Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Sorgfaltspflicht des Gerichts gegenüber Rechtsanwälten

 

Leitsatz (NV)

Das Gericht ist nicht verpflichtet, einen trotz ordnungsmäßiger Ladung der mündlichen Verhandlung ferngebliebenen Rechtsanwalt nochmals telefonisch auf die mündliche Verhandlung hinzuweisen.

 

Normenkette

FGO § 90; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die 1984 verstorbene Frau J, die Mutter des Klägers und Revisionsklägers (Kläger), deren Erbe der Kläger ist, gab trotz mehrerer Aufforderungen des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) für das Streitjahr 1981 keine Einkommensteuererklärung ab. Das FA schätzte daraufhin die Besteuerungsgrundlagen und veranlagte die Erblasserin entsprechend zur Einkommensteuer.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) wies nach mündlicher Verhandlung, zu welcher der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war, die Klage als unzulässig ab, da keine hinreichende Bezeichnung des Streitgegenstandes erfolgt war.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Mit der Revision rügt der Kläger, daß ein wesentlicher Mangel des Verfahrens i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorliege. Verletzt seien § 90 Abs. 1 FGO sowie der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Das FG-Urteil sei ohne mündliche Verhandlung ergangen, da er - der Kläger - auf Grund eines Versehens seiner Kanzlei zum Termin nicht habe erscheinen, mithin auch nicht verhandeln können. Eine Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung habe er nicht erteilt. Die Versagung rechtlichen Gehörs sei darin zu sehen, daß das Gericht nicht vor Eintritt in die Erörterung der Sache telefonisch seine Anwaltskanzlei auf den Termin aufmerksam gemacht habe. Bei einem Rechtsanwalt müsse davon ausgegangen werden, daß er nicht ohne triftigen Grund einer mündlichen Verhandlung fernbleibe. Der Termin habe deshalb im Zweifelsfalle vertagt werden müssen.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil sowie den Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 1984 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Gemäß § 115 FGO, Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) in der zur Zeit der Revisionseinlegung geltenden Fassung findet die Revision statt, wenn das FG oder der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Daß die Revision im vorliegenden Falle zugelassen worden sei, behauptet der Kläger selbst nicht. Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat er nicht eingelegt.

Die in § 116 FGO abschließend (vgl. u. a. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Tz. 11) bezeichneten Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Revision liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger rügt mit seiner Revision keine der in dieser Vorschrift genannten wesentlichen Verfahrensmängel. Insbesondere ist der allenfalls in Betracht kommende Mangel des ,,Nichtvertretenseins" nicht gerügt worden. Denn der Kläger trägt nicht vor, daß er wegen eines Ladungsfehlers des Gerichts den Termin versäumt habe (siehe hierzu Urteil des Senats vom 14. Dezember 1971 VIII R 13/67, BFHE 104, 491, BStbl II 1972, 424 sowie Urteil des BFH vom 15. November 1974 VI R 107/74, BFHE 114, 457, BStBl II 1975, 335).

Der Rechtsbehauptung des Klägers, das Gericht habe auch bei ordnungsgemäßer Ladung eines Rechtsanwalts die Pflicht, sich vor Beginn der mündlichen Verhandlung nach dessen Verbleib zu erkundigen, kann nicht gefolgt werden. Ist dem Gericht die rechtzeitige und ordnungsgemäße Ladung durch ein zweifelsfreies Empfangsbekenntnis des geladenen Rechtsanwalts nachgewiesen, so ist es weiterer Pflichten in dieser Richtung enthoben. Jedes andere Verständnis der Ladungsvorschriften würde zu einer noch größeren Überlastung der Gerichte führen, die nicht zuletzt im Interesse der Rechtsuchenden nicht hingenommen werden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414696

BFH/NV 1987, 102

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