Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassungsfreie Verfahrensrevision

 

Leitsatz (NV)

Zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) abgewiesen. Es hat sein Urteil wie folgt begründet:

,,Der Kläger ist Steuerberater, gegen den sowohl ein berufsgerichtliches Verfahren angestrengt als auch ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Er befürchtet in diesem Zusammenhang, daß der Beklagte als früher für ihn zuständiges Betriebsstättenfinanzamt das Steuergeheimnis nicht wahren werde.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

1. dem Beklagten zu untersagen, Dritten, insbesondere

a) der Steuerberaterkammer . . .

b) der Staatsanwaltschaft beim . . .

c) der Staatsanwaltschaft beim . . .

d) dem Gericht . . .

Auskunft über seine steuerlichen Verhältnisse zu erteilen,

2. dem Beklagten zu untersagen, seinen Bediensteten eine Genehmigung zur Aussage vor Gerichten oder Behörden über seine steuerlichen Verhältnisse zu erteilen,

3. festzustellen, daß der Beklagte nicht berechtigt war,

a) der Steuerberaterkammer . . . Mitteilung über die steuerlichen Verhältnisse des Klägers zu machen,

b) der Staatsanwaltschaft . . . Auskunft über die steuerlichen Verhältnisse des Klägers zu erteilen,

c) seinem Bediensteten B eine Genehmigung zur Aussage in dem gegen den Kläger gerichteten berufsgerichtlichen Verfahren vor dem Landgericht . . . zu erteilen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die auf § 30 Abgabenordnung - AO - gestützte Klage hat keinen Erfolg. Der Beklagte darf und (im Klagepunkt 3) durfte die von ihm über den Kläger erlangten Kenntnisse offenbaren, da hierfür ein zwingendes öffentliches Interesse besteht (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO, § 89 Abs. 2 StBerG). Daß der Beklagte bei der Offenbarung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet hat oder künftig beachten wird (vgl. hierzu Bundesfinanzhof BFH-Urteil vom 10. Februar 1977 VII R 77/84, Bundessteuerblatt BStBl II 1987, 545), hat der Kläger nicht dargetan. Da er die angekündigte Begründung seiner Klage nicht nachgereicht und auch im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, muß er für etwa nachteilige Folgen aus diesem Verhalten einstehen."

Mit der Revision rügt der Kläger, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die zulassungsfreie Revision sei nicht nur gegeben, wenn die Gründe überhaupt fehlten; ein Mangel liege auch vor, wenn die Begründung sich auf die schlichte Wiedergabe des Gesetzestextes beschränke, wenn die Entscheidungsgründe inhaltslos seien, d. h. sich auf leere Redensarten beschränkten oder wenn sie so unvollständig oder unklar seien, daß nicht erkennbar sei, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt sei und auf welche rechtliche Erwägungen sich die Entscheidung stütze (Hinweis auf v. Wallis in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 116 FGO Rdnr. 8 und 9, m. w. N.). So liege es auch im Streitfalle.

Das Urteil stelle im Tatbestand lediglich fest, daß gegen den Kläger sowohl ein berufsgerichtliches Verfahren angestrengt als auch ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei, und bringe in den Entscheidungsgründen die Rechtsauffassung zum Ausdruck, daß für die Offenbarung der vom Beklagten über den Kläger erlangten Kenntnisse ein zwingendes öffentliches Interesse bestehe (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 der Abgabenordnung - AO 1977 -, § 89 Abs. 2 des Steuerberatungsgesetzes - StBerG -). Es sei aber ein Zirkelschluß und keine ausreichende Begründung, eine weitere Offenbarung von steuerlichen Verhältnissen des Klägers für zulässig zu halten, weil bereits eine ähnliche Offenbarung zur Anstrengung eines berufsgerichtlichen Verfahrens und/oder zur Einleitung eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens geführt habe. Das bloße Zitat des Gesetzeswortlauts des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 sei nicht einmal vollständig, denn es sei in keiner Weise erkennbar, ob die Variante des Buchst. a, b oder c dieser Vorschrift erfüllt sei oder worin sonst das zwingende öffentliche Interesse bestehen solle. Das Zitat des § 89 Abs. 2 StBerG sei im Zusammenhang mit der Durchbrechnung des Steuergeheimnisses völlig unverständlich. Es sei demnach nicht erkennbar, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liege, und die Entscheidungsgründe, die sich auf die schlichte und zudem unvollständige Wiedergabe des Gesetzestextes beschränkten, seien inhaltslose, leere Redensarten. Da kein Grund erkennbar sei, aus dem die Offenbarung steuerlicher Verhältnisse des Klägers gerechtfertigt sein könnte - das FG habe weder einen Steuerrückstand noch andere Versäumnisse oder Pflichtverletzungen des Klägers festgestellt -, gingen die kurzen Erwägungen des angefochtenen Urteils zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ins Leere. Das gelte auch für das in diesem Zusammenhang zitierte Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH).

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Rechtsstreit an einen anderen Senat des FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensbeteiligter der Revision ist - ebenso wie bei der Klage - auf seiten des Beklagten das Finanzamt (FA) A (§ 122 Abs. 1 FGO). Daß der Kläger inzwischen seine Steuerberaterpraxis in den Bezirk des FA B verlegt hat und dieses FA für die Besteuerung örtlich zuständig geworden ist (§ 19 Abs. 3 AO 1977), führt nicht zu einem Parteiwechsel. Denn das Rechtsschutzbegehren des Klägers (Untersagung und Feststellung) ist nach wie vor gegen das FA A gerichtet.

2. Die Revision ist gemäß §§ 124, 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen, weil sie unzulässig ist. Die Unzulässigkeit der Revision folgt daraus, daß diese nicht zugelassen ist und Verfahrensmängel, die eine zulassungsfreie Revision begründen, nicht schlüssig gerügt worden sind.

Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I, 1274) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat. Das FG hat die Revision im Streitfall nicht zugelassen; der Senat hat die gegen das Urteil des FG eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluß vom heutigen Tage als unzulässig verworfen. Einen wesentlichen Verfahrensmangel gemäß § 116 Abs. 1 FGO, der zulassungsfrei die Revision begründen könnte, hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt.

Ein wesentlicher Verfahrensmangel ist schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - einen Mangel i. S. von § 116 Abs. 1 FGO ergeben (Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 116 Rdnr. 2). Der Kläger macht als Verfahrensrüge geltend, das mit der Revision angefochtene FG-Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO). Nach § 105 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 FGO muß ein Urteil einen Tatbestand und Entscheidungsgründe enthalten. Beides dient der Sicherstellung, daß die Beteiligten ihre prozessualen Rechte wahrnehmen können. Die Wiedergabe des Tatbestands ist erforderlich, damit die Beteiligten erkennen können, welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen. Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgeblich waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO liegt deshalb nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Das ist z. B. der Fall, wenn jegliche Begründung fehlt oder wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt bzw. auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt (BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, 327, BStBl II 1985, 417, m. w. N.).

Der Kläger hat mit der Revision nicht behauptet, daß das angefochtene Urteil keinen Tatbestand und keine Entscheidungsgründe enthalte. Er hält beide nur für unzureichend. Eine Urteilsbegründung, die lediglich lückenhaft, widersprüchlich, rechtsfehlerhaft oder nicht überzeugend ist, vermag aber die Einlegung einer Revision ohne Zulassung nicht zu rechtfertigen (Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 116 FGO Tz. 22). Das Vorbringen des Klägers, das Urteil des FG sei so mangelhaft und mit leeren Redensarten oder nichtssagenden Worten, durch schlichte Wiedergabe des Gesetzestextes oder verworrene Ausführungen begründet, daß nicht erkennbar sei, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liege, und auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stütze, ist in sich nicht schlüssig. Wie der Kläger selbst ausführt, enthält der Tatbestand des Urteils die Feststellung, daß gegen ihn sowohl ein berufsgerichtliches Verfahren angestrengt als auch ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Wenn sodann in den Entscheidungsgründen - worauf der Kläger ebenfalls hinweist - ausgeführt wird, der Beklagte dürfe die von ihm über den Kläger erlangten Kenntnisse offenbaren, da hierfür ein zwingendes öffentliches Interesse bestehe, so folgt daraus, daß der Entscheidung des FG die rechtliche Erwägung zugrunde liegt, die Durchbrechung des Steuergeheimnisses sei nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO 1977 zur Durchführung des berufsgerichtlichen Verfahrens und des Steuerstrafverfahrens wegen eines zwingenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt. Das Gesetzeszitat - § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO 1977 - stellt hier einen Zusammenhang her zwischen dem festgestellten Sachverhalt, der sich auch aus den Klageanträgen ergibt, und der Rechtsauffassung des FG. Daß die Gesetzesvorschrift nicht vollständig nach ihrer Untergliederung in die Buchst. a, b oder c zitiert ist, ist unerheblich, weil diese nur Beispiele, nicht aber eine abschließende Aufzählung der Fälle enthalten, in denen ein zwingendes öffentliches Interesse an der Offenbarung von Kenntnissen angenommen werden kann. Die vom FG in den Entscheidungsgründen ebenfalls zitierte Vorschrift des § 89 Abs. 2 StBerG zeigt, daß das FG von berufsrechtlich zu ahndenden Pflichtverletzungen des Klägers als Steuerberater ausgegangen ist.

Ob die der Entscheidung zugrunde liegende Rechtsauffassung des FG zutreffend ist, hat der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu beurteilen. Wie oben ausgeführt, kommt es für die Rüge der mangelnden Begründung der Entscheidung nicht darauf an, ob die Urteilsgründe vollständig, rechtsfehlerfrei und überzeugend sind. Die insoweit gegen die Vorentscheidung erhobenen Einwendungen des Klägers - Zirkelschluß des FG, keine Feststellungen zu Steuerrückständen, Versäumnissen und Pflichtverletzungen des Klägers, kein zwingendes öffentliches Interesse - stellen somit keine wirksamen Verfahrensrügen i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dar. Das gilt auch für das Vorbringen, die knappe rechtiche Erwägung des FG, die Offenbarung der Verhältnisse des Klägers durch den Beklagten verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, gehe ins Leere. Im übrigen erklären sich - wie sich aus den Urteilsgründen ergibt - die dürftigen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen des FG damit, daß der Kläger außer dem im Tatbestand des Urteils wiedergegebenen Klageantrag keinerlei Begründung für die Klage gegeben hat und er auch im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist. Die nunmehr gerügten materiell-rechtlichen Mängel der angefochtenen Entscheidung können die zulassungsfreie Revision nicht begründen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416869

BFH/NV 1990, 663

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