Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlerhafte Ausschlußfrist als Verfahrensmangel; Bezeichnung des Klagebegehrens; grundsätzliche Bedeutung

 

Leitsatz (NV)

1. Die fehlerhafte Anwendung von Ausschlußfristen kann einen Verfahrensmangel begründen. Zur Bezeichnung eines solchen Mangels müssen die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen -- als wahr unterstellt -- die Schlußfolgerung auf den behaupteten Verfahrensmangel rechtfertigen.

2. Soweit § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO n. F. anstelle des früher verwendeten Begriffes des Streitgegenstandes denjenigen des Klagebegehrens setzt, ist damit inhaltlich keine Änderung verbunden. Die in der bisherigen Rechtsprechung (seit dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99) an die Konkretisierung des Klagebegehrens gestellten Mindestanforderungen gelten fort. Danach genügt es nicht, ohne jede weitere inhaltliche Konkretisierung lediglich einen Aufhebungsantrag zu stellen.

 

Normenkette

FGO § 65 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3

 

Tatbestand

Der Bevollmächtigte der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhob Klage wegen Einkommensteuer 1987 und beantragte u. a. "den Einkommensteuerbescheid 1987 des FA vom 7. November 1991 und die Einspruchsentscheidung des FA vom 1. Juni 1992, zugestellt am 7. Juni 1992, ersatzlos aufzuheben".

Nachdem die angekündigte Klagebegründung trotz weiterer Aufforderung durch den Berichterstatter vom 17. Juli 1992 gemäß § 79 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht nachgereicht worden war, setzte dieser mit Verfügung vom 3. Februar 1993 eine einmonatige Ausschlußfrist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO n. F. zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens.

Mit Schriftsatz vom 12. November 1993 erklärte die Klägerin, ihres Erachtens sei das Klagebegehren in der Klageschrift bereits hinreichend bezeichnet worden und begründete im übrigen ihre Klage unter Bezugnahme auf beigefügte Schriftstücke.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab, weil die Klägerin vor Ablauf der Ausschlußfrist das Klagebegehren nicht i. S. von § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO hinreichend bezeichnet habe und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht komme.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. a) Nicht erkennbar ist, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt sich aus Art. 103 des Grundgesetzes (GG) ein Abwehranspruch zugunsten der Klägerin gegen eine Ungleichbehandlung ergeben soll, daß nämlich § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO in anderen Fällen in der von der Klägerin für richtig gehaltenen engeren Auslegung angewendet würde.

b) Die Beschwerde behauptet im übrigen lediglich einen Verfahrensmangel, legt ihn indessen nicht entsprechend den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 FGO schlüssig dar.

Die fehlerhafte Anwendung von Ausschlußfristen kann einen Verfahrensmangel begründen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 20. April 1989 VIII R 296--298/84, BFH/NV 1989, 798, 799; Urteil vom 9. April 1991 IX R 57/90, BFH/NV 1992, 51, 52). Zur Bezeichnung eines solchen Mangels müssen jedoch die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tat sachen -- als wahr unterstellt -- die Schlußfolgerung auf den behaupteten Verfahrensmangel rechtfertigen (BFH-Beschlüsse vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252, 253; vom 21. Mai 1992 III B 76/91, BFH/NV 193, 32, ständige Rechtsprechung).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.§

65 Abs. 1 Satz 1 FGO in der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung verlangte als zwingende Voraussetzung einer zulässigen Anfechtungsklage neben der Angabe des Klägers, des Beklagten und des angefochtenen Verwaltungsaktes auch die Bezeichnung des Streitgegenstandes. Zusätzlich sollten ein bestimmter Antrag enthalten sein und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben werden (§ 65 Abs. 1 Satz 2 FGO a. F.).

Der Große Senat des BFH (Beschluß vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99) hat zur Bezeichnung des Streitgegenstandes die Konkretisierung des Klagebegehrens verlangt. Hierfür war vorzutragen, worin die den Kläger treffenden Rechtsverletzungen liegen und inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt rechswidrig sein sollte. Diese Anforderungen sollen das Gericht in die Lage versetzen, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis zu bestimmen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Der Große Senat des BFH hat ferner bereits darauf hingewiesen, daß die durch Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) geschaffene Möglichkeit, Fristen zur Angabe von Tatsachen und Beweismitteln zu setzen, gerade eine hiervon unabhängige Pflicht des Klägers zur Konkretisierung seines Klagebegehrens voraussetzte.

Wie weit ein Klagebegehren zu substantiieren ist, hängt zwar von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere von dem Gesamtinhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes, der Steuerart und der Klageart ab. Die bloße Ankündigung eines bestimmten Klageantrags hat die Rechtsprechung aber noch nicht zur Konkretisierung genügen lassen (vgl. BFH-Urteile vom 16. März 1988 I R 93/84, BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895, 896; vom 25. September 1990 IX R 207/87, BFH/NV 1991, 397, 399; vom 14. Juli 1992 VIII R 86/89, BFH/NV 1993, 38, 39; vom 23. November 1988 X R 1/86, BFHE 155, 521, BStBl II 1989, 376, 379 zur notwendigen Unterscheidung zwischen Klagebegehren und Klageantrag; vom 12. Mai 1989 III R 132/85, BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846, 847; vom 28. Oktober 1987 I R 382/83, BFH/NV 1988, 255, 256; vom 6. März 1986 I R 301/82, BFH/NV 1986, 754; vom 10. Juni 1980 VIII R 128/77, BFHE 131, 178, BStBl II 1980, 696; ausführlich Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 65 FGO Bem. 1).

Soweit der I. Senat (Urteil vom 17. Oktober 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242; offen gelassen im Beschluß vom 28. Mai 1993 I B 22/93, BFH/NV 1994, 717; zur Kritik vgl. Martens, Steuerrechtsprechung in Karteiform -- StRK --, Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit, Rechtsspruch 52; Rößler, Deutsche Steuer-Zeitung -- DStZ -- 1991, 508 f.) es ausreichen lassen will für die Bestimmung des Klageantrags, wenn die anderweitig anzusetzende Besteuerungsgrundlage dem Betrag nach bezeichnet wird, nimmt der I. Senat zum einen ausdrücklich auf seine Entscheidung in BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895 Bezug, zum anderen waren neben einem bezifferten Klageantrag konkret zwei Streitpunkte bezeichnet. Im Kern betrifft die Entscheidung die in der Rechtsprechung verneinte Frage, ob zur Bezeichnung des Streitgegenstandes als Sachurteilsvoraussetzung eine Ausschlußfrist nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG gesetzt werden durfte (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 38, 39).

Im Gegensatz zur früheren Regelung in § 65 Abs. 2 FGO a. F. stellt die durch das zum 1. Januar 1993 in Kraft getretene FGO- Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109) in § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO neu eingefügte Frist zur Ergänzung der in Abs. 1 Satz 1 genannten Erfordernisse eine Ausschlußfrist dar (vgl. Lindberg in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 65 Rz. 18; BFH-Beschluß vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87, BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327, 331; BFH-Urteil in BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846, 848 zu § 65 Abs. 2 FGO a. F.).

Durch das FGO-Änderungsgesetz ist in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ebenfalls der Begriff "Streitgegenstand" durch die Tatbestandsvoraussetzung "Gegenstand des Klagebegehrens" ersetzt worden.

Der Gesetzgeber hat hiermit jedoch keine sachliche Änderung beabsichtigt (BTDrucks 12/1061, S. 14; von Groll/Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 65 Rz. 31), sondern die Auslegung und Anwendung der Vorschrift in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO lediglich von dem Meinungsstreit über den Streitgegenstand freihalten wollen (List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 65 FGO Rz. 34).

Die Rechtsprechung hat -- wie ausgeführt -- den in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO a. F. verwendeten Begriff des Streitgegenstandes stets im Sinne einer Konkretisierung des Klagebegehrens verstanden. Deshalb gelten nach einhelliger Rechtsprechung der FG (Urteile des FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, vom 7. April 1993 6 K 87/92, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1993, 805; FG Bremen vom 22. Juli 1993 192235 K 3, EFG 1994, 159; FG Hamburg vom 10. September 1993 II 5/93, EFG 1994, 160; FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, vom 16. September 1993 6 K 8/93, EFG 1994, 161; FG Köln vom 16. September 1993 4 K 4172/92, EFG 1994, 303; FG München vom 7. Oktober 1993 14 K 4557/88, EFG 1994, 404; Niedersächsisches FG vom 8. Juni 1993 VI 625/92, EFG 1994, 631; FG Hamburg vom 13. Januar 1994 I 17/92, EFG 1994, 843; FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, vom 17. Februar 1994 6 K 89/93, EFG 1994, 844; Schleswig-Holsteinisches FG vom 20. April 1994 II 51/94, EFG 1994, 935) und der ganz überwiegend im Schrifttum vertretenen Auffassung (von Groll/Gräber, a.a.O., § 65 Rz. 31, 46, 48; List, a.a.O., § 65 FGO Rz. 34; Lindberg in Schwarz, a.a.O., § 65 Rz. 1, 6, 12; zustimmend zur bisherigen Rechtsprechung auch Kühn/Kutter/Hofmann, a.a.O., § 65 FGO Bem. 1; kritisch zur bisherigen Rechtsprechung Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 65 FGO Rz. 4, und differenzierend bezüglich des neuen Begriffs des "Klagebegehrens", die jedoch eine Lückenfüllung für möglich halten, Rz. 7), die in der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Bezeichnung des Streitgegenstandes auch für die neue Fassung des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO fort.

Die durch einen Steuerberater vertretene Klägerin hat innerhalb der vom Berichterstatter zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO a. F. gesetzten Ausschlußfrist lediglich einen Aufhebungsantrag gestellt, ohne jegliche weitere Konkretisierung und damit den gesetzlichen Anforderungen zur Darlegung der Mindestvoraussetzungen einer Klage i. S. von § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht genügt. Es fehlt damit an einer schlüssigen Verfahrensrüge.

2. Die Beschwerde legt schließlich auch nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar (§ 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 FGO).

3. Eine Rechtssache hat nach ständiger Rechtsprechung des BFH grundsätzliche Bedeutung, wenn eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625, ständige Rechtsprechung). Die grundsätzliche Bedeutung muß dargelegt werden. Hierzu ist substantiiert in der Weise auf die Rechtsfrage einzugehen, daß konkret dargelegt wird, inwieweit die Rechtsfrage im allgemeinen Interesse an der Entwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig ist und aus welchen Gründen die erstrebte Revisionsentscheidung der Rechtsklarheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung dienen kann, ferner in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage ggf. umstritten ist. Die bloße Behauptung, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung, genügt hierfür nicht (BFH-Beschluß vom 19. März 1991 II B 122/90, BFH/NV 1992, 602).

Die Klägerin hat statt einer Beschwerde- eine Revisionsbegründung gegeben, indem sie eine unzutreffende Rechtsanwendung in einem konkreten Fall durch das FG behauptet. Das kann indessen nicht die Zulassung einer Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 FGO begründen (BFH- Beschluß vom 14. Oktober 1992 III B 16/92, BFH/NV 1993, 546).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420393

BFH/NV 1995, 886

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