Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel bezüglich der Bewertung eines Grundstücks-Kaufrechtsvermächtnisses

 

Leitsatz (NV)

Es bestehen ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 FGO, ob bei der erbschaftsteuerlichen Bewertung eines durch Vorausvermächtnis zugewandten Rechts auf den Erwerb eines Grundstücks von dem Verkehrswert des Grundstücks oder von dessen Steuerwert (Einheitswert zuzüglich 40 v.H.) auszugehen ist.

 

Normenkette

FGO § 69; ErbStG § 12; BewG § 9

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) und seine Schwester sind je zur Hälfte Erben der 1991 verstorbenen Erblasserin. Zum Nachlaß gehörte u.a. ein Grundstück mit einem Steuerwert (Einheitswert zuzüglich 40 v.H.) von 46480 DM und einem Verkehrswert von 185000 DM. Die Erblasserin hatte dem Antragsteller testamentarisch das Übernahmerecht an der der Schwester zugefallenen Grundstückshälfte zum Anschlagswert (Übernahmepreis) von 2/3 des Verkehrswerts eingeräumt. Der Antragsteller übte dieses Übernahmerecht durch notariell beurkundeten Vertrag vom 25. Februar 1992 aus und bezahlte als Gegenleistung an seine Schwester den Betrag von 61666,66 DM.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) sah in dem Übernahmerecht ein Kaufrechtsvermächtnis (Vorausvermächtnis). Das FA bewertete den Erwerb mit dem Unterschiedsbetrag zwischen dem hälftigen Verkehrswert des Grundstücks (92500 DM) und dem Übernahmepreis (61667 DM), d.h. mit 30833 DM, und setzte die Erbschaftsteuer unter Einbeziehung des Vermächtnisses fest.

Der Antragsteller vertritt demgegenüber die Auffassung, daß der Wert des Kaufrechtsvermächtnisses mit 0 DM anzusetzen sei, da nicht vom (hälftigen) Verkehrswert, sondern vom Steuerwert des Grundstücks auszugehen sei und der Übernahmepreis den halben Steuerwert (23240 DM) übersteige. Das FA hat über den Einspruch des Antragstellers gegen den (geänderten) Erbschaftsteuerbescheid vom 28. Juli 1993 noch nicht entschieden. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids lehnte das FA unter Hinweis auf den Erlaß des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 26. Januar 1993 S 3811/6 (Felix/Carlé, Steuererlasse in Karteiform - StEK -, Erbschaftsteuergesetz, § 3 Nr. 14) ab. Daraufhin beantragte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids teilweise auszusetzen.

Dieser Antrag hatte Erfolg. Das FG bejahte ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids und setzte die Vollziehung der Erbschaftsteuer insoweit aus, als die Steuer auf das Vorausvermächtnis entfällt. Es sei bisher nicht geklärt, ob das mit dem Kaufrechtsvermächtnis zugewendete Erwerbsrecht bezüglich eines Grundstücks nach § 12 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) i.V.m. § 9 des Bewertungsgesetzes (BewG) mit dem gemeinen Wert (Verkehrswert) oder nach § 12 Abs. 2 ErbStG mit 140 v.H. des Einheitswerts des Grundstücks anzusetzen sei. Der Auffassung der Finanzverwaltung, das Erwerbsrecht sei mit dem gemeinen Wert anzusetzen, der sich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen dem gemeinen Wert des zu erwerbenden Gegenstands und dem Wert der zu erbringenden Gegenleistung ergebe, stünden die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil vom 12. Juli 1961 II 164/59 S, BFHE 73, 343, BStBl III 1961, 391) sowie die herrschende Meinung in der Literatur gegenüber, wonach beim Kaufrechtsvermächtnis eine Bereicherung des Erwerbers nur insoweit gegeben sei, als der Steuerwert des zu erwerbenden Gegenstandes den zu zahlenden Kaufpreis übersteigt. In Anbetracht der neueren BFH-Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 6. Dezember 1989 II R 103/86, BFHE 159, 542, BStBl II 1990, 434; vom 10. April 1991 II R 118/86, BFHE 164, 448, BStBl II 1991, 620; vom 26. Juni 1991 II R 117/87, BFHE 164, 464, BStBl II 1991, 749; vom 23. Oktober 1991 II R 77/87, BFHE 166, 376, BStBl II 1992, 248; vom 11. Dezember 1991 II R 49/89, BFHE 165, 442, BStBl II 1992, 260, 262, und vom 27. November 1991 II R 12/89, BFHE 166, 387, BStBl II 1992, 298), wonach Sachleistungsansprüche aus noch nicht voll abgewickelten gegenseitigen Verträgen mit dem gemeinen Wert anzusetzen seien, sei zwar fraglich, ob an der bisherigen Auffassung zur Bewertung des Kaufrechtsvermächtnisses festgehalten werden könne. Der BFH habe es im Urteil in BFHE 164, 448, BStBl II 1991, 620 offen gelassen, ob die neue Rechtsprechung zur Bewertung von Sachleistungsansprüchen auch auf die Bewertung einseitiger Forderungen und Verpflichtungen (z.B. Vermächtnisanspruch auf Übertragung eines Grundstücks) anwendbar sei. Nach dem BFH-Urteil in BFHE 159, 542, BStBl II 1990, 434 spreche manches dafür, bei einseitigen Sachleistungsverpflichtungen den Einheitswert zuzüglich 40 v.H. zugrunde zu legen. Die Rechtslage sei nach alledem unklar. Dies reiche aus, um ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids i.S. des § 69 Abs. 3 FGO anzunehmen.

Mit seiner Beschwerde beantragt das FA, unter Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses des FG den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids abzuweisen. Das FA begründet seine Beschwerde im wesentlichen wie folgt: Der BFH habe mit seinem Urteil in BFHE 164, 448, BStBl II 1991, 620 unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, daß Sachleistungsverpflichtungen und Sachleistungsansprüche bei schwebenden Geschäften nicht mehr mit dem Steuerwert der zu leistenden Sache zu bewerten seien, und zwar auch dann nicht, wenn das gegenseitige Geschäft auf Übertragung von Grundbesitz gerichtet sei. Bei Zuwendung eines Kaufrechtsvermächtnisses sei Gegenstand des Erwerbs nicht der Übereignungsanspruch bzw. die Gegenleistungsverpflichtung, sondern das zugewandte Erwerbsrecht. Das Entstehen des Übereignungsanspruchs und der Verpflichtung zur Gegenleistung sei von der Ausübung des Erwerbsrechts abhängig; diese Ansprüche seien, da sie gegenseitig miteinander verknüpft seien, keine einseitigen Ansprüche i.S. der BFH-Rechtsprechung. Infolgedessen sei das dem Antragsteller zugewandte Erwerbsrecht gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG mit dem gemeinen Wert anzusetzen, da in § 12 Abs. 2 bis 6 ErbStG nichts anderes bestimmt worden sei. An der Rechtmäßigkeit des Erbschaftsteuerbescheids bestünden daher keine Zweifel.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht die Vollziehung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids insoweit ausgesetzt, als das FA bei der Berechnung des Wertes des dem Antragsteller zugewandten Vorausvermächtnisses vom Verkehrswert des Grundstücks ausgegangen ist. Denn insoweit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Erbschaftsteuerbescheids (§ 69 Abs. 3 i.V.m. § 2 FGO).

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes sind zu bejahen, wenn bei summarischer Überprüfung des Bescheids neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklar- heiten in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (s. BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182).

Im Streitfall hat das FG zutreffend dargelegt, daß die Rechtsfrage, ob bei der erbschaftsteuerlichen Bewertung des dem Antragsteller testamentarisch vermachten Erwerbsrechts von dem gemeinen Wert des Grundstücks oder von dessen Steuerwert auszugehen ist, von der bisherigen Rechtsprechung des BFH und von der herrschenden Meinung in der Literatur einerseits sowie von der Finanzverwaltung andererseits unterschiedlich beurteilt wird.

Nach § 12 Abs. 1 ErbStG richtet sich die Bewertung, soweit nicht in § 12 Abs. 2 bis 6 ErbStG etwas anderes bestimmt ist, nach den Allgemeinen Bewertungsvorschriften des Ersten Teils des BewG. Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß ein testamentarisch eingeräumtes Kaufrechtsvermächtnis, für das als solches kein Einheitswert i.S. des § 12 Abs. 2 ErbStG festgestellt wird, gemäß § 9 BewG mit dem gemeinen Wert anzusetzen ist; dieser wäre dann in der Höhe anzunehmen, um den der gemeine Wert des Gegenstandes - im Streitfall der halbe Verkehrswert des Grundstücks - den Wert der zu erbringenden Gegenleistung übersteigt. Für diese Lösung spricht, daß es zunächst - wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 164, 448, BStBl II 1991, 620, 622 ausgeführt hat - keinen zwingenden Grund gibt, den bei der Bewertung des Grundbesitzes nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 ermittelten Einheitswert über den eigentlichen Bewertungsgegenstand hinaus auf Sachleistungsverpflichtungen und -ansprüche zu übertragen.

Andererseits hat der Senat in diesem Urteil auch darauf hingewiesen, daß der Ansatz eines Sachleistungsanspruchs mit dem für den zu leistenden Gegenstand maßgebenden Steuerwert (vgl. hierzu Urteil vom 3. März 1978 III R 7/76, BFHE 125, 75, BStBl II 1978, 398) gerechtfertigt sein könnte, wenn dadurch im Ergebnis die Besteuerung des Sachleistungsgläubigers und des Sachleistungsverpflichteten im Hinblick auf die bestehende Unterbewertung des Grundbesitzes zu einem gerechteren Ergebnis führte. Der Senat hat dementsprechend die Frage der Bewertung einseitiger Forderungen und Verpflichtungen (z.B. Vermächtnisanspruch auf Übertragung eines Grundstücks) ausdrücklich offengelassen. Zwar weist das FA zu Recht darauf hin, daß bei der Zuwendung eines Kaufrechtsvermächtnisses nicht der Übereignungsanspruch als solcher, sondern das Erwerbsrecht zugewendet wird; das Entstehen des Übereignungsanspruchs und der Verpflichtung zur Gegenleistung sind danach bei der Zuwendung des Kaufrechtsvermächtnisses von der Ausübung des Erwerbsrechts abhängig. Doch erscheint es bei summarischer Prüfung zweifelhaft, ob dieser (bürgerlich-rechtliche) Unterschied zwischen einem Kaufrechtsvermächtnis und einem unmittelbar auf die Übereignung eines Grundstücks gerichteten Vermächtnis eine unterschiedliche erbschaftsteuerliche Behandlung mit der Folge rechtfertigt, daß im Falle des Kaufrechtsvermächtnisses bei der Bewertung des Erwerbsrechts vom Verkehrsrecht (gemeiner Wert) des Grundstücks auszugehen ist, während der durch ein reines Grundstücksvermächtnis unmittelbar zugewandte Übereignungsanspruch mit dem (niedrigeren) Steuerwert des Grundstücks angesetzt wird. Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Ergebnisses können sich daraus ergeben, daß der Vermächtnisnehmer eines reinen Grundstücksvermächtnisses steuerlich unter Umständen wesentlich weniger belastet würde als der Begünstigte eines Kaufrechtsvermächtnisses, obwohl dieser einen Kaufpreis entrichten muß; außerdem wären die Erben beim Kaufrechtsvermächtnis besser gestellt als im Falle des reinen Grundstücksvermächtnisses, obgleich ihnen die Weggabe des Grundstücks entgolten wird (vgl. hierzu Moench, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, § 3 Rdnr. 71). Dem entspricht es, wenn nach herrschender Ansicht in der Literatur - worauf das FG zutreffend hingewiesen hat - beim Kaufrechtsvermächtnis der Anspruch des Vermächtnisnehmers mit dem Steuerwert des zu verkaufenden Gegenstandes abzüglich des Kaufpreises angesetzt werden soll (vgl. Meincke, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, 9. Aufl. § 3 Rdnr. 44; Troll, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 10 Rdnr. 8 und § 12 Rdnr. 21; Kapp, Kommentar zum Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 10. Aufl., § 3 Rz. 177, 178; Petzoldt, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, 2. Aufl., § 3 Rdnr. 78; Moench, a.a.O., § 3 Rdnr. 71). Es kann im Rahmen der summarischen Überprüfung im Aussetzungsverfahren dahingestellt bleiben, ob diese Literaturauffassung im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des BFH zu den Sachleistungsansprüchen noch zu folgen ist. Das FG ist jedenfalls zu Recht von einer gegenwärtig unklaren Rechtslage ausgegangen, deren Klärung im summarischen Verfahren nicht zu erwarten ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419906

BFH/NV 1994, 794

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