Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlaß einer Haftungsschuld nach § 227 AO 1977

 

Leitsatz (NV)

1. Zur grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache.

2. Eine Erlaßmaßnahme aus Billigkeitsgründen (§ 227 AO 1977) kommt bei Unanfechtbarkeit eines Haftungsbescheids nur in Betracht, wenn der Bescheid offensichtlich eindeutig fehlerhaft ist und der Haftungsschuldner das seinerseits Erforderliche getan hatte, um die richtige Festsetzung zu erreichen.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; AO 1977 § 227

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Die Nichtzulassungsbeschwerde betrifft eine Rechtssache, in welcher der Kläger die Erstattung des von ihm auf eine bestandskräftig festgesetzte Haftungsschuld gezahlten Betrags (38 877 DM) begehrt, und zwar im Weg des Erlasses aus Billigkeitsgründen (§ 227 AO 1977). Das FG hat die nach Ablehnung des Erstattungsbegehrens erhobene Klage abgewiesen; die Revision wurde nicht zugelassen.

Zur Begründung der Klageabweisung hat das FG ausgeführt, Erlaßmaßnahmen nach § 227 AO 1977 dürften nicht dazu dienen, die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes - hier des Haftungsbescheids - auszuhöhlen, indem über solche Erlaßmaßnahmen die Folgen schuldhafter Versäumnis eines Rechtsbehelfs ausgeglichen würden. Selbst bei offensichtlich fehlerhaft festgesetzten Steuerschulden komme deshalb eine Erlaßmaßnahme nur in Betracht, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar gewesen sei, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, weil der Kläger vom FA bereits vor Erlaß des Haftungsbescheides mehrfach zu einer Stellungnahme betreffend den Haftungstatbestand aufgefordert worden sei, diesen Aufforderungen nicht nachgekommen sei und schließlich auch die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Haftungsbescheid verabsäumt habe. Eine Erstattung aus persönlichen Billigkeitsgründen habe die Verwaltung ohne Ermessensverstoß abgelehnt, da der Kläger aus vermögenden Verhältnissen stamme und durch die Bezahlung der Haftungsschuld in seinem Lebensunterhalt nicht gefährdet sei.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wird geltend gemacht, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Diese bestehe darin, daß geklärt werden müsse, welches Verhältnis zwischen sachlichen und persönlichen Billigkeitsgründen bestehe, ob im Einzelfall bereits ein Erlaßgrund durchgreifen könne, wenn nur eine einzige Ermessensentscheidung in Frage komme (Ermessensreduzierung auf null) und schließlich, ob eine Billigkeitsmaßnahme nach § 227 AO 1977 ein vorheriges Rücknahmeverlangen des Steuerpflichtigen nach § 130 AO 1977 voraussetze.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache erfordert, daß die zur Entscheidung anstehende Rechtsfrage das - abstrakte - Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., Anm. 3 zu § 115 FGO mit Hinweisen). Eine abstrakte Rechtsfrage kann nur dann für die Entscheidung einer Rechtssache maßgeblich sein, wenn sie den tragenden Grund, die notwendige Basis für die Entscheidung über die Revision bilden kann. Das ist hier bei keinem der von dem Kläger angeführten Gesichtspunkte - dem Verhältnis zwischen sachlichen und persönlichen Erlaßgründen, der Möglichkeit des Durchgreifens eines der beiden und schließlich dem Verhältnis von § 227 und § 130 AO 1977 zueinander - der Fall. Denn eine Erlaßmaßnahme nach § 227 wegen sachlicher Härte kommt bei Unanfechtbarkeit des den Steuerpflichtigen belastenden Verwaltungsakts nur dann in Betracht, wenn zum einen der unanfechtbare Verwaltungsakt so offensichtlich und eindeutig fehlerhaft ist und - also kumulativ - der Steuerschuldner das seinerseits Erforderliche getan hat, um die richtige Festsetzung zu erreichen (vgl. Kühn/Kutter/Hofmann, a.a.O., Anm. 4 zu § 227 AO 1977 mit Hinweisen).

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse hat das FG die Ablehnung einer sachlichen Billigkeitsmaßnahme mit der Erwägung für ermessenskonform erachtet, daß es der Kläger trotz mehrfacher Auffordeeung durch die Verwaltung versäumt habe, zu den ihm bekanntgegebenen Steuerrückständen Stellung zu nehmen, und daß er schließlich sogar den Haftungsbescheid vom 19. Mai 1982 habe unanfechtbar werden lassen. Die Entscheidung des FG zur Frage der sachlichen Unbilligkeit beruht also auf einer Würdigung tatsächlicher Umstände, in erster Linie dem Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der Festsetzung der Haftungsschuld. Das Vorliegen einer persönlichen Härte - d.h. eine Unbilligkeit aus persönlichen Gründen - hat das FG mit der Begründung verneint, daß der Kläger durch die Begleichung der festgesetzten Haftungsschuld nicht in seiner Existenz gefährdet worden sei. Auch diese Entscheidung beruht auf einer Würdigung ausschließlich tatsächlicher Umstände des Streitfalles, hier der Vermögenslage des Klägers.

Es taucht somit bei der Beurteilung des Streitfalles unter keinem der beiden Erlaßgründe die Frage nach dem Verhältnis der verschiedenen Erlaßgründe untereinander oder dahin auf, ob bei Durchgreifen eines Erlaßgrundes nur noch eine einzige, mit dem Gesetz in Einklang stehende Alternativentscheidung denkbar ist (Fall der sog. Ermessensreduzierung auf null). Ebenso gibt die Streitsache keinen Anlaß, abschließend dazu Stellung zu nehmen, ob eine Erlaßmaßnahme erst gewährt werden kann, wenn die Verwaltung vorher die Rücknahme eines rechtswidrigen, unanfechtbar gewordenen Verwaltungsaktes abgelehnt hat (vgl. § 130 AO 1977), was im übrigen nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Juli 1977 VII R 99/74 (BFHE 122, 440, BStBl II 1977, 855) nicht angenommen werden kann (vgl. den dritten Absatz unter Ziff. 1 der Entscheidungsgründe). Die von dem Kläger angesprochenen Rechtsfragen sind mithin für die Entscheidung der vorliegenden Streitsache nicht tragend. Damit erweist sich die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415223

BFH/NV 1988, 212

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