Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Verfahrensmangel fehlender Urteilsgründe

 

Leitsatz (NV)

Ein Urteil leidet nicht bereits dann unter dem wesentlichen Verfahrensmangel fehlender Urteilsgründe, wenn Vorbringen der Beteiligten nicht im einzelnen erörtert wird.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in der Rechtsform einer KG den Groß- und Einzelhandel mit Kraftfahrzeugen und Ersatzteilen, Kraftstoffhandel und Autoreparatur. Geschäftsleitung, Verkaufsabteilung und Reparaturhalle befinden sich in X, Y-Straße 29.

Im Dezember 1985 erwarb die Klägerin das Erbbaurecht für das an ihr Betriebsgrundstück angrenzende Grundstück, um hierauf unterirdisch eine Lagerhalle für neue Pkw zu errichten. Das Erbbaurecht endet am 31. März 2011. Die Klägerin hat die Möglichkeit, zweimal eine Verlängerung um jeweils 20 Jahre zu verlangen. Erlischt das Erbbaurecht, kann der Erbbauverpflichtete die entschädigungslose Überlassung der auf dem Grundstück errichteten Baulichkeiten oder deren Beseitigung verlangen.

Die Klägerin errichtete eine unmittelbar an die Unterkellerung ihres eigenen Gebäudes angrenzende unterirdische Kfz-Abstellhalle. Die Halle ist bis zur Unterkellerung des Betriebsgebäudes Y-Straße 29 durchgebaut. Auf diesem Grundstück befinden sich auch die Zufahrtsrampe sowie sämtliche Anschlüsse zu Versorgungs- und Entwässerungsleitungen.

Die Klägerin bildete in ihren Bilanzen für die Streitjahre (1987 bis 1990) eine Rückstellung für die Beseitigung der Abstell halle. Die Höhe dieser Rückstellung berechnete sie nach Jahresraten, wobei sie von einer Beendigung des Erbbaurechts zum 31. März 2011 ausging. Als zu erwartende Kosten legte sie ihren Berechnungen die Schätzung eines Architektenbüros zugrunde.

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die Auffassung, die gebildete Rückstellung könne nicht anerkannt werden. Denn es sei ungewiß, ob der Erbbauverpflichtete die Beseitigung des Bauwerks oder vielmehr dessen entschädigungslose Übertragung verlangen werde. Darüber hinaus könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß das Erbbaurechtsverhältnis im Jahre 2011 beendet werde. Die Klägerin habe die Möglichkeit, das Erbbaurechtsverhältnis zweimal um 20 Jahre zu verlängern. Hiergegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage. Sie machte geltend, es müsse davon aus gegangen werden, daß die Erbbauverpflichteten die Beseitigung des Bauwerks ver langen würden. Es sei völlig unwahrscheinlich, daß sie die Möglichkeit der entschä digungslosen Übertragung beanspruchen würden. Denn das Bauwerk sei für sie nicht wirtschaftlich nutzbar und werde daher lediglich eine wirtschaftliche Belastung darstellen. Eine Verwendung als Tiefgarage sei wegen der Höhe von lediglich 2,40 m baurechtlich nicht zulässig. Darüber hinaus sei die Halle nur über das Betriebsgrundstück der Klägerin zu erreichen, so daß auch eine Zufahrt für eine selbständige Nutzung errichtet werden müsse. Jedenfalls müsse wegen Überschreitens der Grundstücksgrenzen ein Teil der Halle beseitigt werden, was voraussichtlich die Kosten für einen Totalabbruch übersteigen werde. Außerdem müsse von einer erheblichen Belastung des Bauwerkes aufgrund der Nutzung als Kfz-Abstellhalle ausgegangen werden. Auch von einer Verlängerung des Erbbaurechtsverhältnisses könne sie, die Klägerin, nicht ausgehen, weil die jetzigen Betriebsgebäude nicht mehr Anforderungen an einen modernen Kfz-Vertrieb entsprächen und deshalb eine Betriebsverlagerung geplant sei.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, eine (von mehreren) Voraussetzungen für die Passivierung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten sei, daß die Inanspruchnahme aus der Verbindlichkeit nach den am Bilanzstichtag gegebenen Verhältnissen wahrscheinlich sei (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 28. Juni 1989 I R 86/85, BFHE 157, 416, BStBl II 1990, 550).

Im Streitfall ergäben sich keine Anhaltspunkte, die eine Entfernungsverpflichtung als wahrscheinlich erscheinen ließen. Zwar könne nach dem Erbbaurechtsvertrag die Klägerin bei Vertragsende verpflichtet werden, die von ihr errichteten Gebäude auf ihre Kosten zu entfernen. Die Grundstückseigentümer könnten aber auch die Belassung der von der Klägerin errichteten Bauwerke verlangen. Demnach lasse sich an den Bilanzstichtagen der Streitjahre nicht absehen, ob es nach dem Erlöschen des Erbbaurechts zum Abbruch der Abstellhalle kommen werde. Demzufolge ergebe sich auch aus dem Erbbaurechtsvertrag nicht, zu welchem Handeln die Klägerin nach Erlöschen des Erbbaurechts verpflichtet werde.

Die Einwände der Klägerin führten zu keinem anderen Ergebnis. Bei den von ihr vorgebrachten Gründen wirtschaftlicher und baurechtlicher Art handle es sich um sub jektive Erwartungen, auf die es nicht ankomme. Zwar sei in der Rechtsprechung anerkannt, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch Rückstellungen für öffentlich-rechtliche ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden seien. Im Streitfall bestehe jedoch gegenüber der Klägerin keine hinreichend konkretisierte öffentlich-recht liche Verpflichtung bei Erlöschen des Erbbaurechts.

Soweit die Klägerin die Bildung der Rückstellung damit begründe, daß aus betriebswirtschaftlichen Gründen beabsichtigt sei, den Firmensitz zu verlagern, komme eine gewinnmindernde Rückstellung deshalb nicht in Betracht, weil es an einer wirtschaftlichen Verursachung der mit der Verlagerung des Firmensitzes zusammenhängenden Verbindlichkeiten zu den Bilanzstichtagen der Streitjahre fehle. An den Bilanzstichtagen sei die unternehmerische Entscheidung, den Betrieb zu verlagern, offensichtlich noch nicht getroffen gewesen.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie als wesentlichen Verfahrensmangel rügt, daß die Entscheidung des FG nicht mit Gründen versehen sei (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Das FG stütze seine Entscheidung darauf, daß die Verpflichtung der Klägerin zur Entfernung der Kfz-Abstellhalle angesichts der alternativen Verpflichtung zu deren entschädigungslosen Überlassung nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Zu dem Einwand der Klägerin, es könne nur davon ausgegangen werden, daß die Eigentümer die Beseitigung verlangen würden, führe das FG aus, daß es sich dabei lediglich um subjektive Erwartungen handele, auf die es nicht ankomme. Eine Begründung für diese das Urteil tragende These enthalte das Urteil nicht.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Der gerügte wesentliche Verfahrensmangel (§ 119 Nr. 6 FGO), bei dessen Vorliegen es einer Zulassung der Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht bedarf, ist nicht gegeben. Das Urteil des FG leidet nicht unter dem Mangel, daß es nicht mit Gründen versehen wäre.

Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO müssen Urteile begründet werden. Der Sinn des Begründungszwangs liegt darin, den Prozeßbeteiligten die Kenntnis darüber zu vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht (BFH-Urteil vom 26. Juni 1975 IV R 122/71, BFHE 116, 540, BStBl II 1975, 885, 886). Das erfordert nicht, daß jedes Vorbringen der Beteiligten im einzelnen erörtert werden muß.

Ein Verfahrensmangel i. S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 5, 119 Nr. 6 FGO ist demnach nicht allein darin zu sehen, daß im Urteil Gründe übergangen wurden, die das Gericht zwar hätte bedenken müssen, tatsächlich aber nicht bedacht hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Rdnr. 25 m. w. N.). Entsprechend dem beschriebenen Zweck der Urteilsbegründung kann von einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne der genannten Vorschrift vielmehr erst dann ausgegangen werden, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (BFH-Beschluß vom 28. April 1993 II R 123/91, BFH/NV 1994, 46).

Ein solcher Mangel ist im Streitfall nicht gegeben. Allerdings wird in den Urteilsgründen nicht im einzelnen ausgeführt, warum die von der Klägerin angeführten Gründe es nicht hinlänglich wahrscheinlich erscheinen lassen, daß die Eigentümer nach Beendigung des Erbbaurechtsverhältnisses den Abbruch der Abstellhalle verlangen würden. Das Urteil muß jedoch so verstanden werden, daß das FG seine These, es handle sich bei diesen Gründen um subjektive Erwartungen der Klägerin, für evident hielt. Das läßt sich daraus schließen, daß sich das FG, wenn auch ohne Fundstellennachweis, auf das Senatsurteil vom 12. Dezember 1991 IV R 28/91 (BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600) gestützt hat, das einen vergleichbaren Sachverhalt betraf (die Fundstelle findet sich in der Einspruchsentscheidung). Zum anderen hat das FG die Einspruchsentscheidung bestätigt, in der ausgeführt wird, warum das FA einen späteren Abriß der Halle für nicht wahrscheinlicher hielt als deren Übernahme durch die Eigentümer (vgl. Senatsbeschluß in der Sache IV B 47/94 vom heutigen Tag, vorstehend abgedruckt).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420449

BFH/NV 1995, 797

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge