Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Existenzgefährdung trotz mehrjähriger Verluste

 

Leitsatz (NV)

1. Die fehlende Erhöhung der Anwalts- und Notargebühren bzw. deren Anpassung an die Lebenshaltungskosten sowie eine entsprechende Resolution der Anwaltskammer können die für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes erforderliche, ins einzelne gehende Darlegung der Bedrohung der wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz eines Anwalts durch die vom FA ergriffene Vollstreckungsmaßnahme auch dann nicht ersetzen, wenn der Anwalt trotz sechzig Stunden Wochenarbeitszeit seit Jahren mit Verlust arbeitet.

2. Anträge im Beschwerdeverfahren, die den erstinstanzlichen Streitgegenstand wesentlich ändern, sind unzulässig.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 258, 322 Abs. 3; FGO § 114 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, § 132; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erzielt als Rechtsanwalt und Notar u.a. Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Nachdem der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) ihm und seiner Ehefrau (Antragstellerin) fällige Einkommensteuernachzahlungen aus wirtschaftlichen Gründen zunächst gestundet hatte, lehnte das FA weitere Stundungsanträge ab. Die Durchsetzung dieser Anträge betreiben die Antragsteller im Klagewege. Nach ihrer Auffassung stehen ihnen nach durchzuführender Änderung der Einkommensteuerbescheide Erstattungsansprüche zu, die mit den Steuerrückständen verrechnet werden könnten. Mit der gleichen Begründung lehnten die Antragsteller die Bezahlung der vom FA angemahnten Rückstände ab.

Am ... ersuchte das FA das Grundbuchamt um Eintragung einer Sicherungshypothek in das dem Antragsteller gehörende Grundstück wegen der Abgabenrückstände in Höhe von nunmehr ... DM. Dem Antragsteller wurde mit Verfügung ... eine beglaubigte Ausfertigung des Eintragungsantrags zur Kenntnis gebracht. Die Eintragung der Sicherungshypothek erfolgte am ...

Mit Schreiben ... beantragten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG), dem FA zu verbieten, auf dem Grundstück des Antragstellers eine Zwangshypothek eintragen zu lassen, und ihm aufzugeben, jegliche Zwangsvollstreckungsmaßnahme bis zum Abschluß des Klageverfahrens wegen Stundung zu unterlassen bzw. einzustellen bzw. erfolgte Maßnahmen wieder aufzuheben.

Das FG lehnte diesen als Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gewerteten Antrag als unzulässig ab, soweit er sich gegen die Eintragung einer Zwangssicherungshypothek richte; im übrigen sei er unbegründet.

Gegen Vollstreckungsersuchen an das Grundbuchamt nach § 322 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) könne nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vorläufiger Rechtsschutz lediglich mit dem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung erlangt werden (Hinweis auf die Urteile des Senats vom 17. Oktober 1989 VII R 77/88, BFHE 158, 310, BStBl II 1990, 44, und vom 8. Januar 1991 VII R 111/89, BFH/NV 1992, 4). Ein solcher Antrag sei nicht gestellt worden; nach Eintragung der Sicherungshypothek in das Grundbuch hätte er auch keinen Erfolg haben können.

Auch dem weitergehenden Antrag müsse der Erfolg versagt bleiben.Die Antragsteller hätten nicht schlüssig dargelegt und nicht glaubhaft gemacht, daß die Vollstreckungsbehörde verpflichtet sei, gemäß § 258 AO 1977 die Vollstreckungsmaßnahme wegen Unbilligkeit rückgängig zu machen, etwa weil die von den Antragstellern geschuldeten Abgabenrückstände sogleich wieder zurückgezahlt werden müßten, da infolge von Vorauszahlungen entsprechende Guthaben vorhanden seien. Nach ihrem eigenen Vortrag entstünden eventuelle Guthaben nämlich erst nach einer Änderung der unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheide. Außerdem fehle es an einem Anordnungsgrund für die Gewährung von Vollstreckungsaufschub. Die Eintragung einer Sicherungshypothek und die mögliche Vollstreckung hieraus seien zulässige Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung, die ein Steuerpflichtiger dulden müsse, solange er nicht glaubhaft mache, daß durch derartige Maßnahmen seine wirtschaftliche oder persönliche Existenz unmittelbar und konkret bedroht werde. Gründe dafür, daß durch die Vollstreckungsmaßnahmen des FA ihre Existenz gefährdet würde, hätten die Antragsteller nicht vorgebracht.

Die Antragsteller haben gegen diese Entscheidung des FG Beschwerde eingelegt. Während des Laufes des Beschwerdeverfahrens brachte das FA eine Kontenpfändung zur Beitreibung rückständiger Umsatzsteuervorauszahlungen aus, ohne diese zuvor dem Antragsteller anzukündigen. Daraufhin beantragten die Antragsteller im Beschwerdeverfahren (sinngemäß), im Wege der einstweiligen Anordnung unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung des FG die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des FA aufzuheben und das FA zu verpflichten, dies den Drittschuldnern unverzüglich mitzuteilen, ferner das FA zu verpflichten, unverzüglich die Löschung der Zwangshypothek zu bewilligen, und schließlich jegliche Zwangsvollstreckungsmaßnahme gegen die Antragsteller aus Steuerbescheiden der Jahre ... oder früher bis auf weiteres zu unterlassen und die Vollziehung dieser Steuerbescheide auszusetzen.

Das FA hob die Kontenpfändung auf, nachdem die Antragsteller die fälligen Umsatzsteuervorauszahlungen geleistet hatten.

Nunmehr erklärt der Antragsteller den entsprechenden Aufhebungsantrag für erledigt und beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, daß die Kontenpfändung rechtswidrig war. Im übrigen hält er seine Anträge aufrecht; sie seien begründet, weil das FA die Eintragung der Sicherungshypothek auf offenkundig rechtswidrige Weise erreicht habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Das FG hat zutreffend entschieden, daß ein Vollstreckungsschuldner - wie hier die Antragsteller - sich gegen das Eintragungsersuchen einer Sicherungshypothek, das einen dem Vollstreckungsschuldner gegenüber bekanntzugebenden Verwaltungsakt darstellt, (nur) mit der Anfechtungsklage wehren und vorläufigen Rechtsschutz allein mit dem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung erlangen kann. Es hat auch mit Recht von einer Umdeutung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgesehen. Das FG ist ferner zutreffend davon ausgegangen, daß die Antragsteller mit ihrem Antrag, dem FA im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, jegliche Zwangsvollstreckungsmaßnahme bis zum Abschluß des Hauptverfahrens über ihr Stundungsbegehren zu unterlassen bzw. erfolgte Maßnahmen wieder aufzuheben, eine Regelungsanordnung im Sinne von § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begehren. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch möglich, wenn - wie hier - der Rechtsschutzantrag auf § 258 AO 1977 gestützt wird (vgl. nur die Beschlüsse vom 4. April 1989 VII B 35/85, BFH/NV 1989, 714, und vom 30. März 1989 VII B 221/88, BFH/NV 1989, 794 m.w.N.).

Es kann im Streitfall dahinstehen, ob die Antragsteller einen nach § 114 Abs. 3 FGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht haben. Denn jedenfalls haben sie nicht den gleichfalls erforderlichen Anordnungsgrund dargelegt und glaubhaft gemacht.

§ 114 Abs. 1 Satz2 FGO räumt dem Gericht nämlich keine schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer Regelungsanordnung ein. Die in dieser Vorschrift ausdrücklich genannten Gründe (wesentliche Nachteile und drohende Gewalt) setzen Maßstäbe auch für die anderen Gründe im Sinne dieser Bestimmung. Andere Gründe rechtfertigen eine einstweilige Anordnung nur dann, wenn sie für die begehrte Regelungsanordnung ähnlich gewichtig und bedeutsam sind wie wesentliche Nachteile oder drohende Gewalt; sie müssen so schwerwiegend sein, daß sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (vgl. Beschluß des BFH vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233, 236).

Solche Anordnungsgründe sind im allgemeinen nur gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist. Umstände, wie die Bezahlung von Steuern, auch wenn sie möglicherweise nach einem Obsiegen im Hauptverfahren zu erstatten wären, eine zur Bezahlung von Steuern notwendige Kreditaufnahme, ein Zurückstellen betrieblicher Investitionen oder eine Einschränkung des gewohnten Lebensstandards, sind - für sich allein gesehen - keine Anordnungsgründe (BFH-Beschluß vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492, 494). Der Steuerschuldner muß deshalb die Vollstreckung aus Steuer- oder Abgabenbescheiden grundsätzlich dulden. Er kann allenfalls mit der Geltendmachtung von Beeinträchtigungen gehört werden, die über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung oder einer Zwangsvollstreckung hinausgehen (Beschluß des Senats vom 25. November 1986 VII B 123/86, BFH/NV 1987, 522, und vom 19. September 1991 VII B 139/91, BFH/NV 1992, 321, 322).

Die Antragsteller haben nicht schlüssig vorgetragen, daß die Vollstreckung wegen der Einkommensteuernachzahlungen ihre wirtschaftliche Existenz unmittelbar bedrohen könnte. Der Hinweis der Antragsteller, daß der Gesetzgeber seit 1987 die gesetzlichen Gebühren für Anwälte und Notare nicht mehr erhöht, sie nicht einmal den seither gestiegenen Lebenshaltungskosten angepaßt hat, sowie der Verweis auf eine entsprechende Resolution der Rechtsanwaltskammer kann ins einzelne gehende Darlegungen über eine Bedrohung der wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz der Antragsteller gerade durch die angegriffene Maßnahme des FA auch dann nicht ersetzen, wenn zugleich darauf hingewiesen wird, daß der Antragsteller trotz 60 Stunden Wochenarbeitszeit seit 1989 mit Verlust arbeitet.

Soweit die Antragsteller vorgetragen haben, die - inzwischen aufgehobene - Kontenpfändung sei nicht nur kreditgefährdend und geschäftsschädigend, sondern auch existenzvernichtend, weil sie sich auch auf Fremdgelder, durchlaufende Posten usw. erstrecke, die keine anwaltlichen Vergütungen darstellen, hätten sie damit schon deshalb keinen Erfolg haben können, weil es sich insgesamt nur um einen Betrag von rund ... DM gehandelt hat, der von ihnen - wie geschehen - durch Kreditaufnahme aufgebracht werden konnte.

Der Senat versteht die im Beschwerdeverfahren zusätzlich gestellten Anträge als Anregungen für bestimmte gerichtliche Anordnungen, falls die beantragte einstweilige Anordnung zur Regelung des vorläufigen Zustandes bis zur Entscheidung über die Stundungsbegehren der Antragsteller zu erlassen gewesen wäre. Da die Beschwerde ohne Erfolg bleibt, bedürfen sie nicht der Bescheidung. Soweit die Anträge den Streitgegenstand, um den es in der Vorinstanz ging, wesentlich ändern, sind sie ohnehin unzulässig (vgl. Beschluß des Senats vom 23. August 1988 VII B 76/88, BFHE 154, 29, BStBl II 1988, 952).

 

Fundstellen

Haufe-Index 418939

BFH/NV 1994, 480

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