Entscheidungsstichwort (Thema)

(Erteilung einer Spontanauskunft an ausländische Finanzbehörden)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist dem BMF der Inhalt einer weiterzugebenden Auskunft bereits bekannt, so erfordert die Auskunftserteilung an eine ausländische Finanzbehörde keine Amtshandlung in einem Besteuerungsverfahren nach der AO 1977 i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 1 EGAHiG.

2. § 3 Abs. 1 Nr. 1 EGAHiG stellt nicht darauf ab, ob das BMF sich die bereits vorhandene Information in einem Besteuerungsverfahren rechtmäßigerweise beschaffen könnte, wenn es sie noch nicht hätte.

3. Die Spontanauskunft erfaßt auch Zufallserkenntnisse und Zufallsfunde, die innerhalb eines Steuerstrafverfahrens gewonnen werden und die in keinem Besteuerungsverfahren nach den Vorschriften der AO 1977 hätten mitgeteilt werden müssen.

4. Die Finanzgerichte sind nicht befugt, in einem Verfahren nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 EGAHiG zu prüfen, ob die eine Steuerfahndungsprüfung einleitende Durchsuchungsanordnung eines Amtsgerichtes nach § 102 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts oder aus sonstigen Gründen rechtswidrig ist.

 

Orientierungssatz

1. Ein FG ist nicht daran gehindert, einen Beschluß gemäß § 114 FGO mit dem Nichtbestehen des behaupteten Rechtsanspruchs zu begründen, wenn es die Rechtslage für eindeutig hält.

2. Ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 BGB analog für eine Spontanauskunft über im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens festgestellte Vermögenswerte und daraus erzielte Einkünfte kann sich nicht daraus ergeben, daß die zuständigen Behörden die Freigabe der beschlagnahmten Beweismittel unverhältnismäßig lange hinausgezögert haben.

3. Die Verfassungsbeschwerde wurde gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluß vom 5.11.1996, Az. 1 BvR 1533/95).

 

Normenkette

EGAHiG § 2 Abs. 2 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 30 Abs. 2; BGB § 1004; StPO § 102; AO 1977 § 30 Abs. 4 Nr. 1

 

Tatbestand

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist eine natürliche Person mit niederländischer Staatsangehörigkeit, die ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt ausschließlich in den Niederlanden hat.

Anläßlich eines Ermittlungsverfahrens gegenüber dem in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) lebenden Schwiegersohn des Antragstellers wurde Korrespondenz des Antragstellers über Konten und Depots in der Bundesrepublik und in der Schweiz aufgefunden und beschlagnahmt. Die Ermittlungsbehörden holten bei den betroffenen inländischen Banken weitere Informationen ein. Das zuständige Amtsgericht bestätigte die Beschlagnahme durch Beschluß vom 9. Februar 1987 (§§ 94, 98 Abs. 2 der Strafprozeßordnung --StPO--). Die Unterlagen wurden am 29. Januar 1990 im Original zurückgegeben.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (Bundesministerium der Finanzen --BMF--) teilte dem Antragsteller mit, daß er beabsichtige, die niederländische Steuerverwaltung über die Existenz der in der Bundesrepublik bzw. in der Schweiz geführten Konten und Depots und die daraus erzielten Erträge zu informieren. Der Antragsteller hat deshalb beim Finanzgericht (FG) den Erlaß einer einstweiligen Anordnung dahingehend beantragt, daß dem BMF untersagt werde, Auskunft über näher bezeichnete Vermögenswerte und die daraus erzielten Einkünfte zu erteilen.

Das FG hat den Antrag durch Beschluß vom 20. April 1994 abgelehnt. Der Beschluß wurde dem Antragsteller am 25. April 1994 zugestellt. Er legte am 6. Mai 1994 beim FG Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat.

Er beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des FG Köln vom 20. April 1994 6 V 809/93 dem BMF zu untersagen, der niederländischen Steuerverwaltung Auskünfte jedweder Art über einzeln benannte Vermögenswerte und die hieraus erzielten Erträge des Antragstellers zu erteilen.

Das BMF beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.

1. Die Beschwerde ist nicht schon deshalb begründet, weil das FG --wie der Antragsteller behauptet-- endgültig über den geltend gemachten Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) analog entschieden hat. Aus dem Verfahren gemäß § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ergibt sich, daß die angefochtene Vorentscheidung keine endgültige Entscheidung über den behaupteten Anspruch gemäß § 1004 BGB analog beinhaltet. Ungeachtet dessen ist ein FG nicht daran gehindert, einen Beschluß gemäß § 114 FGO mit dem Nichtbestehen des behaupteten Rechtsanspruchs zu begründen, wenn es die Rechtslage für eindeutig hält.

2. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 des EG-Amtshilfe-Gesetzes (EGAHiG) kann eine deutsche Finanzbehörde der zuständigen Finanzbehörde eines anderen EG-Mitgliedstaates ohne Ersuchen die in § 1 Abs. 2 EGAHiG bezeichneten Auskünfte erteilen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Vermutung rechtfertigen, daß Steuern dieses Mitgliedstaates verkürzt worden sind oder werden könnten. Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß Unterlagen des Antragstellers über von ihm in der Bundesrepublik und in der Schweiz geführte Konten und Depots von seinem in der Bundesrepublik lebenden Schwiegersohn aufbewahrt wurden. Das FG hat aus dieser tatsächlichen Feststellung die Schlußfolgerung abgeleitet, daß die Unterlagen deshalb in der Bundesrepublik aufbewahrt wurden, um sie dem Zugriff der niederländischen Finanzbehörden zu entziehen. Diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Schlußfolgerung rechtfertigt die Vermutung, daß niederländische Steuern verkürzt worden sein könnten. Soweit der Antragsteller die Vermutung des FG mit der Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs angreift, greift die Rüge nicht durch. § 2 Abs. 2 EGAHiG stellt auf eine Vermutung ab. Es reicht deshalb aus, wenn das Verhalten des Steuerpflichtigen nach der allgemeinen Lebenserfahrung den Rückschluß erlaubt, er wolle verhindern, daß die zuständigen Finanzbehörden Kenntnis von einem steuerlich relevanten Sachverhalt erlangen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die Auskunftserteilung ist zulässig (§ 30 Abs. 4 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--).

3. Der Auskunftserteilung steht § 3 Abs. 1 Nr. 1 EGAHiG nicht entgegen. Danach darf eine Auskunft nicht erteilt werden, wenn die dazu dienende Amtshandlung in einem Besteuerungsverfahren nach der AO 1977 nicht vorgenommen werden könnte oder einer allgemeinen Verwaltungsanweisung zuwiderlaufen würde. Im Streitfall erfordert die Auskunftserteilung keine zusätzliche ihr dienende Amtshandlung in einem Besteuerungsverfahren nach der AO 1977. Dem BMF ist der Inhalt der weiterzugebenden Auskunft bereits bekannt. Es muß sich keine Informationen mehr in einem Besteuerungsverfahren beschaffen.

4. § 3 Abs. 1 Nr. 1 EGAHiG stellt nicht darauf ab, ob das BMF sich die Information in einem Besteuerungsverfahren rechtmäßigerweise beschaffen könnte, wenn es sie noch nicht hätte. Nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO 1977 ist die Offenbarung der nach Absatz 2 erlangten Kenntnisse zulässig, wenn sie durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist. § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b und c AO 1977 bezieht sich auf die in einem Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat oder in einem Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit oder aus einem anderen Anlaß erhaltenen Kenntnisse. Die Vorschrift stellt nicht darauf ab, gegen welche Person sich das Verfahren richtete, in dem die Kenntnisse erlangt wurden. Sie stellt auch nicht darauf ab, ob die tatsächlich eingesetzten Zwangsmittel in einem Besteuerungsverfahren hätten eingesetzt werden können. Sie erfaßt ebenso Zufallserkenntnisse wie Zufallsfunde, die innerhalb eines Steuerstrafverfahrens gewonnen werden und die in keinem Besteuerungsverfahren nach Vorschriften der AO 1977 hätten mitgeteilt werden müssen. Ist die Beschlagnahme als solche rechtmäßig, so kommt es nicht darauf an, ob ein vergleichbares Zwangsmittel im Besteuerungsverfahren hätte eingesetzt werden können. § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO 1977 schützt nicht vor bestimmten Arten der Kenntniserlangung, sondern in Grenzen vor der Weitergabe erlangter Kenntnisse. § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a zweiter Halbsatz AO 1977 steht dem nicht entgegen. Der Streitfall betrifft keine Informationen, die der Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer Tat dient, die keine Steuerstraftat ist.

5. Es besteht auch bezüglich der Weitergabe der erlangten Kenntnisse kein Verwertungsverbot. Die FG sind nicht befugt, in einem Verfahren nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 EGAHiG zu prüfen, ob die eine Steuerfahndungsprüfung einleitende Durchsuchungsanordnung eines Amtsgerichtes nach § 102 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts oder aus sonstigen Gründen rechtswidrig ist. Diese Prüfung obliegt dem zuständigen Amtsgericht bzw. im Beschwerdeverfahren dem zuständigen Landgericht. Da beide Gerichte den vom Antragsteller eingelegten Rechtsbehelf zurückgewiesen haben, müssen die FG von der Tatbestandswirkung der Durchsuchungsanordnung ausgehen. Danach war den zuständigen Ermittlungsbehörden die Durchsuchung als solche und die Beschlagnahme der Korrespondenz erlaubt. Angesichts dieser Rechtslage ist für die Annahme eines Verwertungsverbotes kein Raum. Dasselbe würde voraussetzen, daß die Rechtswidrigkeit entweder der Durchsuchungsanordnung oder doch zumindest der Beschlagnahme der Korrespondenz in dem dafür vorgesehenen Verfahren festgestellt wurde (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Juni 1973 V R 64/72, BFHE 109, 500, BStBl II 1973, 716; vom 20. Februar 1990 IX R 83/88, BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789; BFH-Beschluß vom 10. März 1992 X B 18/91, BFH/NV 1992, 367). Aus den in dem vorgesehenen Verfahren getroffenen Entscheidungen folgt jedoch, daß sowohl die Informationsgewinnung als auch die Kenntnisnahme der Korrespondenz durch die zuständigen Behörden rechtmäßig waren. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß die beschlagnahmten Beweismittel letztlich für das inländische Strafverfahren ohne Beweisrelevanz geblieben sind. Dies macht ihre Beschlagnahme nicht rückwirkend rechtswidrig.

6. Die beabsichtigte Auskunftserteilung tangiert den Antragsteller auch nicht in dessen verfassungsrechtlich geschützter Freiheitssphäre (Art. 2 des Grundgesetzes --GG--). Die Informationen, deren Weitergabe beabsichtigt ist, beinhalten kein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis. Sie stellen den Antragsteller in der Öffentlichkeit nicht bloß. Sie tangieren dessen Intimsphäre nicht. Auf Seiten des Auskunftsempfängers unterliegen die Informationen einem Dienst- und Steuergeheimnis einerseits und einer Zweckbestimmung andererseits. Sie dürfen nur für Zwecke der Steuerfestsetzung, der Überprüfung von Steuerfestsetzungen und der Wahrnehmung gesetzlicher Kontroll- und Aufsichtsbefugnisse verwendet werden (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EGAHiG). Es ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt, weil die Auskunftserteilung sich nur auf solche Informationen bezieht, die der Antragsteller nach niederländischem Steuerrecht den niederländischen Finanzbehörden ohnehin hätte erteilen müssen.

7. Der erkennende Senat hält es nicht für erforderlich, gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bezüglich der Auslegung von Art. 8 Abs. 1 EG-Richtlinie 77/799/EWG vom 19. Dezember 1977 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 336 S.15) zu richten. Die Rechtmäßigkeit der Auskunftserteilung richtet sich in erster Linie nach dem EGAHiG. Der Inhalt der EG-Richtlinie 77/799/EWG wäre nur dann von Bedeutung, wenn die Bundesrepublik sie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hätte. Dies wäre nur dann der Fall, wenn in der Bundesrepublik keine Rechtsgrundlage für die Amtshilfe bestünde, zu der sie nach der EG-Richtlinie 77/799/EWG verpflichtet ist. Der Bundesrepublik ist es jedoch freigestellt, innerhalb ihrer verfassungsmäßigen Ordnung über die EG-Richtlinie 77/799/EWG hinausgehende Amtshilfe zu leisten.

8. Soweit der Antragsteller sein Begehren darauf stützt, daß die zuständigen Behörden die Freigabe der beschlagnahmten Beweismittel unverhältnismäßig lange hinausgezögert hätten, kann sich aus diesem Verhalten kein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 BGB analog ergeben. Das BMF muß sich dieses Verhalten nicht zurechnen lassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65662

BFH/NV 1995, 65

BStBl II 1995, 497

BFHE 177, 242

BFHE 1996, 242

BB 1995, 1455

BB 1995, 1455-1457 (LT)

DB 1995, 1447-1448 (LT)

DStZ 1995, 731-732 (KT)

HFR 1995, 631-632 (LT)

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