Entscheidungsstichwort (Thema)

Ehrenamtlicher Richter als gesetzlicher Richter

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Verhinderung eines nach der Hauptliste berufenen ehrenamtlichen Richters wegen Kurantritts.

2. Zur Aufstellung einer Hilfsliste ehrenamtlicher Richter.

3. Berufung des nächsten auf der Hauptliste stehenden ehrenamtlichen Richters mangels anderweitiger Regelung in der Hilfsliste.

4. Auslegungsgrundsätze bei gerichtlichen Geschäftsverteilungsplänen.

 

Normenkette

FGO §§ 27, 116 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) wies durch Urteil vom 20. November 1984 die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) als unbegründet ab.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Revision ein. Er ist der Ansicht, das FG sei mit der Person des ehrenamtlichen Richters A nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Hierzu trägt er vor:

Dem Senat des FG Nürnberg, der in der Streitsache entschieden habe, liege eine Liste von 20 ehrenamtlichen Richtern für das Jahr 1984 vor, durchnumeriert von 1 bis 20. Bezüglich der Reihenfolge, in der diese Richter beim FG mitwirken sollen, enthalte der Geschäftsverteilungsplan 1984 folgende Regelung:

,,Die ehrenamtlichen Richter wirken in der sich aus den Senatslisten ergebenden Reihenfolge mit. Kann ein ehrenamtlicher Richter der Senatsliste (Hauptliste) nicht mehr mit einer Frist von einer Woche (gerechnet ab Absendetag) geladen werden, so ist der in der Reihenfolge der Hilfsliste des Senats anstehende ehrenamtliche Richter zu laden."

Der Senat des FG Nürnberg verfahre aufgrund dieser Regelung so, daß zur Sitzung die nächst anstehenden Richter aus der Hauptliste herangezogen würden. Zum Termin vom 20. November 1984, zu dem auch die vorliegende Streitsache angestanden habe, seien dementsprechend vier Wochen zuvor die ehrenamtlichen Richter B (Nr. 14) und C (Nr. 15) geladen worden. Der Richter B habe umgehend mitgeteilt, er könne am Sitzungstermin vom 20. November 1984 nicht teilnehmen, da er sich vom 19. November 1984 bis 14. Dezember 1984 auf einer Kur befinde. Daraufhin sei Nr. 16 der Hauptliste, der ehrenamtliche Richter A, geladen worden. Dieser habe auch tatsächlich an der Sitzung vom 20. November 1984 teilgenommen. Das Gericht sei wegen der Mitwirkung dieses Richters bei der Verhandlung und Entscheidung in der Streitsache am 20. November 1984 nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen.

a) Gesetzlicher Richter im Streitfall sei der ehrenamtliche Richter B gewesen. Dieser habe zwar darauf hingewiesen, daß er sich am 20. November 1984 auf Kur befinden werde. Ein echter Verhinderungsgrund habe aber nicht vorgelegen, weil jede Kur sich um zwei bis drei Tage verschieben lasse. Selbst wenn B die Kur rechtzeitig angetreten haben sollte, hätte er trotzdem an dem Termin vom 20. November 1984 teilnehmen können. Wegen dieser Frage hätte der Vorsitzende Richter mit dem ehrenamtlichen Richter B rechtzeitig Kontakt aufnehmen können und müssen. Das sei nicht geschehen.

b) Für den Fall der Verhinderung eines ehrenamtlichen Richters aus der Hauptliste bestimme der Geschäftsverteilungsplan des FG nur, welcher in der Reihenfolge heranstehende ehrenamtliche Richter aus der Hilfsliste zu laden sei, wenn ein ehrenamtlicher Richter der Hauptliste nicht mehr mit einer Frist von einer Woche, gerechnet ab Absendetag, geladen werden könne. Für den hier vorliegenden Fall einer sehr frühzeitigen Mitteilung der Verhinderung eines ehrenamtlichen Richters aus der Hauptliste, für den ein Ersatz mit einer Frist von etwa drei Wochen habe geladen werden können, enthalte der Geschäftsverteilungsplan keine Regelung. Beim FG sei es üblich, in einem solchen Fall den in der Hauptliste nächst anstehenden ehrenamtlichen Richter zu laden. Dieses Verfahren begegne aber erheblichen rechtlichen Bedenken. Denn nur eine ausdrückliche Regelung dieser Frage im Geschäftsverteilungsplan biete ein optimales Maß an Gewähr dafür, daß ein Rechtsuchender nicht seinem gesetzlichen Richter entzogen werde.

c) Die Regelung im Geschäftsverteilungsplan sei auch insoweit zu beanstanden, als durch sie die Inanspruchnahme der Hilfsliste nur in einem geringen Umfang in Betracht käme. Andererseits bestehe die zumindest theoretische Möglichkeit, daß ein ehrenamtlicher Richter der Hauptliste, der einem verhinderten Richter nachfolge, überhaupt nicht zum Zug käme. Denn würde die Hilfsliste auch bei einer Verhinderung in Anspruch genommen werden, die länger als eine Woche vor der Terminsladung bekannt sei, so würde der ehrenamtliche Richter, der verhindert sei, zum nächsten Termin, der anstehe, geladen werden können, bei nochmaliger Verhinderung zum übernächsten Termin und so fort.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Haftungsbescheid des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) vom 19. Februar 1976 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juli 1977 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig. Denn der Streitwert erreicht nicht die Grenze von 10 000 DM nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) in der für den Streitfall maßgebenden Fassung. Der Senat hat zudem die Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluß vom 5. März 1986 VI B 21/85 als unbegründet zurückgewiesen. Nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO bedarf es zwar keiner Zulassung zur Einlegung der Revision, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge genügt jedoch nicht diesen Anforderungen. Denn der ehrenamtliche Richter A hat hier zu Recht als der gesetzliche Richter i. S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) an Stelle des verhinderten Richters B an der mündlichen Verhandlung und an der Urteilsfindung mitgewirkt.

Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 16 FGO wirken ehrenamtliche Richter bei der mündlichen Verhandlung und Urteilsfindung mit gleichen Rechten wie Richter mit. Gemäß § 27 FGO bestimmt das Präsidium des FG vor Beginn des Geschäftsjahres durch Aufstellung einer Liste die Reihenfolge, in der die ehrenamtlichen Richter heranzuziehen sind. Für jeden Senat ist eine Liste aufzustellen, die mindestens 12 Namen enthalten muß. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift kann für die Heranziehung von Vertretern bei unvorhergesehener Verhinderung eine Hilfsliste ehrenamtlicher Richter aufgestellt werden, die am Gerichtssitz oder in seiner Nähe wohnen. Soweit ehrenamtliche Richter entsprechend diesen Grundsätzen zur Sitzung geladen sind und daran mitwirken, sind sie die gesetzlichen Richter im Sinne des vorgenannten Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Im Streitfall wurden diese Grundsätze vom Senat des FG Nürnberg beachtet. Unstreitig bestand für ihn eine Haupt- und Hilfsliste für die Berufung von ehrenamtlichen Richtern. Nach der in der Hauptliste festgelegten Reihenfolge waren die ehrenamtlichen Richter zur Sitzung zu berufen. Hiernach wurde auch für den Sitzungstag am 20. November 1984 verfahren, indem die nächst anstehenden ehrenamtlichen Richter B und C rechtzeitig zu diesem Termin geladen wurden. An die Stelle des verhinderten ehrenamtlichen Richters B trat der an nächster Stelle der Hauptliste stehende ehrenamtliche Richter A.

Die gegen die Mitwirkung des letztgenannten Richters geäußerten Bedenken des Klägers greifen nicht durch.

Der Vorsitzende Richter des FG konnte den ehrenamtlichen Richter B als verhindert ansehen, da dieser ihm mitgeteilt hatte, er werde sich vom 19. November 1984 bis 14. Dezember 1984 auf einer Kur befinden. Er hatte keine Veranlassung, diese Erklärung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, sondern er konnte davon ausgehen, daß sie der Wahrheit entsprach (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 22. November 1979 6 CB 56.79, Die öffentliche Verwaltung, 1980, 766; List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., Anm. 5 zu § 27 FGO und die dort erwähnte Entscheidung des BVerwG vom 27. Oktober 1961 VII C 26/61, BVerwGE 13, 147). Er brauchte auch nicht den ehrenamtlichen Richter B zu ersuchen, den Antritt seiner Kur wegen der Sitzung des Senats zu verschieben.

Ein ehrenamtlicher Richter aus der Hilfsliste konnte nicht an Stelle von B zur Sitzung berufen werden, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Denn dies wäre nach dem Geschäftsverteilungsplan nur zulässig gewesen, wenn ein ehrenamtlicher Richter der Hauptliste nicht mit einer Frist von einer Woche hätte geladen werden können. Wie der Kläger jedoch selbst vorträgt, hatte B so rechtzeitig auf seine Verhinderung hingewiesen, daß zur Ladung des an seine Stelle tretenden ehrenamtlichen Richters A ein längerer Zeitraum als eine Woche zur Verfügung stand.

Mangels anderweitiger Regelung im Geschäftsverteilungsplan wurde für den ehrenamtlichen Richter B der nächste auf der Hauptliste stehende ehrenamtliche Richter A (Nr. 16) zur Sitzung geladen. Diese Handhabung ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. List a. a. O., unter Hinweis auf Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl., § 30, Rdnr. 3; Schunk/De Clerck, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl., § 30, Anm. 2b; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 27, Tz. 4). Entgegen der Ansicht des Klägers brauchte diese Frage im Geschäftsverteilungsplan nicht besonders geregelt zu sein. Denn wie ein Gesetz so ist auch ein gerichtlicher Geschäftsverteilungsplan einer Auslegung durch die Gerichte zugänglich (BVerwG-Beschluß vom 31. Mai 1976 IV CB 24.76, Bayerische Verwaltungsblätter 1976, 569; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 2. Oktober 1984 1 BvR 279/84). Die Handhabung des FG entsprach zudem - wie auch der Kläger einräumt - der dort ,,gewachsenen Übung", der für die Auslegung eines Geschäftsverteilungsplans maßgebliche Bedeutung zukommt (BVerwG-Beschluß in Bayerische Verwaltungsblätter 1976, 569, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG).

Zur Beantwortung der Frage, ob im Streitfall das erkennende Gericht vorschriftsmäßig i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO besetzt war, kommt es nicht darauf an, in welchem Umfang eine Inanspruchnahme eines Richters auf der Haupt- und der Hilfsliste in Betracht kommen kann. Eines Eingehens hierauf bedarf es daher nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414455

BFH/NV 1986, 548

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