Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerlegung der Beweiswirkung eines amtlichen Eingangsstempels

 

Leitsatz (NV)

1. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt dem Eingangsstempel der Finanzbehörden als öffentliche Urkunde im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung ein hoher Beweiswert zu. Im Regelfall erbringt er nach allgemeinen Erfahrungssätzen den vollen Beweis für die darin beurkundeten Tatsachen.

2. Der Beweis kann nicht durch eidesstattliche Versicherung als bloßes Mittel der Glaubhaftmachung widerlegt werden. Vielmehr muß der Richter vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Tatsache und damit der Rechtzeitigkeit einer Rechtsbehelfs- oder Rechtsmitteleinlegung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überzeugt sein.

 

Normenkette

FGO § 81 Abs. 1 S. 2, § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 2; ZPO §§ 294, 418 Abs. 1-2

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig; sie ist jedoch als unbegründet zurückzuweisen (§132 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Die vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt -- FA --) angenommene Divergenz besteht in Wirklichkeit nicht. Das Finanzgericht (FG) hat den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung gebilligten Maßstab für die Widerlegung der dem Eingangsstempel als öffentliche Urkunde i.S. des §418 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zukommenden gesetzlichen Vermutung für die Richtigkeit der darin beurkundeten Tatsache bei seiner Überzeugungsbildung zugrunde gelegt.

Im Urteil vom 19. Juli 1995 I R 87, 169/94 (BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19) geht der Bundesfinanzhof (BFH) von der umfassend nachgewiesenen Rechtsprechung aus, wonach §81 Abs. 1 Satz 2 FGO den Urkundenbeweis im finanzgerichtlichen Verfahren nicht ausschließe, vielmehr nur die formalisierten Beweisregeln der ZPO zugunsten der freien richterlichen Beweiswürdigung nicht hätten übernommen werden sollen. Danach kommt dem Eingangsstempel als öffentliche Urkunde im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung ein hoher Beweiswert zu, so daß dieser nach allgemeinen Erfahrungssätzen im Regelfall vollen Beweis für die darin beurkundete Tatsache erbringt. Dieser Beweis kann nicht durch eidesstattliche Versicherung als bloßes Mittel der Glaubhaftmachung widerlegt werden (§155 FGO i.V.m. §294 ZPO). Vielmehr muß der Richter nach §96 FGO vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Tatsache und damit der Rechtzeitigkeit einer Rechtsbehelfs- oder Rechtsmitteleinlegung überzeugt sein (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §96 Anm. 16). Eine Fristversäumnis muß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein (vgl. auch BFH-Beschluß vom 31. Oktober 1996 VIII B 11/96, BFH/NV 1997, 459, 460).

Ebenso geht der BFH im zweiten vom FA genannten angeblichen Divergenzurteil vom 17. Oktober 1972 VIII R 36-37/69 (BFHE 108, 141, BStBl II 1973, 271) davon aus, daß es für die Entkräftung der Beweiswirkung entsprechend §418 Abs. 2 ZPO notwendig sei, jede Möglichkeit dafür auszuschließen, daß die Angaben des Eingangsstempels auf dem Schreiben richtig seien. Wenn der BFH in diesem Urteil ausführt, die bloße Behauptung des Steuerpflichtigen, das Schreiben rechtzeitig in den Briefkasten des FA geworfen zu haben, reiche ohne Beweisantritt hierfür jedenfalls nicht aus, um die Beweiswirkung des Eingangsstempels zu widerlegen, so wird damit zugleich verdeutlicht, daß der Steuerpflichtige den vollen Gegenbeweis zu erbringen hat und dieser entsprechend im Rahmen der in §96 Abs. 1 Satz 1 FGO geregelten richterlichen Überzeugungsbildung zu würdigen ist. Jedenfalls ist der Entscheidung nicht -- wie die Beschwerde meint -- ein noch stringenterer Maßstab für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung aus §418 Abs. 2 ZPO zu entnehmen.

Das FG legt ausdrücklich unter Bezugnahme auf das Urteil des BFH in BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19 diese Grundsätze dem angefochtenen Urteil zugrunde. Es hält zugleich an seinem Urteil vom 7. Februar 1995 3 K 776/94 E, Solz, U (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1995, 680, 681, rechtskräftig) fest, wonach der Gegenbeweis nach §418 Abs. 2 ZPO den vollen Nachweis der Unrichtigkeit erfordere, jedoch im Rahmen richterlicher Überzeugungsbildung nicht alle, auch nur denkmöglichen anderen Umstände berücksichtigt werden könnten bzw. müßten.

Diese Ausführungen des FG versteht der Senat dahingehend, daß es im Rahmen richterlicher Überzeugungsbildung keine absolute Gewißheit geben kann, die jegliche abweichenden theoretischen Möglichkeiten ebenfalls ausschließt. Vielmehr reicht danach ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit aus, daß er nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewißheit gleichkommt. Danach ist ein Sachverhalt nach der Grundregel des §96 Abs. 1 Satz 1 FGO als erwiesen anzusehen, wenn er sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen läßt (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., §96 Anm. 16, m.w.N.). Der BFH hat in der vermeintlichen Divergenzentscheidung in BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19 nicht ein höheres Maß an Gewißheit verlangt, sondern ebenfalls (nur) gefordert, wie die Verweisung auf die vorgenannte Fundstelle verdeutlicht, daß die Fristversäumnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein müsse. Das FG hat zwar für eine möglicherweise gegenteilige Auffassung auf den Beschluß des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. März 1996 VII ZB 12/96 (Monatsschrift für Deutsches Recht -- MDR -- 1996, 959) hingewiesen. Indes hat derselbe Senat des BGH im Beschluß vom 30. Oktober 1997 VII ZB 19/97 (MDR 1998, 57, m.w.N.) ausgeführt, der nach §418 Abs. 2 ZPO begründete Beweis könne durch Gegenbeweis entkräftet werden. Hierfür genüge nicht Glaubhaftmachung, vielmehr müsse die Rechtzeitigkeit zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen werden. Ein höheres Maß richterlicher Überzeugungsbildung verbindet der BGH damit erkennbar nicht.

Das FG hat seiner Entscheidung diesen abstrakten Maßstab für seine richterliche Überzeugungsbildung gleichermaßen zugrunde gelegt und dementsprechend für den Gegenteilsbeweis eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit verlangt. Wären bei der Anwendung dieses Maßstabes im konkreten Fall im Rahmen der Beweiswürdigung vom FG zu geringe Anforderungen an den Nachweis gestellt worden oder hätte es den Aussagen der vernommenen Zeugen im Rahmen seiner Beweiswürdigung ein zu großes Gewicht beigemessen, so läge allenfalls eine fehlerhafte Anwendung des abstrakten Maßstabes für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nach §418 Abs. 2 ZPO vor, die allerdings nicht die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes der Divergenz i.S. des §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO erfüllen würde (vgl. BFHE 178, 379, BStBl II 1995, 890, 891, ständige Rechtsprechung).

Der erkennende Senat sieht nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67428

BFH/NV 1998, 1232

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