Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassungsfreie Verfahrensrevision

 

Leitsatz (NV)

1. Zu den Anforderungen an eine geeignete Besetzungsrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO.

2. Ein etwaiger Ausschluß der Öffentlichkeit bei der Verkündung des Urteils im Anschluß an die mündliche Verhandlung verletzt nicht die Vorschriften über die Öffentlichkeit bei der mündlichen Verhandlung (§ 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO).

3. Die Rügen, das FG habe eine beantragte Beweiserhebung nicht durchgeführt, das FA habe die Schlußbesprechung nach einer Betriebsprüfung nicht beendet und nicht alle Steuerakten vorgelegt, bezeichnen keine Verfahrensfehler, die nach § 116 Abs. 1 FGO die Revision zulassen.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 4

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1976, 1978 bis 1981 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 1995, in der es Beweis durch Zeugenvernehmung erhoben hatte, im wesentlichen ab. Es bestätigte, daß der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) berechtigt war, abgezogene Vorsteuerbeträge aus Abrechnungen von Zeitschriftenwerbern nicht anzuerkennen, weil der Kläger nicht bewiesen habe, daß er von ihnen zum Vorsteuerabzug geeignete Rechnungen erhalten oder ihnen entsprechende Gutschriften erteilt habe. Das FG ließ die Revision gegen das Urteil nicht zu.

Mit der Revision rügt der Kläger "gemäß § 116 Abs. 1 FGO" im einzelnen bezeich nete Verfahrensmängel. Er beantragt, das Urteil des FG und die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide in der Form der Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig. Sie war daher durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

a) Abweichend von § 115 Abs. 1 FGO findet die Revision nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Das ist nicht der Fall.

b) Die Revision ist auch nicht als zulassungsfreie Verfahrensrevision wegen eines Verfahrensmangels i. S. von § 116 Abs. 1 FGO zulässig. Eine zulassungsfreie Revision ist -- abgesehen von der Sonderregelung für Zolltarifsachen (§ 116 Abs. 2 FGO) -- nur statthaft, wenn die in § 116 Abs. 1 FGO genannten wesentlichen Verfahrensmängel gerügt werden. Dies ist nur der Fall, wenn der Revisionskläger in einer den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO entsprechenden Form schlüssig rügt, daß ein in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneter Verfahrensfehler gegeben ist. Andere Verstöße gegen Verfahrensvorschriften sind im Rahmen einer zulassungsfreien Revision nach § 116 Abs. 1 FGO ohne Bedeutung. Zur Begründung eines in § 116 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 FGO bezeichneten Verfahrensfehlers muß der Revisionskläger Tatsachen lückenlos (vgl. Gräber, Deutsches Steuerrecht 1968, 173, 175) vortragen, die -- ihre Richtigkeit unterstellt -- den bezeichneten Mangel ergeben (vgl. Gräber/Ruban, Finanz gerichtsordnung, 3. Aufl., § 116 Rz. 3, m. w. N.). Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung des Klägers nicht.

aa) Soweit der Kläger geltend macht, das FG und das FA hätten angebotene Zeugenvernehmungen nicht durchgeführt (Revisionsbegründung zu 1), eine Schlußbesprechung nach einer Außenprüfung nicht beendet (Revisionsbegründung zu 3) und drei Bände Steuerakten nicht vorgelegt (Revisionsbegründung zu 5), rügt er die Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO). Dieser Verfahrensmangel ist nicht in § 116 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 FGO bezeichnet und eröffnet eine zulassungsfreie Revision nicht (vgl. z. B. Beschlüsse des BFH vom 14. November 1995 VIII R 84/93, 1/94, BFH/NV 1996, 416, 418; vom 28. April 1992 VIII R 31/91, BFH/NV 1992, 685). Das gleiche gilt für die Rüge des Klägers (Revisionsbegründung zu 2), die in der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 1995 als Zeugen vernommenen Personen seien nicht zur Wahrheit ermahnt worden.

bb) Soweit der Kläger rügt (Revisionsbegründung zu 4), daß das FG unzutreffend die Bestimmungen über die Betriebsprüfung nach § 146 a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung auf die bei ihm durchgeführte Außenprüfung angewendet und nicht beachtet habe, daß der Prüfer entgegen § 198 der Abgabenordnung (AO 1977) den Beginn der Prüfung nicht aktenkundig gemacht habe, beruft er sich nicht auf Ver fahrensfehler, sondern schildert sachlich- rechtliche Fehler, die im Rahmen einer Revision nach § 116 Abs. 1 FGO nicht erheblich sind (vgl. zur Abgrenzung von Verfahrensfehlern und Fehlern bei der recht lichen Beurteilung BFH-Beschluß vom 10. November 1987 V B 19/85, BFH/NV 1988, 448). Das gilt auch für die Rüge des Klägers, das FG habe die Aussage des Prüfers unrichtig gewürdigt, denn die damit verbundenen Angriffe gegen die Beweiswürdigung des FG betreffen keinen Verfahrensmangel (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. April 1992 VIII B 49/90, BFHE 167, 488, BStBl II 1992, 671, 672; vom 23. August 1985 IV B 52/85, BFH/NV 1986, 739, 740; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 28, m. w. N.).

cc) Soweit der Kläger rügt, daß das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), weil bei der Entscheidung ein Richter am Landgericht mitgewirkt habe, und um Auskunft über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts bittet (Revisionsbegründung zu 6), genügt seine Rüge nicht den Anforderungen. Bei Entscheidungen der FG darf auch ein von einem anderen Gericht abgeordneter Richter mitwirken (vgl. § 29 Satz 1 des Deutschen Richtergesetzes; vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 18. November 1969 II R 90/67, BFHE 97, 340, BStBl II 1970, 127). Daß der abgeordnete Richter, der auch während des Geschäftsjahres (§ 21 e Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes -- GVG --) einem Senat des FG zugewiesen werden kann (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1996, 416), nicht vorschriftsmäßig i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO an der Vorentscheidung mitgewirkt hätte, vermutet der Kläger nur, ohne dafür konkrete Anhaltspunkte zu haben. In einer zulässigen (schlüssigen) Besetzungsrüge muß der Revisionskläger aber konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Besetzung darlegen (BFH-Beschluß vom 25. März 1993 V R 100/92, BFH/NV 1994, 178, m. w. N.). Er muß eigene Ermittlungen anstellen und auf der Grundlage der ihm vom FG erteilten Auskünfte oder der ihm möglichen Einsicht in den Geschäftsverteilungsplan (§ 4 FGO i. V. m. § 21 e GVG) Tatsachen darlegen, die seiner Meinung nach den Besetzungsmangel ergeben (BFH-Beschluß vom 18. März 1987 V R 96/86, BFH/NV 1987, 591). Der Revisionskläger muß sich mit den Einzelheiten der Geschäftsverteilung konkret auseinandersetzen (vgl. BFH-Beschluß vom 21. September 1994 VIII R 80-82/93, BFH/NV 1995, 416, 417; BFH-Urteil vom 14. Juli 1987 VII R 17/87, BFH/NV 1988, 307), weil diese Rüge nur bei Willkür durchzugreifen vermag.

dd) Schließlich ist die Revision auch nicht deshalb zulässig, weil das Urteil des FG auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind (§ 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO). Der Kläger rügt den bezeichneten Verfahrensmangel mit der Behauptung, bei der Verkündung des Urteils im Anschluß an die mündliche Verhandlung sei der Öffentlichkeit der Zugang zu dem in diesem Zeitpunkt verschlossenen FG versagt gewesen (Revisionsbegründung zu 7).

Die Rüge ist schon deshalb unschlüssig, weil dadurch die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens, die sich auf die mündliche Verhandlung und nicht auf die Verkündung des Urteils außerhalb der mündlichen Verhandlung beziehen (Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 16. September 1983 8 CB 49.83, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 133 Nr. 45, Die Öffentliche Verwaltung 1983, 989; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 21), nicht verletzt worden sein können. Es ist gerechtfertigt, die zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO nur auf Verstöße gegen die Öffentlichkeitsvorschriften bei der mündlichen Verhandlung zu begrenzen (vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 116 FGO Tz. 19), weil ein Verstoß gegen die Öffentlichkeitsvorschriften bei der Verkündung des Urteils die Entscheidungsfindung nicht beeinflußt haben kann (vgl. BVerwG- Beschluß vom 19. August 1980 6 CB 29/80, Verwaltungs-Rechtsprechung 32, 504, 505).

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 37

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