Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine erhöhte Bestandskraft von Zollbescheiden nach einer Außenprüfung

 

Leitsatz (NV)

1. Zu den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage.

2. Nicht klärungsfähig ist die Frage, ob einem Zollbescheid, der aufgrund einer Außenprüfung ergangen ist, erhöhte Bestandskraft i. S. des § 173 Abs. 2 AO 1977 zukommt, denn diese Vorschrift ist auf Zollbescheide von vornherein nicht anwendbar. Selbst wenn sie aber grundsätzlich anwendbar wäre, wäre die Frage nicht klärungsbedürftig, da sich die Nacherhebung von Zoll seit 1. Juli 1980 nach Gemeinschaftsrecht richtet, hinter dem etwa entgegenstehende nationale Vorschriften über die regelmäßige Festsetzungsverjährung und die Bestandskraft von Steuerbescheiden zurückzutreten haben.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3; EWGV 1697/79

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ließ in der Zeit von Oktober 1989 bis Dezember 1991 optoelektronische Bauteile aus Taiwan bei dem Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt -- HZA --) zum zollrechtlich freien Verkehr abfertigen. Die Zollerhebung erfolgte auf der Grundlage der von der Klägerin angemeldeten Zollwerte. Bei einer Betriebsprüfung durch das HZA im Jahre 1991 wurde festgestellt, daß die Klägerin an die Lieferfirma erbrachte zusätzliche Zahlungen in Höhe von 25 % des jeweiligen Rechnungsbetrages -- nach Auffassung des Prüfers keine Einkaufsprovisionen, sondern abgespaltene Teile der tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preise -- nicht zum Zollwert angemeldet hatte.

Hinsichtlich einer nach Durchführung der Betriebsprüfung erfolgten Einfuhr erging unter dem 9. Januar 1992 ein endgültiger Steuerbescheid mit dem Vermerk, daß der in der Eingangsrechnung unter "Commission" ausgeworfene Betrag nicht dem Zollwert zuzurechnen sei. Später änderte das HZA seine Auffassung und bezog mit Steueränderungsbescheid für alle Einfuhren von Oktober 1989 bis Dezember 1991 die "Commission" in den Zollwert ein, was zu einem Nacherhebungsbetrag in Höhe von insgesamt ... DM führte.

Einspruch und Klage der Klägerin hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt den Nachforderungsbescheid für rechtmäßig. Zur Begründung fü hrte es u. a. aus, ein Änderungsverbot hinsichtlich des endgültigen Steuerbescheids könne nicht aus § 173 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) hergeleitet werden. Diese Vorschrift könne nicht zur Anwendung gelangen, da durch die Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nach erhebung ... -- NacherhebungsVO -- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschschaften -- ABIEG -- Nr. L 197/1) -- unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht -- die entsprechenden nationalen Vorschriften der AO 1977 über die Änderung von Steuerbescheiden für den Bereich der Zölle verdrängt würden.

Mit ihrer auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) gestützten Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision gegen das finanzgericht liche Urteil. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Rechtsfrage, ob § 173 Abs. 2 AO 1977 durch Gemeinschaftsrecht tatsächlich verdrängt werde. Auch Zollbescheiden, die aufgrund einer Außenprüfung ergingen, müsse die erhöhte Bestandskraft des § 173 Abs. 2 AO 1977 zukommen. Dies folge aus dem Rechtsstaatsprinzip, welches hier einen besonderen Vertrauensschutz vorsehe, der nicht durch allgemeine Bestimmungen des EG-Zollrechts verdrängt werden könne. Überdies habe das vor Inkrafttreten des Zollkodex geltende EG-Zollrecht keine Bestimmungen zur Außenprüfung enthalten, so daß jedenfalls für die Rechtslage vor 1994 ein Bedürfnis bestehe, alle mit einer Außenprüfung verbundenen Rechtsfragen nach nationalem Recht zu regeln. Dieses enthalte insoweit eine spezielle Regelung gegenüber dem Gemeinschaftsrecht. In der Praxis seien noch zahlreiche Fälle zur Rechtslage vor 1994 zu entscheiden, in denen die auf geworfene Frage entscheidungserheblich sei. Es bestehe deshalb ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit an der Klärung dieser Frage. Einschlägige Entscheidungen hierzu aus der Finanzgerichtsbarkeit seien nicht bekannt; auch das FG habe in seinem Urteil keine entsprechenden Hinweise und Zitate gegeben. Die Fachkommentierungen seien zu der aufgeworfenen Rechtsfrage unergiebig.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.

1. Der Senat hat bereits Zweifel daran, ob die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichend dargelegt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kommt einer aufgeworfenen Rechtsfrage nämlich nicht schon dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus noch für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung ist (BFH-Beschlüsse vom 20. April 1977 I B 65/76, BFHE 122, 119, BStBl I 1977, 608; vom 2. Februar 1993 VII B 204/92, BFH/NV 1993, 507). Grundsätzliche Bedeutung kann eine Rechtsfrage nur dann haben, wenn ihre Klärung im Interesse der Allgemeinheit liegt. Dies muß in der Beschwerdeschrift unter eingehender Auseinandersetzung mit der vorhandenen Rechtsprechung und Literatur zu dieser Frage näher dargelegt werden. Hat der BFH über einen Sachverhalt der streitigen Art angeblich bisher noch nicht ausdrücklich entschieden, so muß der Beschwerdeführer darlegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten ist und wieweit sie im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist. Hierzu ist im allgemeinen erforderlich, daß der Beschwerdeführer einschlägige Entscheidungen der Finanzgerichte und/oder einschlägige Stellen aus dem Schrifttum einander gegenüberstellt (vgl. BFH-Beschluß vom 26. Juni 1992 III B 72/91, BFH/NV 1992, 722). Eine eingehende Darlegung in diesem Sinne, die grundsätzlich auch bei Rechtsfragen, die die Anwendung von Gemeinschaftsrecht betreffen, erforderlich ist, läßt sich der Nichtzulassungsbeschwerde nicht ohne weiteres entnehmen. Wäre die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt, wäre die Nichtzulassungsbeschwerde bereits als unzulässig zu verwerfen.

2. Der Senat läßt die Zweifel daran aber auf sich beruhen; denn die Beschwerde erweist sich jedenfalls als unbegründet.

a) Die aufgeworfene Rechtsfrage ist in einem künftigen Revisionsverfahren schon nicht klärungsfähig. § 173 Abs. 2 AO 1977 ist auf Zollbescheide von vornherein nicht anwendbar, wie der Senat (Urteil vom 24. Januar 1989 VII R 35/86, BFHE 156, 14, BStBl II 1989, 440) im Anschluß an die Auffassung von Tipke/Kruse (s. jetzt Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 172 AO 1977 Rz. 6) und sein Urteil vom 25. Februar 1986 VII R 14/83 (BFHE 146, 18 -- grundsätzliche Nichtanwendbarkeit des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 auf Zollbescheide) entschieden hat. Kommt eine Anwendung des § 173 Abs. 2 AO 1977 aber auf Zollbescheide nicht in Betracht, kann sich die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage nach dem Verhältnis dieser Vorschrift zu den zollrechtlichen Nacherhebungsvorschriften des Gemeinschaftsrechts nicht stellen. Sie wäre mangels Entscheidungserheblichkeit in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.

b) Selbst wenn man eine Anwendung des § 173 Abs. 2 AO 1977 auf Zollbescheide als zulässig erachtete (so z. B. noch von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 173 AO 1977 Rz. 4), wäre die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig. Der Senat hat nämlich in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß sich die Nacherhebung von Zoll (die Frage, ob Zoll nacherhoben wird) seit dem 1. Juli 1980 nach den Vorschriften der NacherhebungsVO (insbesondere nach deren Art. 2 Abs. 1) richtet und daß diese Vorschriften des Gemeinschaftsrechts Vorrang vor etwa entgegenstehenden nationalen Vorschriften haben. Hiernach sind die Zollbehörden der Mitgliedstaaten zur Nacherhebung des gesetzlich geschuldeten, aber noch nicht angeforderten Zolls verpflichtet, falls drei Jahre seit der buchmäßigen Erfassung noch nicht verstrichen sind (Senat in BFHE 156, 14, BStBl II 1989, 440). Das grundsätzliche Prinzip der Nachentrichtung zu Unrecht nicht erhobener Eingangsabgaben ist auch ein Gebot des Gleichheits satzes, wonach die Belastung mit Eingangsabgaben in allen Mitgliedstaaten grundsätzlich gleich hoch sein muß, gleichgültig, zu welchem Zeitpunkt innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist die richtige Höhe der Eingangsabgaben festgestellt worden ist (Senatsbeschluß vom 24. Oktober 1989 VII R 43/88, BFHE 159, 283). Etwaige Vertrauenstatbestände, die die Finanzverwaltung beim Beteiligten geschaffen hatte, konnten vor Inkrafttreten des Zollkodexrechts nur im Rahmen von Art. 5 NacherhebungsVO berücksichtigt werden (Senatsurteile vom 5. April 1990 VII R 50/88, BFH/NV 1991, 204; vom 20. August 1991 VII R 123/89, BFH/NV 1992, 285; vom 22. Oktober 1991 VII R 44/90, BFH/NV 1992, 428). Lediglich die Art und Weise der Nacherhebung (die Nachforderung selbst, das "wie" der Nacherhebung) richtete sich nach wie vor nach innerstaatlichem Recht (Senatsurteile vom 22. Oktober 1991 VII R 24/90, BFHE 166, 511; vom 1. Dezember 1992 VII R 53/92, BFH/NV 1993, 515).

Aus der dargestellten Rechtsprechung ergibt sich hinreichend deutlich, daß die nationalen Vorschriften über die regelmäßige Festsetzungsverjährung und über die Bestandskraft von Steuerbescheiden für den Bereich der Zölle und der anderen Einfuhrabgaben der Gemeinschaft seit 1. Juli 1980 von den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften der NacherhebungsVO (und seit 1. Januar 1994 von den entsprechenden Vorschriften des Zollkodex) überlagert werden und wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht mehr anwendbar sind. Zu diesen nicht mehr anwendbaren Vorschriften gehört, falls man seine grundsätzliche Anwendbarkeit auf Zölle überhaupt bejaht, auch § 173 Abs. 2 AO 1977.

Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird im übrigen durch folgende Überlegung bestätigt: Den Vorschriften der NacherhebungsVO (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 erster Unterabs. und Art. 11) hat der Senat entnommen, daß die Nachforderung von Zoll aufgrund Gemeinschaftsrechts seit 1. Juli 1980 nicht mehr von einer Änderung entsprechender Zollbescheide des nationalen Rechts (§ 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) abhängig ist (vgl. Senatsbeschluß vom 19. Oktober 1993 VII B 154/93, BFH/NV 1994, 835). Der Nachforderungsbescheid hinsichtlich der nicht erhobenen Einfuhr abgaben für eine eingeführte Ware ist in seinem Bestand und in seiner Wirkung unabhängig von einem anläßlich der Einfuhr dieser Ware ergangenen Steuer- bzw. Zollbescheid. Eine formale Wirkung des Nachforderungsbescheids mit dem ursprünglichen Steuerbescheid ist nicht mehr zwingend notwendig. Daher kann schon aus diesem Grund aus einem früher ergangenen Steuerbescheid, mag er auch nach Durchführung einer Außenprüfung ergangen sein, keine Sperrwirkung für die Nachforderung der noch nicht erhobenen gesetzlich geschuldeten Einfuhrabgaben hergeleitet werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421698

BFH/NV 1997, 207

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