Entscheidungsstichwort (Thema)

Zweistufiges Feststellungsverfahren; Bindung an nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangene Grundlagenbescheide

 

Leitsatz (NV)

1. Bei doppel- und mehrstöckigen Personengesellschaften sind die im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung für die Untergesellschaft festgestellten Besteuerungsgrundlagen der Obergesellschaft zuzurechnen, nicht aber unmittelbar den Gesellschaftern der Obergesellschaft (zweistufiges Feststellungsverfahren).

2. Ein Bescheid, der nach Ablauf der Festsetzungsfrist bekannt gegeben wird, ist zwar rechtswidrig, aber wirksam. Ein nach Ablauf der Festsetzungs-/Feststellungsfrist ergangener Grundlagenbescheid löst daher ‐ bis zu seiner etwaigen Aufhebung in einem Rechtsbehelfsverfahren ‐ die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO 1977 aus.

3. Ein Bescheid über die gesonderte Feststellung des Wertes vermögensteuerpflichtiger Wirtschaftsgüter (§ 180 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977) ist auch dann inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn die auf den einzelnen Beteiligten entfallenden Wertanteile nicht in einem Geldbetrag, sondern in einem Vom-Hundert-Satz des Gesamtwerts angegeben sind.

4. Ist ein rechtlicher Gesichtspunkt, den der Beschwerdeführer für maßgebend hält, im finanzgerichtlichen Verfahren weder von einem der Beteiligten noch vom FG angesprochen worden, setzt die Darlegung eines schwerwiegenden Rechtsfehlers Ausführungen dazu voraus, warum gerade in dem Schweigen des finanzgerichtlichen Urteils zu der im bisherigen Verfahren nicht aufgeworfenen Frage ein schwerwiegender Rechtsfehler liegen soll.

 

Normenkette

AO 1977 § 171 Abs. 10, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Nr. 3; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg (Urteil vom 28.07.2005; Aktenzeichen IV 335/2004)

 

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Rechtsfrage, ob bei einer doppelstöckigen Personengesellschaft --wie im Streitfall geschehen-- ein zweistufiges Feststellungsverfahren durchzuführen ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil sie bereits höchstrichterlich geklärt ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind die im Feststellungsverfahren für die Untergesellschaft festgestellten Besteuerungsgrundlagen der Obergesellschaft --nicht aber unmittelbar deren Gesellschaftern-- zuzurechnen (BFH-Entscheidungen vom 10. August 1989 III R 5/87, BFHE 158, 109, BStBl II 1990, 38, unter 1.a; vom 26. Januar 1995 IV R 23/93, BFHE 177, 71, BStBl II 1995, 467, unter IV.3.; vom 14. November 1995 VIII R 8/94, BFHE 179, 216, BStBl II 1996, 297, unter 2.b; vom 9. Juli 2003 I R 5/03, BFH/NV 2004, 1, unter II.1.; vom 11. Dezember 2003 IV R 42/02, BFHE 204, 223, BStBl II 2004, 353, unter 2.a, und vom 26. April 2005 I B 159/04, BFH/NV 2005, 1560, unter II.4.).

Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gesichtspunkte rechtfertigen eine erneute Prüfung dieser Frage in einem Revisionsverfahren nicht. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

2. Auch die Frage, ob ein nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangener Grundlagenbescheid die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO 1977) auslöst, hat mangels Klärungsbedürftigkeit keine grundsätzliche Bedeutung.

Ein Bescheid, der nach Ablauf der Festsetzungsfrist bekannt gegeben wird, ist zwar rechtswidrig, jedoch nicht nichtig, und daher wirksam (BFH-Beschlüsse vom 20. Mai 1992 V B 73/91, BFH/NV 1993, 444, und vom 6. Mai 1994 V B 28/94, BFH/NV 1995, 275). Ist ein Feststellungsbescheid aber wirksam geworden, entfaltet er --bis zu seiner etwaigen Aufhebung oder Änderung-- auch dann Bindungswirkung, wenn er rechtswidrig ist (BFH-Urteil vom 24. März 1998 I R 83/97, BFHE 186, 67, BStBl II 1998, 601, unter II.1.c, m.w.N.). Ein bindender Feststellungsbescheid löst die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO 1977 aus, ohne dass es dazu weiterer Ermittlungen des für den Erlass des Folgebescheids zuständigen Finanzamts bedarf. Die Notwendigkeit solcher Ermittlungen wäre mit dem Zweck des Feststellungsverfahrens --der Verfahrensvereinfachung-- nicht vereinbar. Gegenteiliges lässt sich auch dem Senatsurteil vom 12. August 1987 II R 202/84 (BFHE 150, 319, BStBl II 1988, 318), auf das einige der in der Beschwerdebegründung zitierten Literaturstimmen sich berufen, schon deshalb nicht entnehmen, weil im dort zu beurteilenden Fall die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen war.

3. Die Rechtsfrage, ob die Anforderungen an die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit eines Feststellungsbescheids nach § 180 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 gewahrt sind, wenn die auf die einzelnen Beteiligten entfallenden Wertanteile nicht in einem Geldbetrag, sondern in einem Vom-Hundert-Satz des Gesamtwerts angegeben sind, hat ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung.

Insoweit kann offen bleiben, ob dieser Teil der Beschwerdebegründung, der keine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung enthält, die zu den einschlägigen Vorschriften der § 119 Abs. 1 und § 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 bisher ergangen ist, den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt. Die Rechtsfrage ist jedenfalls nicht klärungsbedürftig, weil sie bereits durch die Rechtsprechung des BFH geklärt ist. Zu der mit § 180 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 vergleichbaren Vorschrift des § 18 Abs. 1 Satz 2 des Außensteuergesetzes hat der BFH entschieden, dass die Bestimmtheitsanforderungen bereits dann erfüllt sind, wenn im Feststellungsbescheid der Gesamtbetrag und der Verteilungsschlüssel genannt werden. Die zusätzliche Angabe der auf die einzelnen Beteiligten entfallenden Geldbeträge ist nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 2. Juli 1997 I R 32/95, BFHE 183, 496, BStBl II 1998, 176, unter II.1.b).

4. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) zuzulassen, weil dem Finanzgericht (FG) ein schwerwiegender Rechtsfehler unterlaufen wäre. Mit der Beschwerde wird insoweit die Auffassung vertreten, das FG sei in greifbar gesetzwidriger Weise von der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit des zuletzt ergangenen Einheitswertbescheids für die X-KG ausgegangen, obwohl dieser Bescheid die Abgrenzung der bewerteten wirtschaftlichen Einheit im Hinblick auf die einbezogenen Beteiligungen nicht erkennen lasse.

Im Verwaltungs- und Klageverfahren hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Vermögensteuerbescheids wurden zwar zahlreiche Gründe für eine Nichtigkeit des Vermögensteuer- oder Feststellungsbescheids vorgebracht, jedoch wurde in keinem der eingereichten umfangreichen Schriftsätze die Auffassung vertreten, der Feststellungsbescheid sei mangels erkennbarer Abgrenzung der bewerteten wirtschaftlichen Einheit unbestimmt. Auch das angefochtene Urteil des FG --das die Wirksamkeit des Feststellungsbescheids in Auseinandersetzung mit den übrigen vorgetragenen Nichtigkeitsgründen bejaht hat-- enthält keinerlei Ausführungen zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt. Dieser ist vielmehr erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht worden.

Angesichts dessen hätte in der Beschwerdebegründung dargelegt werden müssen, warum gerade das Schweigen des finanzgerichtlichen Urteils zu diesem im bisherigen Verfahren nicht angesprochenen rechtlichen Gesichtspunkt unter die von der Rechtsprechung entwickelte Ausnahmefallgruppe des schwerwiegenden Rechtsfehlers fallen soll. Daran fehlt es.

5. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das materielle Rechtsschutzinteresse, das mit der Beschwerde verfolgt wird, dadurch gewahrt ist, dass der Feststellungsbescheid für die X-KG ebenfalls angefochten ist. Sollte der Senat diesen Bescheid wegen des Eintritts der Feststellungsverjährung oder der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe aufheben, wäre ungeachtet der nunmehr rechtskräftigen Klageabweisung auch der hier streitgegenständliche Vermögensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 zu ändern (vgl. § 110 Abs. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1548927

BFH/NV 2006, 1616

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