Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Kinderbetreuungskosten gem. § 33c EStG: Aussetzung der anhängigen Verfahren bis zur Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 17/85 erforderlich

 

Leitsatz (amtlich)

Revisionsverfahren und Klageverfahren, in denen der Umfang der Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten nach § 33c EStG streitig ist, sind in entsprechender Anwendung des § 74 FGO auszusetzen, bis das BVerfG im Verfahren 1 BvL 17/85 (über den Vorlagebeschluß des Niedersächsischen FG vom 9. Juli 1985 VII 624/84, EFG 1985, 565) entschieden hat.

 

Normenkette

EStG 1979 § 33c; FGO § 74; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wandte im Jahre 1979 (Streitjahr) für seinen Sohn A, den Beigeladenen, Kinderbetreuungskosten in Höhe von 2 088 DM auf. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ließ im Hinblick auf eine zumutbare Belastung des Klägers von 4 128 DM nur den Pauschbetrag nach § 33c Abs.4 i.V.m. § 53b Abs.3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes (StBereinG) 1985 in Höhe von 480 DM zum Abzug zu.

Das Finanzgericht (FG) gab hingegen der Klage statt und berücksichtigte die Aufwendungen in voller Höhe von 2 088 DM steuermindernd.

Dagegen legte das FA --nach Zulassung dieses Rechtsmittels durch den erkennenden Senat-- Revision ein.

Das FA hat hilfsweise beantragt, das Revisionsverfahren auszusetzen, bis das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in dem Normenkontrollverfahren 1 BvL 17/85 über den Vorlagebeschluß des Niedersächsischen FG vom 9. Juli 1985 VII 624/84 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1985, 565) entschieden habe.

Der Kläger hat sich dazu nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II. Das Revisionsverfahren ist auszusetzen, bis das BVerfG im Verfahren 1 BvL 17/85 über den Umfang der Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten nach § 33c EStG entschieden hat.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Klageverfahren entsprechend § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen, wenn vor dem BVerfG ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, den FG zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen und keiner der Beteiligten des Klageverfahrens ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung des FG über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408; vom 18. September 1992 III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123, und vom 25. August 1993 X B 32/93, BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797). Gleiches gilt für bereits beim BFH anhängige Revisionsverfahren (§§ 121, 74 FGO; vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10. April 1992 III R 184/90, BFHE 167, 436, BStBl II 1992, 814, Abschn.II Nr.3 der Entscheidungsgründe).

2. Im Streitfall sind die oben genannten Voraussetzungen erfüllt.

a) Dem BVerfG liegt unter dem Aktenzeichen 1 BvL 17/85 die Vorlage des Niedersächsischen FG in EFG 1985, 565 vor, in der dieses § 33c i.V.m. § 53b Abs.3 EStG 1983 i.d.F. des StBereinG vom 14. Dezember 1984 (BGBl I 1984, 1493) insoweit für mit Art.3 Abs.1 und Art.6 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar hält, als danach Kinderbetreuungskosten Alleinstehender nicht in der tatsächlich entstandenen Höhe einkommensmindernd berücksichtigt werden. Dieses Normenkontrollverfahren ist nicht offensichtlich aussichtslos. Dies ergibt sich schon daraus, daß der erkennende Senat im Urteil in BFHE 167, 436, BStBl II 1992, 814 selbst der Auffassung ist, daß Kinderbetreuungskosten für den Abzug nach § 33c EStG 1985 jedenfalls nicht um die "zumutbare Belastung" i.S. des § 33 Abs.1 und 3 EStG gekürzt werden dürfen. Er ist zu diesem Ergebnis allerdings aufgrund verfassungskonformer Auslegung gelangt.

b) Beim BFH und bei den FG ist eine Vielzahl gleichartiger Fälle anhängig. Allein beim erkennenden Senat sind zum Umfang der Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten nach § 33c EStG derzeit ca. 40 Nichtzulassungsbeschwerden und Revisionen registriert. Aus den Akten zu diesen Fällen ergibt sich, daß an die FG noch weit mehr Verfahren herangetragen worden sind. Im übrigen sind Einkommensteuerbescheide nach dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 10. Juli 1992 (BStBl I 1992, 402) wegen der großen Anzahl eingelegter Rechtsbehelfe (u.a. auch) hinsichtlich der Höhe des Abzugs von Kinderbetreuungskosten (§ 33c EStG) gemäß § 165 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig zu erlassen. Es handelt sich deshalb bei den Verfahren, in denen um die Höhe der Abziehbarkeit der Kinderbetreuungskosten alleinerziehender Elternteile gestritten wird, um Massenverfahren im Sinne der oben genannten BFH-Entscheidungen (vgl. hierzu auch den BFH-Beschluß in BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797).

c) Im Streitfall sind auch keine Gesichtspunkte erkennbar, die ein berechtigtes Interesse der Beteiligten an einer (weiteren) Entscheidung des erkennenden Senats zur Sache begründen könnten, bevor das BVerfG im Verfahren 1 BvL 17/85 entschieden hat.

Anders als im Falle des Urteils in BFHE 167, 436, BStBl II 1992, 814 (s. dort Abschn.II Nr.3 der Entscheidungsgründe) hat der BFH inzwischen --durch eben dieses Urteil-- zur maßgebenden Streitfrage bereits einmal Stellung genommen. Auch hat der Kläger dem Aussetzungsbegehren des FA nicht widersprochen.

3. Schließlich ist gerade durch das oben genannte Urteil eine Situation entstanden, die eine Aussetzung des vorliegenden Revisionsverfahrens noch aus anderen Gründen gebietet. Sollte nämlich das BVerfG anders entscheiden als der erkennende Senat (im Urteil in BFHE 167, 436, BStBl II 1992, 814), so wären der BFH und die FG gemäß § 31 Abs.1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht an die Entscheidung des BVerfG gebunden. Dies berücksichtigt, würden weitere Entscheidungen des BFH oder auch der FG im Sinne des Urteils in BFHE 167, 436, BStBl II 1992, 814 --zeitlich vor einer Entscheidung des BVerfG-- dazu führen, daß die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, wenn nicht gar der Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) verletzt würde. Denn diese Entscheidungen des BFH wären endgültig, da dem beklagten Fiskus gegen Urteile des BFH kein Rechtsbehelf zusteht und eine --möglicherweise-- entgegengesetzte Entscheidung des BVerfG im Vorlageverfahren 1 BvL 17/85 nicht zur Wiederaufnahme führen würde (vgl. zu allem bereits den Beschluß des BFH vom 24. Januar 1967 II S 30/66, BFHE 87, 517, BStBl III 1967, 205). Ähnlich wäre die Rechtslage möglicherweise bei weiteren --einer Entscheidung des BVerfG vorgreifenden-- FG-Urteilen im Sinne des BFH-Urteils in BFHE 167, 436, BStBl II 1992, 814, sobald der erkennende Senat neuerlich im Sinne des oben genannten Urteils zur Sache entscheiden würde. Denn dann könnten die beklagten FÄ wohl kaum mehr mit Erfolg die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache begehren (vgl. hierzu den BFH-Beschluß vom 7. Dezember 1988 VIII B 71/88, BFHE 155, 44, BStBl II 1989, 566).

Auf diese Weise wären die Steuerpflichtigen, in deren Fällen der BFH und die FG bereits abschließend zur Sache entschieden, begünstigt. Andere Steuerpflichtige hingegen, deren Fälle zum Zeitpunkt einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG noch offen sind, wären benachteiligt. Dieses Ergebnis kann nur durch eine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens (sowie aller übrigen gleichliegenden beim BFH und den FG anhängigen Revisions- und Klageverfahren) verhindert werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64960

BFH/NV 1994, 72

BStBl II 1994, 758

BFHE 174, 404

BFHE 1995, 404

BB 1994, 1628

BB 1994, 1921

BB 1994, 1921-1922 (LT)

DB 1994, 1805 (L)

DStR 1994, 1309 (KT)

HFR 1994, 659-660 (LT)

StE 1994, 495-496 (K)

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