Entscheidungsstichwort (Thema)

Sachaufklärung; rechtliches Gehör; Rügeverlust; Tatsachen- und Beweiswürdigung

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nicht vor, wenn der rechtskundig vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung hinreichend Gelegenheit hatte, hinsichtlich der schriftsätzlich angeregten, vom FG aber nicht durchgeführten Beweiserhebungen entsprechende Beweisanträge zu stellen, sich zum "neuen" FA-Vorbringen zu äußern oder eine Erklärungs- oder Nachreichungsfrist oder sonst eine Vertragung mit Schriftsatznachlass zu beantragen.

2. Bei verzichtbaren Verfahrensmängeln wie der Verletzung der Sachaufklärungspflicht oder des rechtlichen Gehörs geht das Rügerecht schon durch rügelose Verhandlung zur Sache und damit durch bloßes Unterlassen verloren.

3. Rügt der Kläger mit einer unzutreffenden Tatsachen- und Beweiswürdigung letztlich die Unrichtigkeit des FG-Urteils, also materiell-rechtliche Fehler, kann damit die Zulassung der Revision nicht erreicht werden.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3; ZPO §§ 165, 295

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Urteil vom 14.04.2010; Aktenzeichen 8 K 183/09)

 

Gründe

Rz. 1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Es bleibt dahingestellt, ob ihre Begründung den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht; jedenfalls liegen die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Verfahrensmängel nicht vor.

Rz. 2

1. Soweit der Kläger eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) als (verzichtbaren) Verfahrensmangel in Gestalt des Unterlassens einer möglichen Amtsermittlung rügt, ist dieser Verstoß nicht gegeben. Ausweislich des Sitzungsprotokolls (zu dessen Beweiskraft: § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung --ZPO--) wurde "die Sach- und Rechtslage … erörtert", ohne dass ein Beweisantrag gestellt oder der Kläger auf ihn oder anderweitige Aufklärungsmaßnahmen hingewirkt hätte. Auch die im Schriftsatz an das Finanzgericht (FG) vom 18. März 2010 aufgeführten Beweisanträge wurden in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt oder wiederholt. So hat der --in der mündlichen Verhandlung vor dem FG rechtskundig vertretene-- Kläger rügelos zur Sache verhandelt und damit durch bloßes Unterlassen sein Rügerecht verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO; vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. August 2008 IX B 207/07, BFH/NV 2008, 2022, m.w.N.). Hinsichtlich der in den Vorjahren vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) bislang akzeptierten Verwalterverträge lässt der Kläger den Grundsatz der Abschnittsbesteuerung außer Acht; danach führt allein eine bestimmte Beurteilung in einem Veranlagungszeitraum nicht zu einer Bindung der Finanzbehörde für künftige oder zurückliegende Steuerabschnitte (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 1994 IX R 64/92, BFH/NV 1995, 869; BFH-Beschluss vom 10. Juni 2010 IX B 233/09, BFH/NV 2010, 1824, m.w.N.).

Rz. 3

2. Die vom Kläger gerügte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO), die ebenso zu den verzichtbaren Verfahrensmängeln gehört (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16. Juni 2009 V B 154/08, BFH/NV 2009, 1597, unter II.4.a; vom 27. September 2007 IX B 19/07, BFH/NV 2008, 27, unter 3.), liegt nicht vor. Zur Gewährung rechtlichen Gehörs obliegt es dem Gericht u.a., den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zu geben und ihre Ausführungen und Anträge wie auch den Akteninhalt zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Allerdings muss ein --zumindest fachkundig vertretener-- Beteiligter gerade bei umstrittener Sach- und/oder Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (s. BFH-Beschluss vom 29. Dezember 2006 IX B 139/05, BFH/NV 2007, 1084; vom 14. Oktober 2009 IX B 86/09, BFH/NV 2010, 222, m.w.N.).

Rz. 4

Im Streitfall hatte der rechtskundig vertretene Kläger hinsichtlich der (Ausschluss-)Fristsetzung des FG vom 25. Februar 2010 genügend Zeit, auf die nur "wenigen, bei ihm verbliebenen Unterlagen" hinzuweisen und ggf. eine Fristverlängerung (zur weiteren Nachforschung bei sich oder dem FA) zu beantragen. Auch hinsichtlich des kurzfristig übermittelten FA-Schriftsatzes vom 9. April 2010 und hinsichtlich der schriftsätzlich angeregten, vom FG aber nicht durchgeführten Beweiserhebungen hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung hinreichend Gelegenheit, entsprechende Beweisanträge zu stellen, sich zum "neuen" FA-Vorbringen zu äußern oder eine Erklärungs- oder Nachreichungsfrist oder sonst eine Vertagung mit Schriftsatznachlass zu beantragen; dies alles ist ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht geschehen. Dazu war schon aufgrund der Ladung erkennbar, dass das FG eine mögliche Beweiserhebung oder weitere Aufklärungsmaßnahmen nicht durchzuführen beabsichtigte. Zudem fehlt der Vortrag, weshalb entsprechende Rügen in der mündlichen Verhandlung nicht möglich waren (vgl. BFH-Beschluss vom 15. März 2007 IX B 234/06, BFH/NV 2007, 1179). Auch insoweit hat der rechtkundig vertretene Kläger rügelos zur Sache verhandelt und damit sein Rügerecht verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO; vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 2022, m.w.N.).

Rz. 5

3. Letztlich rügt der Kläger mit einer (vermeintlich) unzutreffenden Tatsachen- und Beweiswürdigung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. November 2007 VIII B 70/07, BFH/NV 2008, 380; vom 16. Mai 2006 VIII B 160/05, BFH/NV 2006, 1477, m.w.N.) die Unrichtigkeit des FG-Urteils, also materiell-rechtliche Fehler; damit kann die Zulassung der Revision jedoch nicht erreicht werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. September 2008 IX B 110/08, BFH/NV 2009, 39; vom 19. Mai 2010 IX B 198/09, BFH/NV 2010, 1647).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2539033

BFH/NV 2011, 61

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