Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahlrechtsausübung nach § 82b EStDV; zu Inhalt und Umfang der Hinweispflicht; fehlerhafte Rechtsanwendung

 

Leitsatz (NV)

1. Hat der Steuerpflichtige sein Wahlrecht, größere Erhaltungsaufwendungen nach § 82b EStDV anteilig gleichmäßig zu verteilen, - ausdrücklich oder konkludent ‐ ausgeübt und ist die betreffende Steuerfestsetzung bestandskräftig geworden, so ist er an die einmal getroffene Wahl auch in den Folgejahren gebunden. Das Wahlrecht kann nämlich nicht mehr ausgeübt werden, wenn die Erhaltungsaufwendungen im Jahr ihrer Entstehung bestandskräftig und in vollem Umfang nach der Grundregel des § 11 Abs. 2 EStG abgezogen worden sind.

2. Das FG ist weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet, also dazu, die maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten vorher umfassend und im Einzelnen zu erörtern oder ihnen die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte, Schlussfolgerungen oder das Ergebnis einer Gesamtwürdigung im Voraus anzudeuten oder mitzuteilen. Auf naheliegende tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte braucht es zumindest dann nicht hinzuweisen, wenn die Beteiligten fachkundig vertreten sind. Bei umstrittener Rechtslage muss ein Beteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten.

3. Zwar entfallen bei fachkundig vertretenen Beteiligten die Hinweispflichten nach § 76 Abs. 2 FGO nicht grundsätzlich. Bei einem selbst steuerlich fach- und sachkundigen Beteiligten verletzt das Unterlassen eines (nach seiner Ansicht notwendigen) Hinweises regelmäßig nicht diese Pflicht und stellt daher keinen Verfahrensmangel dar. Besondere Umstände, die im Streitfall eine Ausnahme von der Regel erforderten, hätten dargelegt werden müssen.

4. Mit der Rüge der in der vermeintlich unzutreffenden Umsetzung der BFH-Rechtsprechung liegenden fehlerhaften Rechtsanwendung, mithin der materiellen Unrichtigkeit des FG-Urteils, kann die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreicht werden, zumal wenn eine willkürliche oder greifbar gesetzwidrige Beurteilung durch das FG nicht offensichtlich ist.

 

Normenkette

EStG § 11 Abs. 2; EStDV § 82b; FGO § 76 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3

 

Verfahrensgang

FG Münster (Urteil vom 02.02.2006; Aktenzeichen 15 K 5273/02 E)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben.

1. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist nicht erforderlich; denn das Finanzgericht (FG) weicht --entgegen der Ansicht des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger)-- nicht von den als Divergenz-Entscheidungen benannten BFH-Urteilen vom 27. Oktober 1992 IX R 152/89 (BFHE 170, 57, BStBl II 1993, 589), IX R 66/91 (BFHE 170, 214, BStBl II 1993, 591) und vom 24. November 1992 IX R 99/89 (BFHE 170, 222, BStBl II 1993, 593) ab. Nach dieser Rechtsprechung kann der Steuerpflichtige, der größere Erhaltungsaufwendungen im Jahr ihrer Entstehung nicht als Werbungskosten abgezogen und auch keine anderweitige Verteilung nach § 82b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) gewählt hat, den betreffenden Einkommensteuerbescheid aber bestandskräftig hat werden lassen, diese Aufwendungen --unter Ausschluss des auf das Entstehungsjahr entfallenden Anteils-- anteilig gleichmäßig auf die folgenden Jahre des Verteilungszeitraums verteilen. Hat der Steuerpflichtige indes sein Wahlrecht --ausdrücklich oder konkludent-- ausgeübt und ist die betreffende Steuerfestsetzung bestandskräftig geworden, so ist er an die einmal getroffene Wahl auch in den Folgejahren gebunden (vgl. BFH-Urteile in BFHE 170, 57, BStBl II 1993, 589, unter II. 2. c bb; vom 3. April 2001 IX R 16/98, BFHE 195, 273, BStBl II 2001, 599, unter II. 2. b; vom 17. August 2005 IX R 3/03, BFH/NV 2006, 269). Das Wahlrecht kann nämlich nicht mehr ausgeübt werden, wenn die Erhaltungsaufwendungen im Jahr ihrer Entstehung bestandskräftig und in vollem Umfang nach der Grundregel des § 11 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abgezogen worden sind (vgl. BFH-Urteile vom 27. Oktober 1992 IX R 60/90, BFH/NV 1993, 467; vom 29. März 1995 X R 81/92, BFHE 177, 423, BStBl II 1995, 536).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist das FG zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Verteilung der in 1996 angefallenen Erhaltungsaufwendungen nicht mehr in Betracht kommt, weil der Kläger sich für einen Vollabzug der Aufwendungen in 1996 entschieden hat und die Steuerfestsetzung für 1996 bestandskräftig geworden ist. Seinen tatsächlichen Feststellungen zufolge, die auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde für den Senat bindend (vgl. § 118 Abs. 2 FGO; BFH-Beschlüsse vom 8. Dezember 1998 XI B 159/97, BFH/NV 1999, 662; vom 16. September 2002 IX B 20/02, BFH/NV 2003, 186) sind, ist das FG davon ausgegangen, dass der Kläger die der Höhe nach unstreitigen Erhaltungsaufwendungen 1996 in vollem Umfang ausweislich der betreffenden Anlage V geltend gemacht, eine Verteilung auf die Folgejahre nicht vorgenommen und damit sein Wahlrecht --anders als es in den BFH-Fällen in BFHE 170, 57, BStBl II 1993, 589, und BFHE 170, 214, BStBl II 1993, 591, geschehen ist-- ausgeübt hat; zudem hätten sich die Erhaltungsaufwendungen auch steuerlich zu Gunsten des Klägers ausgewirkt.

Hingegen geht der Kläger von einem anderen Sachverhalt aus und nimmt an, er habe sein Wahlrecht   nicht  ausgeübt und die als Werbungskosten geltend gemachten Erhaltungsaufwendungen hätten sich nicht ausgewirkt, sodass die benannte BFH-Rechtsprechung im Streitfall einschlägig sei. Insoweit rügt er lediglich die in der vermeintlich unzutreffenden Umsetzung der BFH-Rechtsprechung liegende fehlerhafte Rechtsanwendung, mithin die materielle Unrichtigkeit des FG-Urteils; damit kann jedoch die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreicht werden, zumal eine willkürliche oder greifbar gesetzwidrige Beurteilung nicht offensichtlich ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. September 2001 V B 77/00, BFH/NV 2002, 359; vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476).

2. Die geltend gemachten Verfahrenmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) in Gestalt einer Verletzung der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2, § 93 Abs. 1 FGO) und eines Verstoßes des FG gegen seine Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) sind nicht gegeben. Dies schon deshalb nicht, weil der Kläger seinen Überlegungen einen anderen Sachverhalt als das FG zugrunde gelegt hat.

a) Im Übrigen ist das FG weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet, also dazu, die maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten vorher umfassend und im Einzelnen zu erörtern oder ihnen die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte, Schlussfolgerungen oder das Ergebnis einer Gesamtwürdigung im Voraus anzudeuten oder mitzuteilen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 12. Juli 2002 VII B 257/01, BFH/NV 2002, 1498; vom 8. November 2005 III B 33/05, BFH/NV 2006, 568; vom 23. November 2005 X B 77/05, BFH/NV 2006, 356). Auf naheliegende tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte braucht es zumindest dann nicht hinzuweisen, wenn die Beteiligten fachkundig vertreten sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947; vom 11. Februar 2003 XI B 4/02, BFH/NV 2003, 802). Daher muss selbst dann, wenn die Rechtslage umstritten ist, ein Beteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (vgl. BFH-Urteil vom 3. März 1998 VIII R 66/96, BFHE 185, 422, BStBl II 1998, 383, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 9. Juni 2005 VIII B 105/04, BFH/NV 2005, 2211, unter II. 2. b).

b) Inhalt und Umfang der gerichtlichen Hinweispflichten (§ 76 Abs. 2 FGO) hängen regelmäßig von der Sach- und Rechtslage im Einzelfall ab, von der Mitwirkung der Beteiligten sowie von deren individuellen Möglichkeiten. Zwar entfallen bei fachkundig vertretenen Beteiligten die Hinweispflichten nicht grundsätzlich. Bei einem --wie hier-- selbst steuerlich fach- und sachkundigen Beteiligten verletzt das Unterlassen eines (nach seiner Ansicht notwendigen) Hinweises gemäß § 76 Abs. 2 FGO regelmäßig nicht die Pflicht aus § 76 Abs. 2 FGO und stellt daher keinen Verfahrensmangel dar (z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. November 2003 III B 7/03, BFH/NV 2004, 645; vom 18. April 2005 IV B 90/03, BFH/NV 2005, 1817, m.w.N.).

Im Übrigen hatte jedenfalls der Beklagte und Beschwerdegegner mit Schriftsatz vom 4. März 2003 hinsichtlich der Berücksichtigung der geltend gemachten Erhaltungsaufwendungen auf die BFH-Urteile in BFH/NV 1993, 467 und in BFHE 177, 423, BStBl II 1995, 536, hingewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1718329

BFH/NV 2007, 1135

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