Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlassene Vorlage einer Rechtsfrage an den EuGH als Verfahrensfehler

 

Leitsatz (NV)

  1. Ein FG ist als erstinstanzliches Gericht nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.
  2. Ein pauschaler Vorsteuerabzug nach § 36 Abs. 1 UStDV 1993 ist aus Belegen über Erstattungen an Arbeitnehmer für Aufwendungen bei Einsatzwechseltätigkeit nicht zugelassen.
 

Normenkette

EGVtr Art. 234 Abs. 2, Art. 177 (jetzt Art. 234 EG); UStDV 1993 § 36 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3

 

Tatbestand

1. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zahlte seinen auf auswärtigen Baustellen beschäftigten Arbeitnehmern in den Streitjahren 1993 und 1994 sog. Auslösungen (zur Abgeltung für berufliche Mehraufwendungen bei Auswärtstätigkeit) und beanspruchte dafür pauschal den Vorsteuerabzug nach §§ 36 bis 38 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) 1993.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) setzte die Umsatzsteuer für 1993 und 1994 fest, ohne die erwähnten Vorsteuerbeträge zu berücksichtigen. Das FA wies den Einspruch des Klägers unter Hinweis auf § 37 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 5 UStDV 1993 zurück, weil die von ihm vorgelegten Belege keine Angaben über den Zweck der Reise enthielten und die Beträge nicht erkennbar seien, aus denen die Vorsteuerbeträge errechnet worden seien.

Die dagegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Zur Begründung legte es dar, dass ein pauschaler Vorsteuerabzug nach § 36 Abs. 1 UStDV 1993 nur für Erstattungen von Reisekosten bei Dienstreisen von Arbeitnehmern (§ 38 UStDV 1993) vorgesehen sei. Der Arbeitnehmer führe aber keine Dienstreise aus, wenn er an jeweils wechselnden Tätigkeitsstellen arbeite. Eine Dienstreise setze eine regelmäßige Arbeitsstätte an einem anderen Ort voraus. Eine Erweiterung des Dienstreisebegriffs für den pauschalen Vorsteuerabzug sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausgeschlossen. Nur auf der Grundlage des Dienstreisebegriffs, der Tätigkeiten an wechselnden Einsatzstellen seit 1972 nicht eingeschlossen habe (vgl. Abschn. 21 Abs. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien ―LStR― 1972), sei der Bundesminister der Finanzen (BMF) durch § 15 Abs. 8 Nr. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 ermächtigt worden, den pauschalen Vorsteuerabzug (§§ 36, 37 UStDV 1980) auf Leistungen bei Geschäfts- oder Dienstreisen (§ 38 UStDV 1980) zu begrenzen. Diese Abgrenzung sei bereits zuvor bei dem pauschalen Vorsteuerabzug für Reisekosten aufgrund von § 8 der Ersten Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung ―geändert durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Ersten Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung vom 18. Februar 1971 (BGBl I 1971, 123, BStBl I 1971, 125)― angewendet worden.

Die erwähnten Vorschriften verstießen nicht gegen Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), weil der Kläger nicht nach In-Kraft-Treten der Richtlinie 77/388/EWG vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen worden sei. Er könne den Vorsteuerabzug für an ihn erbrachte Leistungen bei Einsatzwechseltätigkeit nach den allgemeinen Vorschriften geltend machen. Ein etwaiger Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen könne allenfalls zur Unanwendbarkeit der §§ 36 ff. UStDV 1980/ 1993 führen, aber nicht zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieser Vorschriften.

Mit der Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) durch Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO). Das FG habe es unterlassen, das Verfahren auszusetzen (§ 74 FGO) und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) Fragen zur Auslegung von Art. 17 Abs. 6 Satz 3 der Richtlinie 77/388/EWG gemäß Art. 234 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der ab 1. Mai 1999 geltenden Fassung (EG), Art. 177 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der vor dem 1. Mai 1999 geltenden Fassung (EGV) vorzulegen. Zur Vorlage sei das FG verpflichtet gewesen, weil es wegen der Nichtzulassung der Revision gemäß Art. 234 Abs. 3 EG, Art. 177 Abs. 3 EGV letztinstanzliches Gericht gewesen sei. An dem Ausschluss vom Vorsteuerabzug für Einsatzwechseltätigkeit dürfe nach Art. 17 Abs. 6 Satz 3 der Richtlinie 77/388/EWG nur festgehalten werden, wenn bei In-Kraft-Treten der bezeichneten Richtlinie im Jahr 1977 entsprechende Regelungen im UStG oder in der UStDV bestanden hätten. Wegen der unterlassenen Vorlage sei ihm, dem Kläger, rechtliches Gehör versagt worden.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

a) Eine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) des FG scheidet aus.

Das FG ist als erstinstanzliches Gericht nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 234 Abs. 2 EG (Art. 177 Abs. 2 EGV) einzuholen. Mithin kann die Unterlassung der Vorlage kein Verfahrensfehler sein (ständige Rechtsprechung des BFH; vgl. Beschlüsse vom 12. Juli 1999 VII B 81/99, BFH/NV 1999, 1655; vom 11. März 1998 X B 49/97, BFH/NV 1998, 1091; Urteil vom 2. April 1996 VII R 119/94, BFHE 180, 231, BFH/NV 1996, 306**). Im Übrigen hat das FG im Einzelnen begründet, warum die nationale Regelung nicht gegen EG-Recht verstößt, so dass aus der Sicht des FG ―die für die Prüfung eines Verfahrensfehlers maßgeblich ist― für die vom Kläger angeregte Vorlage der Sache an den EuGH keine Veranlassung bestand.

b) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) hat der Kläger nicht beantragt.

aa) Aus dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung entnimmt der Senat als Rechtsmittelgericht auch keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass ein pauschaler Vorsteuerabzug nach § 36 Abs. 1 UStDV 1993 nicht aus Belegen über Erstattungen an Arbeitnehmer für Aufwendungen bei Einsatzwechseltätigkeit zugelassen ist (BFH-Beschluss vom 27. Oktober 1997 V B 151/96, BFH/NV 1998, 231, m.w.N.).

bb) Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt auch wegen Zweifeln über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht nicht in Betracht. Die von dem Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen betreffen die Auslegung des nationalen Rechts, weil er den Begriff der Dienstreise (§ 38 UStDV) weiter als das FA auslegt. Der Begriff der Dienstreise wird in der Richtlinie 77/388/EWG im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug nicht verwendet. Der Vorsteuerabzug bei Reisekosten nach Pauschsätzen war vor und nach In-Kraft-Treten der Richtlinie 77/388/EWG im UStG 1973/1980 bzw. der 1. UStDV in der Fassung von 1971 bzw. der UStDV 1980 von einer Dienstreise nach innerstaatlichem Verständnis abhängig.

 

Fundstellen

BFH/NV 2000, 999

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