Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung einer Klage als Sprungklage oder Untätigkeitsklage

 

Leitsatz (NV)

Die Behandlung einer vor Abschluß des Einspruchsverfahrens erhobenen Klage als Sprungklage und - nach Versagung der finanzamtlichen Zustimmung - (weiteren) Einspruch ist frei von Rechtsfehlern, wenn die Klagebegründung keinerlei Hinweise auf das Vorliegen einer Säumnis des Finanzamtes enthält.

 

Normenkette

FGO § 44 Abs. 1, §§ 45-46

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) legte gegen den Einkommensteuerbescheid 1983 mit Schreiben vom 30. Oktober 1986 Einspruch ein. Sie begehrte damit u. a. den ungekürzten Abzug von Kinderbetreuungskosten (ohne Berücksichtigung der zumutbaren Belastung) als außergewöhnliche Belastung. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) gab dem Rechtsbehelf teilweise - mit Ausnahme des begehrten Kinderbetreuungskostenabzugs - statt und erließ am 14. Januar 1987 einen entsprechenden Einkommensteueränderungsbescheid.

Die Klägerin erhob daraufhin mit Schriftsatz vom 10. Februar 1987 Klage und beantragte, den Bescheid vom 14. Januar 1987 dergestalt zu ändern, daß ein zu versteuerndes Einkommen von 29 333 DM zugrundegelegt werde. Zur Begründung führte sie u. a. aus, das FA habe von den Kinderbetreuungskosten nur einen Betrag von 499 DM (statt der tatsächlich aufgewendeten 1 780 DM) steuermindernd berücksichtigt. Der dagegen gerichtete Einspruch sei ohne Erfolg geblieben.

Das FA sah in dieser Klage eine sog. Sprungklage nach § 45 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und verweigerte seine in einem solchen Fall erforderliche Zustimmung.

Das Finanzgericht (FG) schloß sich dieser Beurteilung des Rechtsbehelfs an und stellte mit Beschluß vom 24. Februar 1987 das bei ihm anhängige Verfahren ein. Es führte weiter aus, daß die Klage wegen der fehlenden Zustimmung des FA als Einspruch zu behandeln sei.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat. Sie macht im wesentlichen geltend, daß ihre Klage auch ohne Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens zulässig gewesen sei. Die Zulässigkeit ergebe sich jedenfalls aus § 46 FGO.

Das FA ist den Ausführungen der Klägerin entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Klägerin konnte die Entscheidung des FG zwar mit der Beschwerde anfechten (§ 128 Abs. 1 FGO; s. auch Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Oktober 1975 VIII R 103/72, BFHE 117, 415, BStBl II 1976, 216).

2. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet.

Das FG hat die Klage der Klägerin zu Recht als Sprungklage angesehen und den Rechtsbehelf mangels Zustimmung des FA an dieses zur Behandlung als Einspruch abgegeben (§ 45 Abs. 1 Satz 2 FGO).

a) Die Klageerhebung ist eine Prozeßhandlung. Prozeßhandlungen sind nach ständiger Rechtsprechung auch des BFH (s. hierzu aus jüngerer Zeit die Urteile vom 16. Dezember 1987 I R 66/84, BFH/NV 1988, 319, und vom 28. Juli 1987 VII R 14/84, BFH/NV 1988, 241, jeweils mit weiteren Hinweisen) nach den für die Auslegungen von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätzen auszulegen. Es ist daher entsprechend § 133 BGB der in der prozessualen Erklärung verkörperte Wille zu ermitteln. Bei der Ermittlung dieses Willens ist auf alle erkennbaren Umstände abzustellen (BFH-Urteil vom 6. Februar 1979 VII R 82/78, BFHE 127, 135, BStBl II 1979, 374) und davon auszugehen, daß der Steuerpflichtige den Rechtsbehelf einlegen wollte, der zu dem von ihm angestrebten Erfolg führt (BFH/NV 1988, 319).

b) Im Streitfall hat die - durch rechtskundige Prozeßbevollmächtigte vertretene - Klägerin Klage erhoben, nachdem das FA auf ihren Einspruch hin einen Änderungsbescheid erlassen, ihrem Hauptbegehren aber nicht entsprochen hatte.

Gemäß § 365 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) i.d.F. des sog. Steuerbereinigungsgesetzes vom 19. Dezember 1985 - StBereinG - (BGBl I 1985, 2436) war durch die Teilabhilfe der Einkommensteueränderungsbescheid vom 14. Januar 1987 Gegenstand des bisherigen Einspruchsverfahrens geworden. Über den Einspruch vom 30. Oktober 1986 war mithin noch nicht (abschließend) entschieden; er richtete sich jetzt vielmehr kraft Gesetzes gegen den Änderungsbescheid (so auch schon für die Zeit vor dem 1. Januar 1987 die ständige Rechtsprechung des BFH, s. zuletzt das Urteil vom 16. Oktober 1979 VII R 53/77, BFHE 129, 235, BStBl II 1980, 165). Darauf hatte auch das FA in seinen ,,Erläuterungen zur Festsetzung" im Bescheid vom 14. Januar 1987 ausdrücklich hingewiesen.

Demnach kam zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 11. Februar 1987 nur eine Sprungklage oder aber - wie jetzt im Beschwerdeverfahren geltend gemacht - eine Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 FGO in Betracht.

c) Für die Annahme, die Klägerin habe eine Untätigkeitsklage erheben wollen, fehlten im Zeitpunkt der Entscheidung durch das FG jedoch jegliche Anhaltspunkte. Die Klägerin ist in ihrer Klagebegründung mit keinem Wort auf eine eventuelle Säumnis des FA eingegangen. Das wäre aber um so mehr vonnöten gewesen, als zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 11. Februar 1987 noch keine sechs Monate seit Einlegung des Einspruchs (am 30. Oktober 1986) vergangen waren. ,,Besondere Umstände", die im Einzelfall eine kürzere Frist rechtfertigen können (§ 46 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz FGO), hat die Klägerin bis jetzt nicht dargetan. Sie hat im Gegenteil - im Beschwerdeverfahren - darauf hingewiesen, daß sie mit einem Ruhen des Verfahrens bis zum Ergehen der einschlägigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - wenn auch vor dem FG - grundsätzlich einverstanden sei.

d) Nach alledem konnte das FG die Klage der Klägerin als Sprungklage behandeln. Es bestand auch keine Veranlassung, etwa auf eine andere Antragstellung hinzuwirken (s. dazu § 76 Abs. 2 FGO; vgl. auch den Beschluß des erkennenden Senats vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, Abschn. I Nr. 2 der Entscheidungsgründe). Die Klage wäre bei Erteilung der Zustimmung durch das FA - im Hinblick auf § 44 Abs. 1 FGO - zulässig gewesen. Die Versagung der Zustimmung unterliegt nicht der gerichtlichen Nachprüfung (so schon das Urteil des BFH vom 15. Juli 1958 I 144/57 U, BFHE 67, 472, BStBl III 1958, 453).

Es wäre vielmehr an der Klägerin gewesen, die rechtskundig beraten war, Gründe, die das Vorliegen einer Untätigkeitsklage hätten möglich erscheinen lassen, schlüssig darzutun.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416045

BFH/NV 1989, 443

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