Leitsatz (amtlich)

Eine Zustellung nach § 3 VwZG, durch die mehrere Schriftstücke verschiedenen Inhalts in einem verschlossenen Briefumschlag zugestellt werden sollen, ist unwirksam, wenn als Geschäftsnummer auf dem Briefumschlag lediglich die Steuernummer des Empfängers angegeben ist.

 

Normenkette

VwZG § 3 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (das FA) hat die Rechtsbehelfe des Beschwerdeführers (Steuerpflichtiger) gegen den Einkommensteuer- und den Umsatzsteuerbescheid 1968 durch zwei gesonderte Einspruchsentscheidungen vom 21. September 1970 zurückgewiesen. Den Antrag des Steuerpflichtigen vom 21. Oktober 1970, die Vollziehung der beiden Bescheide auszusetzen, hat das FG durch Beschluß vom 19. Januar 1971 als unzulässig verworfen, weil der Steuerpflichtige gegen die Einspruchsentscheidungen keine Klage erhoben habe und diese bereits rechtskräftig geworden seien.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Der Antrag des Steuerpflichtigen auf Aussetzung der Vollziehung ist zulässig. Die gegen ihn ergangenen Einspruchsentscheidungen sind mangels einer wirksamen Zustellung nicht durch Ablauf der Klagefrist unanfechtbar geworden.

Die Zustellung erfolgt u. a. durch Übergabe eines Schriftstücks (§ 2 VwZG). Mehrere an einen Empfänger gerichtete Schriftstücke verschiedenen Inhalts können durch eine gemeinsame Übergabe zugestellt werden. Dabei müssen jedoch die gesetzlichen Form- und Beurkundungserfordernisse in bezug auf jedes einzelne Schriftstück gewahrt werden. Denn die Zustellung muß für alle Schriftstücke jeweils gesondert feststellbar sein. So muß z. B. bei Zustellung nach § 5 VwZG die Urkunde, die die (gemeinsame) Übergabe bezeugt (Empfangsbekenntnis), so gefaßt sein, daß die Identität der einzelnen Schriftstücke ersichtlich ist. Wird ein bei der gemeinsamen Übergabe ausgehändigtes Schriftstück im Empfangsbekenntnis nicht genannt, so fehlt dafür die Beurkundung der Übergabe mit der Folge, daß eine wirksame Zustellung nicht vorliegt (vgl. auch Kohlrust-Eimert, Das Zustellungsverfahren nach dem Verwaltungszustellungsgesetz, 1967, § 5 Anm. 1e).

Bei der Zustellung durch die Post nach § 3 VwZG tritt an die Stelle der unmittelbaren Aushändigung des Schriftstücks die Übergabe einer verschlossenen Postsendung. Demgemäß bezeugt die Postzustellungsurkunde (PZU) nicht die Übergabe des Schriftstücks selbst, sondern nur die Übergabe einer mit einer Geschäftsnummer bezeichneten Sendung (§ 3 Abs. 3 VwZG i. V. mit § 195 Abs. 2 ZPO). Dabei stellt die Angabe der Geschäftsnummer auf der Sendung (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG) und der Zustellungsurkunde die einzige urkundliche Beziehung zwischen dieser und dem zuzustellenden Schriftstück dar (Urteil des BGH IV ZR 186/64 vom 23. Juni 1965, DB, 1965, 1700). Fehlt sie, so ist die Zustellung unwirksam (Urteil des BFH I R 9/68 vom 14. November 1968, BFH 94, 202, BStBl II 1969, 157).

Befinden sich mehrere zuzustellende Schriftstücke verschiedenen Inhalts in einer verschlossenen Sendung, so muß diese - damit eine Zustellung nach § 3 VwZG für jedes einzelne darin befindliche Schriftstück festgestellt werden kann - entweder mit mehreren, den einzelnen Schriftstücken entsprechenden Geschäftsnummern oder mit einer einzigen Geschäftsnummer versehen sein, die sich auf verschiedene bestimmte Schriftstücke als Inhalt bezieht. Die Steuernummer reicht als Geschäftsnummer zur Bezeichnung einer Sendung mit mehreren an den Inhaber dieser Steuernummer gerichteten Verfügungen nicht aus. Denn sie bietet keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der verschlossene Briefumschlag mehrere Schriftstücke enthält und kann auch nicht auf ein einzelnes Schriftstück allein bezogen werden. Sie stellt keine ausreichende urkundliche Beziehung zum gesamten Inhalt der Sendung oder zu einem Teil derselben her. Dieser Mangel macht die Zustellung des gesamten Inhalts unwirksam.

Im Streitfall liegt eine PZU vor, die bezeugt, daß der dem Steuerpflichtigen übergebene Brief - was die Geschäftsnummer anbetrifft - nur mit der Steuernummer des Steuerpflichtigen bezeichnet war. Es liegt daher für keine der beiden gegen den Steuerpflichtigen gerichteten Einspruchsentscheidungen eine wirksame Zustellung vor mit der Folge, daß die Klagefrist für die Anfechtung des Einkommensteuer- und des Umsatzsteuerbescheids nicht zu laufen begonnen hat (BFH-Urteil I R 9/68, a. a. O., mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).

In diesem Verfahrensstadium - zwischen dem Erlaß der Einspruchsentscheidungen und der rechtlich noch möglichen Klageerhebung, die mit Schreiben vom 2. März 1971 erfolgte - durfte der Steuerpflichtige bereits beim FG beantragen, die Vollziehung der beiden Bescheide auszusetzen. Denn ein derartiger Antrag ist nach § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig.

Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, damit dieses prüfen kann, ob der Antrag nach den in § 69 FGO geforderten Voraussetzungen begründet ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69626

BStBl II 1972, 127

BFHE 1972, 454

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