Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlerhafte Rechtsanwendung; rechtliches Gehör bei nachgereichten Unterlagen

 

Leitsatz (NV)

1. Eine fehlerhafte Tatsachenwürdigung stellt lediglich einen materiellen Fehler dar, der die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht rechtfertigt.

2. Die Pflicht des Gerichts zur Gewährung rechtlichen Gehörs erfordert es u.a., den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern und ihre für wesentlich gehaltenen Rechtsansichten vorzutragen.

3. Vertritt das FG im Urteil eine vom vorangehenden Gerichtsbescheid abweichende oder gegenteilige Ansicht, liegt darin nicht notwendig eine Überraschungsentscheidung, zumal der Gerichtsbescheid nach Antrag auf mündliche Verhandlung als nicht ergangen gilt.

4. Das rechtliche Gehör eines Beteiligten wird aber verletzt, wenn das FG, das sich in seinem Urteil auf nach der mündlichen Verhandlung eingereichte Unterlagen eines Beteiligten bezieht und daraus Erkenntnisse ableitet, die nachgereichten Unterlagen nicht vor seiner Entscheidung dem/den anderen Beteiligten zur Kenntnis und Stellungnahme zugänglich gemacht hat.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6, § 119 Nr. 3; ZPO § 165

 

Verfahrensgang

Sächsisches FG (Urteil vom 01.03.2007; Aktenzeichen 2 K 1654/06)

 

Gründe

Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht --FG-- (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO, § 119 Nr. 3 FGO) liegt vor; auf ihm kann die angefochtene Entscheidung beruhen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

1. Zwar stellt die gerügte fehlerhafte Tatsachenwürdigung lediglich einen materiellen Fehler dar, der die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht rechtfertigt. Auch kann dahingestellt bleiben, ob die gerügte Divergenz zum Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Oktober 2004 IX R 57/02 (BFHE 208, 151, BStBl II 2005, 388) gegeben ist.

Das rechtliche Gehör des FA wurde aber verletzt, in dem das FG das nachgereichte Gästebuch nicht vor seiner Entscheidung dem FA zur Kenntnis und Stellungnahme zugänglich gemacht hat.

a) Die Pflicht des Gerichts zur Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) erfordert es u.a., den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern und ihre für wesentlich gehaltenen Rechtsansichten vorzutragen (vgl. BFH-Beschluss vom 1. September 2005 IX B 44/05, BFH/NV 2005, 2245).

b) Danach wurde im Streitfall nach Aktenlage der Anspruch des FA auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Denn das FG hat sich in seinem Urteil ausdrücklich auf das Gästebuch bezogen und daraus Erkenntnisse abgeleitet; dieses Gästebuch ist erst nach der mündlichen Verhandlung vom 1. März 2007 am 5. März 2007 beim FG eingegangen (Bl. 77 FG-Akte) und dem FA nicht zugänglich gemacht worden. Entgegen dem Vorbringen der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) in der Beschwerdeerwiderung waren lt. Sitzungsprotokoll (zu dessen Beweiskraft s. § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung) in der mündlichen Verhandlung nicht ein Gästebuch, sondern Kalender aus den Jahren 1999 und 2001 vorgelegt worden (Bl. 62 Rückseite FG-Akte). Das bestätigt auch das FG-Urteil (auf S. 8 unten), wonach das Gästebuch "nach Schluss der mündlichen Verhandlung" eingereicht wurde.

c) Der Verfahrensfehler ist auch rechtserheblich; denn abgesehen von der einschränkungslos geltenden Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 2002 IX R 100/00, BFH/NV 2002, 945, zu 3., m.w.N.) hat sich das FA nicht --wie erforderlich-- zu dem erst nach der mündlichen Verhandlung vorgelegten und im FG-Urteil verarbeiteten Gästebuch vor Ergehen des Urteils äußern können. Dem steht nicht entgegen, dass sich neben den Klägern auch das FA in der mündlichen Verhandlung mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt hat; denn den Klägern wurde in der Verhandlung mit Frist zum 8. März 2007 aufgegeben, "mögliche weitere Unterlagen über Zeiträume der Vermietung" vorzulegen, was dann auch durch Einreichung des Gästebuches geschehen ist.

2. a) Der Verfahrensfehler hat zur Folge, dass das FG-Urteil ohne sachliche Nachprüfung aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 116 Abs. 6 FGO).

b) Für das weitere Verfahren weist der erkennende Senat auf Folgendes hin:

- Das FG hat für alle Streitjahre die "ortsübliche Vermietungszeit" der (Vergleichs-)Ferienwohnungen nach deren Vermietungstagen (vgl. BFH-Urteil vom 29. August 2007 IX R 48/06, unter II. 4. b) zu ermitteln und dann nach den vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätzen zu entscheiden, ob für diese Jahre eine Prognose erforderlich ist.

- Für die Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht hat das FG aufgrund der von ihm anzustellenden und nachvollziehbar vorzunehmenden Prognose festzustellen, dass die Vermietungstätigkeit zu einem Totalüberschuss führt (z.B. BFH-Urteil vom 10. Mai 2007 IX R 7/07, BFH/NV 2007, 2163, unter II. 4.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1849403

BFH/NV 2008, 242

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