Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtberücksichtigung klägerischen Vorbringens durch das FG

 

Leitsatz (NV)

1. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Vorschrift verpflichtet das FG, u. a. auch den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. Urteile des BFH vom 15. Dezember 1987 II R 130/85, BFH/NV 1989, 230, und vom 6. Dezember 1978 I R 131/75, BFHE 126, 339, BStBl II 1979, 162).

2. Das frühere Baden-Württembergische GrEStG ist seit Aufhebung des § 160 Abs. 2 FGO durch das FGO-Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) ab dem 1. Januar 1993 kein revisibles Recht mehr, das der Überprüfung durch den BFH unterliegt.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 a. F

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Alleininhaber der am ... Juli 1977 gegründeten und am ... September 1977 ins Handelsregister eingetragenen Firma A. Für dieses Unternehmen erwarb der Kläger in den Jahren 1977 bis 1980 verschiedene unbebaute Grundstücke. Eine Bebauung oder Veränderung dieser Grundstücke hat bis zur Beendigung der Firma des Klägers am ... Januar 1982 nicht stattgefunden. Der Kläger hat im Rahmen seines Unternehmens auch sonst weder tatsächlich gebaut, Wohnungen übereignet oder verwaltet oder wohnwirtschaftlich betreut.

Zu den vom Kläger für sein Unternehmen angeschafften Grundstücken gehörte auch eine 3 387 qm große Ackerfläche, die der Kläger durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 11. Juli 1979 zu einem Kaufpreis von ... DM erworben hat.

Antragsgemäß stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) den Erwerb dieses Grundstücks nach § 6 Abs. 1 Nrn. 1 und 6 des früheren Baden-Württembergischen Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) von der Grunderwerbsteuer frei.

Der Kläger trat im Zusammenhang mit der Beendigung des Unternehmens A am 29. September 1981 seinen Übereignungsanspruch aus dem Grundstückskaufvertrag vom 11. Juli 1979 an eine Grundstücksgemeinschaft ab. Diese hat auf dem Grundstück in den Jahren 1984 und 1985 steuerbegünstigten Wohnraum errichtet.

Das FA, dem die Weiterveräußerung des Grundstücks erst im Rahmen einer Außenprüfung bekannt wurde, setzte durch Bescheid vom 30. September 1987 gegen den Kläger nach einer Gegenleistung von ... DM Grunderwerbsteuer einschließlich eines Aufgeldes nach § 11 Abs. 2 i. V. m. § 11 Abs. 1 letzter Satz GrEStG fest.

Mit seinem Einspruch beantragte der Kläger Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach § 6 Abs. 1 Ziff. 7 GrEStG und machte geltend, ein freies Wohnungsunternehmen betrieben zu haben.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß der Kläger kein freies Wohnungsunternehmen i. S. des § 6 Abs. 1 Ziff. 7 i. V. m. § 8 Abs. 10 GrEStG betrieben hat.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Der Kläger macht in materieller Hinsicht fehlerhafte Anwendung von § 6 Abs. 1 Nr. 7 GrEStG geltend.

Als Verfahrensmangel rügt der Kläger darüber hinaus die Nichtberücksichtigung seines Hinweises im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 7. Januar 1992 durch das FG, der Kaufvertrag über das hier streitige Grundstück sei unwirksam, da die für die Wirksamkeit des Vertrages erforderliche Genehmigung des Landwirtschaftsamtes ... gemäß § 2 des Grundstücksverkehrsgesetzes (GrStVG) gefehlt habe. Für einen unwirksamen Erwerbsvorgang könne Grunderwerbsteuer nicht anfallen. Dementsprechend sei der angefochtene Grunderwerbsteuerbescheid aufzuheben.

Der Kläger macht ferner Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Das FG habe ihn nämlich nicht darauf hingewiesen, daß objektiv nachprüfbare Umstände für die wohnungswirtschaftlichen Absichten nicht in ausreichendem Maße vorgetragen worden seien. Ihm hätte gemäß § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gelegenheit gegeben werden müssen, sich über tatsächliche Umstände vollständig zu erklären. Wäre das Gericht dieser Hinweispflicht nachgekommen, hätte der Kläger ohne weiteres Tatsachen und Beweismittel liefern können, welche die nach dem Urteil nicht nachprüfbaren Umstände zum Beleg für die Absicht als innere Tatsache substantiiert und bewiesen hätten.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil, den angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheid sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel liege schon deshalb nicht vor, weil die behauptete Tatsache, nämlich das Fehlen der erforderlichen Genehmigung nach dem GrStVG, nicht zutreffe. Richtig sei vielmehr, daß die Genehmigung am 8. April 1982 erteilt worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt wegen eines Verfahrensmangels zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (vgl. § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Vorschrift verpflichtet das FG, u. a. auch den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 15. Dezember 1987 II R 130/85, BFH/NV 1989, 230, und vom 6. Dezember 1978 I R 131/75, BFHE 126, 339, BStBl II 1979, 162).

Hiergegen hat das FG verstoßen, weil es in dem angefochtenen Urteil dem im Schriftsatz des Klägers vom 7. Januar 1992 enthaltenen Hinweis nicht nachgegangen ist, die erforderliche Genehmigung nach dem GrStVG fehle. Wegen dieses Verfahrensfehlers bedarf es im Streitfall der Aufhebung des FG-Urteils, weil nicht auszuschließen ist, daß das FG bei ordnungsgemäßer Berücksichtigung des Klägervortrags zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Das Fehlen der Genehmigung nach § 2 GrStVG wirkt rechtlich unmittelbar auf die Wirksamkeit des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts (Kaufvertrag) ein und führt dazu, daß ein (unbedingter) Anspruch auf Eigentumsverschaffung möglicherweise (noch) nicht besteht. Das Fehlen eines unbedingten Anspruchs auf Eigentumsverschaffung kann aber möglicherweise auch Auswirkungen auf das Bestehen des streitigen (Grunderwerb-)Steueranspruchs haben.

Dem Hinweis des FA, die Genehmigung nach dem GrStVG sei tatsächlich erteilt worden, durfte der Senat nicht weiter nachgehen. Denn eigene Tatsachenfeststellungen sind dem Revisionsgericht verwehrt. Dieses ist vielmehr an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden (vgl. § 118 Abs. 2 FGO). Dies gilt auch, soweit Feststellungen durch das FG verfahrensfehlerhaft nicht getroffen wurden.

Von einer Zurückverweisung der Sache an das FG konnte auch nicht nach § 126 Abs. 4 FGO abgesehen werden. Denn die Prüfung der materiellen Rechtsfrage, ob sich die Steuerfestsetzung aus einem anderen Rechtsgrund -- hier z. B. aus § 1 Abs. 2 GrEStG wegen Erwerbs der Verwertungsbefugnis -- als richtig erweist, ist dem Senat verwehrt, da hierzu die Anwendung und Auslegung nicht mehr revisiblen Rechts notwendig wäre. Denn das frühere Baden-Württembergische GrEStG ist seit Aufhebung des § 160 Abs. 2 FGO durch das FGO-Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) ab dem 1. Januar 1993 kein revisibles Recht mehr, das der Überprüfung durch den BFH unterliegt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421360

BFH/NV 1996, 628

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