst in der Revisionsbegründung mit der Einlassung ausgegangen, daß Steuerberater A die Klage mit ihrer Billigung erhoben habe. Infolgedessen scheidet auch die Anwendung des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO unter dem Gesichtspunkt aus, daß ein Nichtbevollmächtigter für die Klägerin aufgetreten sei (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. Juli 1990 VIII R1/90, BFH/NV 1991, 254 und vom 16. September 1991 IX R 43/91, BFH/NV 1992, 187). Der wesentliche Verfahresmangel dieser Vorschrift kommt nur in Betracht, wenn ein Verfahrensbeteiligter im Prozeß überhaupt nicht vertreten war (BFH-Beschluß vom 25. Juli 1979 VI R 3/79, BFHE 128, 176, BStBl II 1979, 654).

Das FG hat auch für die gemäß § 62 Abs. 3 FGO gebotene Vorlage einer schriftlichen Prozeßvollmacht entgegen der Ansicht der Klägerin dem Steuerberater A als ihrem Vertreter rechtswirksam eine Ausschlußfrist gesetzt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 3. Aufl., § 62 Tz. 52 und 70 sowie Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 14. Aufl., § 62 FGO, Tz. 12).

Ob die Ladung zur mündlichen Verhandlung nach Ablauf der Ausschlußfrist für die Vollmachtsvorlage auch an die Klägerin hätte erfolgen müssen, wie sie meint, kann unerörtert bleiben. Denn das FG verletzt keine Vorschriften über die Vertretung, wenn es die Klage abweist, weil die nach Art. 3 § 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) gesetzte Ausschlußfrist zur Vorlage der schriftlichen Vollmacht (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO) schuldhaft versäumt worden ist (BFH-Beschluß in BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850, 851); dasselbe gilt für die nunmehr nach § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO gesetzte Ausschlußfrist. Von schuldhafter Versäumung der Frist zur Vollmachtsvorlage ist hier auszugehen, weil sich die Klägerin das Verhalten ihres Vertreters zurechnen lassen muß und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht beantragt wurde (vgl. auch Beschluß in BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229, Ziff.4 der Gründe).

Der Mangel der Vollmacht kann auch im Revisionsverfahren nicht mehr behoben werden (BFH-Urteil vom 4. Juli 1984 II R 188/82, BFHE 142, 3, BStBl II 1984, 831, Ziff.1 der Gründe).

Der von der Klägerin herangezogene BFH-Beschluß vom 27. Januar 1988 IV R14/86 (BFHE 152, 196, BStBl II 1988, 447) betrifft einen wesentlich anders gelagerten Sachverhalt, in dem der Kläger selbst aus gesundheitlichen Gründen an der Terminswahrnehmung gehindert gewesen war.

Daß das FG-Urteil der Klägerin nicht zugestellt wurde, hat lediglich ihr gegenüber die Revisionsfrist nicht in Lauf gesetzt (vgl. BFH-Urteil vom 10. August 1976 VII R 95/75, BFHE 119, 391, BStBl II 1976, 689 und Beschlüsse vom 12. August 1981 I B 72/80, BFHE 134, 216, BStBl II 1982, 128, Ziff.II 1 der Gründe und in BFHE 142, 3, BStBl II 1984, 831).

 

Fundstellen

Haufe-Index 419675

BFH/NV 1994, 651

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