Leitsatz (amtlich)

Hat das FG über einen Antrag nach § 69 Abs. 3 oder 4 FGO entschieden und gemäß Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG die Beschwerde gegen diesen Beschluß wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen, kann über die Beschwerde sachlich nur entschieden werden, sofern die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung die Auslegung des § 69 FGO betrifft, nicht dagegen, soweit die zu entscheidende Rechtsfrage die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts betrifft, dessen Aussetzung begehrt worden ist.

 

Normenkette

FGO §§ 69, 115; BFH-EntlastG Art. 1 Nr. 3

 

Tatbestand

Die Klägerin - Antragstellerin und Beschwerdegegnerin - ist ein Verkehrsunternehmen in der Rechtsform der GmbH; sämtliche Geschäftsanteile befinden sich in öffentlicher Hand. Die Klägerin ist nach Maßgabe einer vorläufigen Billigkeitsregelung seitens des zuständigen Landesfinanzministers berechtigt, steuerfreie Investitionsrücklagen zu bilden hinsichtlich ihr zugebilligter Entschädigungs- oder Ersatzansprüche für Fahrgeldausfälle, die ihr durch die unentgeltliche Beförderung von Schwerbeschädigten entstanden sind.

Anläßlich der Zuführung von Gebäuden und Betriebsvorrichtungen zum Anlagevermögen verrechnete die Klägerin in den Jahren 1968 und 1969 Rücklagenbeträge mit den von ihr aufgewendeten Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten. Entsprechend den Bilanzansätzen legte sie als Bemessungsgrundlage für die Selbstverbrauchsteuer die um diese Rücklagenbeträge geminderten Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten zugrunde. Der Beklagte - Antragsgegner und Beschwerdeführer - (FA) ging demgegenüber von den von der Klägerin tatsächlich aufgewendeten Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten aus. Über die nach erfolglosem Einspruch zum FG erhobene Klage ist noch nicht entschieden.

Mit Beschluß vom 9. Juni 1976 hat das FG die Vollziehung des gegen die Klägerin ergangenen Umsatzsteuer-Sammelberichtigungsbescheides 1968 und 1969 (vom 15. Juli 1974) für das Jahr 1968 in Höhe von 21 804,45 DM und für das Jahr 1969 in Höhe von 4 498,16 DM ausgesetzt. Es hat gegen diesen Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 3 des BFH-EntlastG vom 8. Juli 1975 die Beschwerde zugelassen, "da die Rechtsfrage über den entschiedenen Einzelfall hinaus von Bedeutung ist und daher eine Entscheidung durch den BFH aus Gründen der Rechtsklarheit im allgemeinen Interesse liegt".

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig, weil die Zulassung offensichtlich gesetzwidrig ist. Der Senat nimmt zur Begründung seines Rechts auf Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Zulassung der Beschwerde auf seine Entscheidung vom 14. Oktober 1976 V B 21/76 (BFHE 120, 26, BStBl II 1976, 774) Bezug.

Nach Art. 1 Nr. 3 Satz 2 BFH-EntlastG gilt für die Zulassung einer Beschwerde gegen den Beschluß des FG nach § 69 Abs. 3 und 4 FGO die Vorschrift des § 115 Abs. 2 FGO entsprechend. Aus der entsprechenden Anwendung des § 115 Abs. 2 FGO folgt, daß eine auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO gestützte Zulassung der Beschwerde nur dann Rechtens ist, wenn die Entscheidung des Beschwerdegerichts die abschließende Klärung einer maßgeblichen Rechtsfrage erwarten läßt, die für die Erhaltung der Rechtseinheit oder zur Weiterentwicklung des Rechts bedeutsam ist. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, soweit das Beschwerdegericht im Rahmen des Verfahrens nach § 69 Abs. 3 und 4 FGO die Rechtsmäßigkeit der Steuerfestsetzung zu prüfen hat; denn insoweit wird über die zugrunde liegenden Rechtsfragen nicht abschließend, sondern nur summarisch entschieden (BFH-Beschlüsse vom 22. September 1967 VI B 59/67, BFHE 90, 253, BStBl II 1968, 37 und vom 28. November 1974 V B 52/73, BFHE 114, 169, BStBl II 1975, 239; Beschlüsse des BVerfG vom 9. Mai 1969 1 BvR 218/69, StRK, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 91, HFR 1969 S. 398, und vom 20. Juni 1973 1 BvR 169/73, StRK, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 136). Der gesetzliche Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kann somit nur dann zur Zulassung der Beschwerde führen, wenn das Beschwerdegericht zu einer die Auslegung des § 69 FGO betreffenden Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgerufen ist.

Dem kann nicht mit dem Einwand begegnet werden, daß der BFH auch nach § 69 Abs. 3 FGO ergangene Entscheidungen in geeigneten Fällen veröffentliche. Einer im Aussetzungsverfahren zu treffenden Entscheidung, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen, kann insofern eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukommen, als sie bis zur abschließenden Klärung des Zweifels der Finanzverwaltung Zurückhaltung in der Vollziehung gleichartiger Bescheide auferlegt und den FG eine vorübergehende Entscheidungshilfe für gleichgelagerte Fälle bietet. Diese Bedeutung ist aber nicht grundsätzlicher Art im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 15. Juli 1966 VI B 2/66, BFHE 86, 708, BStBl III 1966, 628, und vom 20. September 1966 VII B 3/66, BFHE 86, 791, BStBl III 1966, 653). Denn die über den Einzelfall hinausreichenden Auswirkungen solcher Erkenntnisse erschöpfen sich im tatsächlichen Bereich des wirtschaftlichen Interesses, das der Empfänger eines beschwerenden Verwaltungsakts an der Gewinnung vorläufigen Rechtsschutzes hat. Diese Entscheidungen leisten jedoch keinen Beitrag zur Erhaltung der Rechtseinheit und der Weiterentwicklung des Rechts.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72050

BStBl II 1977, 314

BFHE 1977, 125

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