Leitsatz (amtlich)

Der Senat hält daran fest, daß im Vorauszahlungsverfahren der Streitwert nach dem vollen streitigen Steuerbetrag zu bemessen ist, wenn der Rechtsstreit um den Grund und die Höhe der letztlich zu zahlenden Steuer geführt wird.

 

Normenkette

FGO § 140 Abs. 3

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe des Streitwerts bei der Kläge gegen einen Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheid.

Die Beschwerdeführer (Steuerpflichtigen) legten gegen den Bescheid, mit dem das FA die Einkommensteuer-Vorauszahlungen 1966 festsetzte, Beschwerde ein. Sie waren der Ansicht, die berichtigten Einkommensteuer-Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer-Jahresschuld 1966 müßten um den Betrag anteilig ermäßigt werden, der einen Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG betraf, weil diese Vorschrift verfassungswidrig sei.

Die Beschwerde blieb im wesentlichen ohne Erfolg. Das FG wies die Klage gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD als unbegründet kostenpflichtig zurück. Den Streitwert setzte das Gericht nicht fest.

Der Kostenbeamte beim FG legte der Kostenverfügung einen Streitwert zugrunde, der der vollen Höhe des Einkommensteuerbetrags entsprach, um den bei der Festsetzung der Einkommensteuer-Vorauszahlungen gestritten worden war. Hiergegen wandte sich der Steuerpflichtige mit der Erinnerung und beantragte, den Streitwert mit 10 v. H. des streitigen Betrags festzusetzen, weil das Vorauszahlungsverfahren gegenüber der Veranlagung nur vorläufigen Charakter habe. Das FG wies die Erinnerung gegen den Kostenansatz unter Berufung auf das Urteil des BFH IV 427/62 U vom 9. Juli 1964 (BFH 80, 154, BStBl III 1964, 530) als unbegründet zurück. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde ließ der Senat die Beschwerde gegen die Vorentscheidung wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.

Mit der Beschwerde tragen die Steuerpflichtigen vor, der hier zu entscheidende Sachverhalt weiche von dem ab, der dem BFH-Urteil IV 427/62 U (a. a. O.) zugrunde gelegen habe. Damals habe im finanzgerichtlichen Rechtsweg eine Rechtsfrage abschließend entschieden werden können. Im jetzigen finanzgerichtlichen Verfahren hätte dagegen nur die Verfassungsmäßigkeit des § 17 EStG festgestellt werden können, nicht aber die Unvereinbarkeit dieser Vorschrift mit dem GG. Die Steuerpflichtigen hätten daher im Verfahren vor dem FG keine abschließende Klärung der Rechtsfrage erlangen können. Daher sei es nicht gerechtfertigt, als Streitwert den vollen Steuerbetrag anzusetzen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Der Streitwert ist unter Berücksichtigung der Sachanträge nach freiem Ermessen zu bestimmen (§ 140 Abs. 3 FGO). Für die fehlerfreie Ausübung des Ermessens kommt es regelmäßig darauf an, das finanzielle Interesse des Klägers an der von ihm begehrten Entscheidung festzustellen.

Ohne Bedeutung für die Bemessung des Streitwerts im vorliegenden Falle ist der Vortrag der Steuerpflichtigen, mit der Einreichung der den Vorauszahlungsbescheid betreffenden Klage sei der Zweck verfolgt worden, dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung dieses Bescheides eine Grundlage zu geben. Nach den eindeutigen Anträgen ging es in dem Verfahren, für das der Streitwert festzustellen ist, darum, daß die Steuerpflichtigen den auf den Veräußerungsgewinn entfallenden anteiligen Einkommensteuerbetrag nicht zahlen wollten. Für die Bemessung des Streitwerts eines Verfahrens kommt es allein auf das finanzielle Interesse in diesem Verfahren an (vgl. dazu § 65 Abs. 1 FGO). Ob mit dem Verfahren weitere Zwecke für andere Verfahren verfolgt werden, hat dabei außer Betracht zu bleiben.

In den BFH-Urteilen IV 427/62 U vom 9. Juli 1964 (a. a. O.) und IV 188/62 U vom 15. Juni 1965 (BFH 83, 144, BStBl III 1965, 554) sprach der Senat aus, das finanzielle Interesse an der gerichtlichen Entscheidung sei im Vorauszahlungsverfahren ebenso wie im Veranlagungsverfahren der volle Betrag, um den gestritten werde. Denn der Sache nach gehe es bei einem Streit um Vorauszahlungen letzten Endes um eine den Grund und die Höhe der endgültigen Steuer betreffende Frage (ebenso BFH-Urteil I 263/61 vom 15. Januar 1964, nicht veröffentlicht, und Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster II B 662/67 vom 25. März 1968, NWB Fach 1/70 S. 43). Die in einem Vorauszahlungsverfahren getroffene Entscheidung sei zwar für das Veranlagungsverfahren nicht bindend. In der Praxis richte sich aber jedes FA nach einer im Vorauszahlungsverfahren getroffenen gerichtlichen Entscheidung. Die gerichtliche Entscheidung im Vorauszahlungsverfahren löse also mit anderen Worten die gleichen Folgen aus, wie eine Entscheidung im Veranlagungsverfahren. Diese Wirkung rechtfertigte es, als Streitwert den Betrag anzusetzen, um den unmittelbar gestritten werde.

Zu Unrecht meinen die Steuerpflichtigen, diese Erwägungen seien dann nicht zutreffend, wenn der Streit darum gehe, ob eine Vorschrift mit der Verfassung vereinbar sei. Denn der Streit geht, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift bestritten wird, ebenfalls darum, ob das FA den auf der umstrittenen Vorschrift beruhenden Anteil der Steuer zu Recht beansprucht. Unzutreffend ist insbesondere der Einwand der Steuerpflichtigen, sie hätten im finanzgerichtlichen Verfahren keine endgültige Entscheidung erreichen können, weil zu der Feststellung, ob eine Vorschrift mit dem GG vereinbar ist, nur das BVerfG befugt sei. Gerade das Gegenteil trifft zu. Eine Verfassungsbeschwerde hätten die Steuerpflichtigen erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erheben können. Die auf die Verfassungsbeschwerde ergehende Entscheidung des BVerfG hätte die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit des § 17 EStG mit dem GG bindend festgestellt (vgl. § 31 BVerfGG). Die so erwirkte Entscheidung hätte das FA nicht nur für das Vorauszahlungsverfahren, sondern auch für das Veranlagungsverfahren rechtlich gebunden. In einem solchen Fall greift also der Gedanke, daß die Entscheidung im Vorauszahlungsverfahren Auswirkungen für das Veranlagungsverfahren auslöst, voll durch.

Der Senat hat bereits in seinem die Beschwerde zulassenden Beschluß ausgesprochen, daß die bisher von ihm gegebene Begründung, weshalb auch im Vorauszahlungsverfahren der volle Streitwert anzusetzen sei, einer erneuten Überprüfung bedürfe. Bei der Begründung, das FA werde sich in der Praxis einer Entscheidung des Gerichts unterordnen, ging der Senat von Fällen aus, in denen eine für den Steuerpflichtigen günstige Entscheidung des Gerichts erging. Dann hatte der Steuerpflichtige in der Tat schon im Vorauszahlungsverfahren alles erreicht, was er erreichen wollte. Wird aber zu seinem Nachteil entschieden, so ist das nicht der Fall. Dennoch muß auch hier der volle Streitwert angesetzt werden. Denn hier muß umgekehrt unterstellt werden, daß der Steuerpflichtige sich einer vom Gericht bereits in derselben Sache gefällten Entscheidung beugen wird, so daß er also schon im Vorauszahlungsverfahren die gewünschte – wenn auch für ihn ungünstige – gerichtliche Klärung erreicht hat. Macht er dieselbe Frage dann dennoch erneut rechtshängig, so ist es gerechtfertigt, hierfür wiederum den vollen Streitwert anzusetzen, und der volle Ansatz im Vorauszahlungsverfahren wird dadurch nicht rückschauend ungerechtfertigt.

Es ist allerdings auch der Fall denkbar, daß es zu keiner Entscheidung im Vorauszahlungsverfahren kommt, nach der sich die Beteiligten dann richten könnten, etwa weil sie die Klärung der Frage bis zum Veranlagungsverfahren aufschieben wollten. Auch in diesen Fällen war aber vom Kläger zunächst eine Klärung erstrebt worden. Unterbleibt diese infolge seines eigenen Verhaltens oder desjenigen des FA, so kann das auf den Streitwert keinen Einfluß, sondern allenfalls kosten- oder gebührenrechtliche Folgen haben (vgl. §§ 138 Abs. 2, 141 FGO).

Für die Fälle, in denen im Verfahren gegen Vorauszahlungsbescheide der Rechtsstreit um den Grund und die Höhe der letztlich zu zahlenden Steuer geführt wird oder geführt werden sollte, hält der Senat mithin daran fest, daß als Streitwert der volle umstrittene Betrag anzusetzen ist.

Der Senat läßt dahingestellt, ob der Streitwert im Vorauszahlungsverfahren in allen Fällen auf den vollen Betrag zu bemessen sein wird. Anders als im vorliegenden Fall könnte die Sachlage möglicherweise zu beurteilen sein, wenn der Steuerpflichtige seine Steuerpflicht dem Grunde und der Höhe nach anerkennt und lediglich geltend macht, er müsse die Steuer zu einem späteren Zeitpunkt entrichten als vom FA gefordert. In einem solchen Fall könnte das finanzielle Interesse nach dem finanziellen Vorteil zu bemessen sein, der darin besteht, später zahlen zu müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 557421

BStBl II 1971, 206

BFHE 1971, 41

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