Leitsatz (amtlich)

1. Im Verfahren über den Erlaß von HGA-Leistungen wegen ungünstiger Ertragslage ist eine Aussetzung der Vollziehung nicht möglich.

2. Zur Frage der Zuständigkeit des FG und der Passivlegitimation das FA, wenn während des gerichtlichen Verfahrens die örtliche Zuständigkeit für die Bearbeitung der HGA durch ministerielle Anordnung generell auf ein in einem anderen Gerichtsbezirk gelegenes FA übergeht.

 

Normenkette

AO a.F. § 266 Nr. 2; FGO § 38 Abs. 1, §§ 63, 66 Abs. 3, § 69 Abs. 3, 114, § 122 Abs. 1, § 184 Abs. 2 Nr. 3; LAG § 129

 

Tatbestand

Auf dem dem Bf. gehörenden Grundstück ruht HGA als öffentliche Last; der HGA-Bescheid ist unanfechtbar geworden. Dem für den Erlaßzeitraum 1956/1958 gestellten Erlaßantrag wegen ungünstiger Ertragslage gab das Finanzamt X (FA X) nur teilweise statt und wies den gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch am 18. Oktober 1965 als unbegründet zurück. Nachdem gegen die Einspruchsentscheidung am 8./11. November 1965 Berufung eingelegt worden war, wurde mit Schreiben vom 2. Januar 1966 beim Finanzgericht A (FG A) der Antrag gestellt, "das Gericht möge verfügen, daß die Vollziehung der Einspruchsentscheidung vom 18.10.1965 bis zur Entscheidung über die Klage vom 8.11.1965 ausgesetzt wird (§ 69 Abs. 3 FGO)". In den am 29. Juni 1966 vor dem FG A durchgeführten mündlichen Verhandlungen in der Aussetzungssache und in der Hauptsache wurde sowohl die Frage der Zuständigkeit des FG A als auch die Frage erörtert, ob das beklagte FA X noch der richtige Beklagte sei. Die Passivlegitimation des FA X erschien dem Gericht und den Beteiligten deshalb zweifelhaft, weil auf Grund der Verordnung des Finanzministers eines Landes über die Änderung der örtlichen Zuständigkeit für die Bearbeitung der HGA vom 10. März 1966 die Zuständigkeit für die Bearbeitung der HGA des Bf. mit Wirkung vom 1. Mai 1966 vom FA X auf das FA Y übergegangen war. Der Prozeßbevollmächtigte des Bf. stellte daraufhin in der mündlichen Verhandlung den Antrag, die Aussetzungssache an das für das FA Y zuständige FG B zu verweisen.

Das FG lehnte mit Beschluß vom 29. Juni 1966 den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Verfügung des FA X ab. Wegen des Sachverhalts verwies es auf sein am gleichen Tage ergangenes klagabweisendes Urteil in der HGA-Erlaßsache. Es verneinte das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts und verwies auch insoweit auf sein Urteil in der Erlaßsache. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Vollziehung des streitigen Verwaltungsakts für den Kläger eine unbillige Härte zur Folge haben könnte. Jedenfalls habe der Kläger hierzu nichts vorgetragen, sondern nur die rechtlichen Zweifel in bezug auf die Ablehnung seines Erlaßantrages in den Vordergrund gestellt. Mangels der nach dem Gesetz erforderlichen Voraussetzungen habe der Antrag daher zurückgewiesen werden müssen.

Mit der gegen diesen Beschluß eingelegten Beschwerde wurde beantragt, die Vollziehung der Verfügung des FA X bis zur Entscheidung über die Revision in der Hauptsache auszusetzen. Zur Begründung sei darauf hinzuweisen, daß mit der Revision neben falscher Rechtsanwendung auch Verfahrensmängel, insbesondere mangelndes rechtliches Gehör und mangelnde Sachaufklärung durch das FGA gerügt werden würden. So sei z. B. in dem angefochtenen Beschluß ausgeführt, es sei nicht dargetan, daß die Nichtaussetzung der Vollziehung eine unbillige Härte bedeuten würde. Eine Gelegenheit zum Vortrag, daß es sich bei der Nichtaussetzung der Vollziehung neben den rechtlichen Bedenken auch um unbillige Härte handeln könne, habe in der mündlichen Verhandlung nicht bestanden, da in ihr die Zulässigkeit der Klage, nicht aber das eigentliche Klagebegehren erörtert worden sei, was einen Verstoß gegen § 93 Abs. 1 FGO bedeute.

Das FA X als Bg. hat erklärt, in der Sache selbst teile es die Ansicht des FG A, es sei jedoch nach der Verordnung des Finanzministers vom 10. März 1966 seit dem 1. Mai 1966 nicht mehr der richtige Beklagte. Nach Auffassung des FA X sei infolge des generellen Übergangs der Zuständigkeit das FA Y am 1. Mai 1966 kraft Gesetzes, also ohne daß es einer entsprechenden Klageänderung bedürfte, in die Stellung des Beklagten eingerückt. Der Übergang der Zuständigkeit auf das FA Y habe die Wirkung, daß der in § 63 FGO bezeichnete Verwaltungsakt ab 1. Mai 1966 als vom FA Y erlassen bzw. abgelehnt anzusehen sei. Eine andere Auslegung des § 63 FGO wäre schon mit der auf das FA Y übergegangenen Ermittlungspflicht im Sinne des § 76 Abs. 3 FGO nicht in Einklang zu bringen. Vor allem aber könne ein etwaiges Leistungsurteil des FG A nur gegen dasjenige FA ergehen, das die ihm im Urteil auferlegte Verpflichtung erfüllen könne, und dieses FA sei ab 1. Mai 1966 allein das FA Y. Es hätte mithin das FA Y ab 1. Mai 1966 als Beklagter an dem Rechtsstreit beteiligt werden und das Urteil des FG A vom 29. Juni 1966 und sein Beschluß vom gleichen Tage nicht gegen das FA X, sondern gegen das FA Y ergehen müssen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG A zur anderweitigen Entscheidung.

Gericht der Hauptsache ist im Streitfall das Gericht, das für die Entscheidung über die Berufung gegen die Ablehnung des Erlasses von HGA-Leistungen gemäß § 129 LAG zuständig gewesen ist. Da die Ablehnung des Erlaßantrages vom FA X als dem damals zuständigen HGA-FA ausgesprochen wurde, war für die Entscheidung über die Berufung das FG zuständig, zu dessen Bezirk das FA X gehört; dies war das FG A (vgl. jetzt § 38 Abs. 1 FGO). Gemäß § 184 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist es auch für die Klage zuständig. Nachdem diese Sache bei dem FG A rechtshängig geworden war, bleibt gemäß § 66 Abs. 3 FGO dessen Zuständigkeit für die Hauptsache bestehen, auch wenn zwischenzeitlich Umstände eingetreten sind, die die Zuständigkeit eines anderen FG begründet hätten, wenn sie vor Rechtshängigkeit eingetreten wären (perpetuatio fori). Für die Entscheidung über den vom Bf. beim FG A gestellten Antrag vom 2. Januar 1966 war in jedem Fall das Gericht der Hauptsache zuständig, so daß die Vorinstanz sich mit Recht zur Entscheidung über den Antrag für zuständig gehalten hat.

Die Passivlegitimation des FA X ist von der Vorinstanz ebenfalls mit Recht bejaht worden. Der beim FG gestellte Antrag vom 2. Januar 1966 betraf eine Entscheidung, die als Hauptsache vor dem FG bereits anhängig war. Da das FA X für den Erlaß der ablehnenden Einspruchsentscheidung zuständig war, mußte sich die Berufung gegen dieses FA richten, welches damit gemäß § 266 Nr. 2 AO in der bis zum 31. Dezember 1965 geltenden Fassung Beteiligter im Verfahren über die Berufung wurde und dies gemäß § 122 Abs. 1 FGO auch in der Revisionsinstanz blieb. Ist aber das FA X in der Hauptsache Verfahrensbeteiligter geblieben, so muß dasselbe auch für das Verfahren über den Antrag vom 2. Januar 1966 gelten, zumal es im Zeitpunkt der Antragstellung für die HGA-Angelegenheiten des Bf. noch allgemein örtlich zuständig war und damit als Antragsgegner auch im Verfahren über den Antrag vom 2. Januar 1966 Beteiligter wurde. Diese Beteiligteneigenschaft ist für die Beschwerdeinstanz ebenso bestehen geblieben, wie die Passivlegitimation in der Revision der Hauptsache. Daß auf Grund der o. a. Verordnung des Finanzministers statt des FA X ab 1. Mai 1966 nunmehr das FA Y für die Bearbeitung der HGA örtlich zuständig ist, steht dem nicht entgegen, weil die genannte ministerielle Verordnung nicht Veränderungen in einem bereits anhängigen gerichtlichen Verfahren herbeizuführen vermag. Für die Prozeßführung und die Abwicklung der sich daraus ergebenden Angelegenheiten hat das FA X seine Zuständigkeit behalten, auch wenn für alle übrigen HGA-Angelegenheiten nunmehr das FA Y zuständig ist.

In der Sache selbst kann den Ausführungen der Vorinstanz nicht gefolgt werden. Das FG hat die Zulässigkeit des seinem Wortlaut nach gemäß § 69 Abs. 3 FGO auf Aussetzung der Vollziehung der Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 1965 gerichteten Antrags zwar bejaht, den Antrag aber nicht für begründet gehalten. Demgegenüber ist der Bundesfinanzhof (BFH) bereits in früheren Entscheidungen (vgl. Urteil III 325/59 S vom 21. Juli 1961, BFH 73, 497, BStBl III 1961, 446, und Beschluß I S 3/66 vom 26. April 1966, BFH 86, 55, BStBl III 1966, 359) davon ausgegangen, daß es nicht möglich ist, die Vollziehung einer einen Erlaßantrag ablehnenden Verwaltungsentscheidung auszusetzen. In dem Beschluß III B 18/66 vom 18. November 1966 (BFH 87, 335, BStBl III 1967, 142) hat der III. Senat in einem Fall, in dem in der Hauptsache ebenfalls der Erlaß von HGA-Leistungen wegen ungünstiger Ertragslage (§ 129 LAG) streitig war und der Abgabeschuldner gleichfalls beim FG die Aussetzung der Vollziehung dieser HGA-Leistungen beantragt hat, ausgesprochen, daß es schon rein begrifflich nicht möglich ist, die Vollziehung der den Erlaßantrag ablehnenden Verfügung auszusetzen. Dies ergebe sich bereits aus der Funktion der Aussetzung der Vollziehung. Hieran ist festzuhalten. Eine Aussetzung der Vollziehung ist nur bei solchen Verwaltungsakten möglich, die überhaupt vollziehbar sind. Vollziehbar im Hinblick auf die HGA-Leistungen ist im Streitfall ausschließlich der HGA-Veranlagungsbescheid, durch den die HGA-Leistungen festgesetzt und angefordert worden sind. Dieser Bescheid ist aber nicht angefochten, so daß insoweit die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 69 FGO fehlen. Angefochten ist hier nur der Bescheid bzw. die Einspruchsentscheidung, durch die der beantragte Erlaß der HGA-Leistungen abgelehnt wurde. Die Ablehnung des begehrten Erlasses ist aber in keiner Weise vollziehbar, denn vollzogen bzw. vollstreckt werden könnte nach Ablehnung des Erlaßantrages vielmehr wiederum nur aus dem -- unanfechtbar gewordenen -- HGA-Veranlagungsbescheid. Ist aber die Ablehnung des Erlaßantrages nicht vollziehbar, so ist kein Raum für eine Aussetzung der Vollziehung. Das FG konnte im Streitfall daher seine den Antrag ablehnende Entscheidung nicht darauf abstellen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts oder Anhaltspunkte für eine unbillige Härte vorlägen.

In dem Fall, daß die Behörde einen begehrten Erlaß ablehnt, kann, wie der Senat bereits in dem Beschluß III B 18/66, a. a. O., ausgesprochen hat, als unmittelbarer gerichtlicher Rechtsschutz nur die einstweilige Anordnung nach § 114 FGO in Betracht kommen. Der BFH hatte bereits früher im Geltungsbereich der AO mehrfach entschieden, es sei grundsätzlich davon auszugehen, daß der Steuerpflichtige das Rechtsmittel habe einlegen wollen, das zu dem von ihm angestrebten Erfolg führe (vgl. BFH-Urteile III 103/58 U vom 14. November 1958, BFH 68, 134, BStBl III 1959, 51; II 79/59 vom 1. März 1961, HFR 1961, 151; VII 11/63 vom 27. März 1963, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 249, Rechtsspruch 26; IV 425/60 vom 12. März 1964, HFR 1964, 356). Mit Rücksicht darauf, daß der seinem Wortlaut nach auf Aussetzung der Vollziehung gerichtete Antrag bereits am 2. Januar 1966, mithin also zu einer Zeit gestellt worden ist, in der Bedeutung und Tragweite der neuen Vorschrift des § 69 FGO noch weitgehend ungeklärt waren, hätte das FG den Antrag daraufhin prüfen müssen, ob er im Wege der Auslegung als auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung im Sinne des § 114 FGO gerichtet anzusehen sei. Der Senat hält es aus diesen Gründen für vertretbar, den in der Übergangszeit gestellten Antrag dahin auszulegen, daß der Bf. von dem angerufenen Gericht eine Entscheidung begehrte, die der Verwaltungsbehörde gebot, sich aller Maßnahmen zu enthalten, die auf die Einziehung des Teiles der unanfechtbar festgesetzten HGA-Leistungen gerichtet sind, deren Erlaß im Verfahren nach § 129 LAG streitig ist. Eine solche Maßnahme kann nur eine einstweilige Anordnung gemäß § 114 FGO darstellen. Da das FG dies verkannt hat, mußte die Entscheidung aufgehoben werden.

Durch die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Entscheidung wird das FG in die Lage versetzt, den Antrag des Bf. im Hinblick auf § 114 FGO zu prüfen. Der Senat hält sich nicht für befugt, auf Grund der gegen den Beschluß des FG gerichteten Beschwerde zu prüfen, ob das FG eine einstweilige Anordnung hätte erlassen oder den Antrag auch unter Berücksichtigung des § 114 FGO hätte zurückweisen müssen. Zwar kann der BFH nach § 128 FGO als Beschwerdegericht angerufen werden, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges als Gericht der Hauptsache (§ 114 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO) es abgelehnt hat, eine einstweilige Anordnung zu erlassen (ebenso Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 114, Randziffer 47; vgl. auch Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, § 123, Randziffer 26; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 123, Anm. C 6 c). Doch hat im vorliegenden Fall das FG nicht den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, sondern seine Entscheidung auf einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgestellt. Hiervon abgesehen, hält es der Senat nicht für tunlich, über den Antrag des Bf. zu befinden, ehe sich das FG mit der Frage befaßt hat, ob die Voraussetzungen des § 114 FGO vorliegen. Da die Vorinstanz den Antrag im Hinblick auf eine einstweilige Anordnung nicht geprüft hat, würde der BFH entgegen dem Gesetz praktisch erstinstanzlich über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung entscheiden und damit dem Bf. eine Instanz nehmen. Im übrigen erhält der Bf. durch die Zurückverweisung die Möglichkeit, unter Berücksichtigung des § 114 FGO und der darin angezogenen Regeln der ZPO zu prüfen, ob sein bisheriges Vorbringen ausreicht, seinem Antrag zum Erfolg zu verhelfen.

Es ist nicht zu verkennen, daß in den Verfahren über den Erlaß von Lastenausgleichsabgaben, in denen ein Rechtsanspruch auf Erlaß besteht, das Bedürfnis nach einem unmittelbaren gerichtlichen Rechtsschutz im gleichen Maße besteht wie in den Fällen, in denen § 69 FGO anzuwenden ist. Solange der Gesetzgeber keine Regelung trifft, die diesem Bedürfnis gerecht wird, bleibt als unmittelbarer gerichtlicher Rechtsschutz nur die einstweilige Anordnung. Im allgemeinen wird das Vorliegen der Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung gemäß § 114 FGO schwerer darzutun und zu begründen sein als das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung. Andererseits kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß das Bedürfnis für einen vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz in Fällen wie dem vorliegenden in erhöhtem Maße gerade auch im Hinblick darauf anzuerkennen ist, daß bei der HGA als einer auf dem Grundstück ruhenden öffentlichen Last stets die Möglichkeit einer Vollstreckung in das Grundstück gegeben ist. Die Gefahr einer solchen Vollstreckungsmaßnahme kann je nach Lage des Falles geeignet sein, die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO als gegeben anzusehen. Auch dies wird das FG bei seiner erneuten Entscheidung zu berücksichtigen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67713

BStBl II 1968, 443

BFHE 1968, 28

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