Leitsatz (amtlich)

1. Die fehlerhafte Handhabung von Vorschriften, die die Frage regeln, unter welchen Voraussetzungen eine Sachentscheidung ergeht, ist ein Verfahrensmangel (Anschluß an BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268).

2. Bei Zustellung durch die Post hat eine Niederlegung bei dem Postamt der Wohnsitzgemeinde zu erfolgen. Dies gilt auch dann, wenn ein anderes Postamt Zustellpostamt ist.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; VwZG § 3 Abs. 3; ZPO § 182

 

Tatbestand

Den Klägern wurde die Einspruchsentscheidung des beklagten Finanzamts (FA) durch die Post mit Zustellungsurkunde unter ihrer Anschrift in N durch Niederlegung beim Postamt B am 30.Juli 1986 zugestellt. Beim Finanzgericht (FG) ging am 21.Oktober 1986 eine Klageschrift vom 17.Oktober 1986 ein, in der die Kläger behaupteten, sie hätten bereits am 30.August 1986 eine Klageschrift zur Post gegeben. Zugleich beantragten sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist.

Das FG hat die Klage abgewiesen, weil sie verspätet eingelegt worden sei; es hat die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht für gegeben erachtet.

Die Kläger haben wegen der Nichtzulassung der Revision Beschwerde eingelegt und u.a. die Wirksamkeit der Zustellung durch Niederlegung beim Postamt B bezweifelt. Das zuständige Postamt für ihren Zweitwohnsitz N habe sich in N selbst befunden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zuzulassen, weil das Urteil des FG auf einem Verfahrensmangel beruht (§ 115 Abs.2 Nr.3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Daß es sich bei der Rüge der Unwirksamkeit der Zustellung der Einspruchsentscheidung durch Niederlegung beim Postamt B um eine Verfahrensrüge handelt, ergibt sich daraus, daß die Vorschriften der FGO, die die Frage regeln, unter welchen Voraussetzungen das Gericht in einem anhängig gemachten Prozeß zur Sache entscheidet, zu den Vorschriften des gerichtlichen Verfahrens gehören, deren fehlerhafte Handhabung mit Verfahrensrügen geltend gemacht werden kann (so das Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24.September 1985 IX R 47/83, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268, und der Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 23.Oktober 1985 3 B 93.84, Buchholz, Nachschlagwerk des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 139 VwGO Nr.66).

Die Ermittlungen des Senats (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 30.April 1987 V B 86/86, BFHE 149, 437, BStBl II 1987, 502) haben ergeben, daß die Wohnsitzgemeinde N über ein eigenes Postamt verfügte. Die Niederlegung hätte deshalb bei diesem Postamt erfolgen müssen. Das ergibt sich aus § 3 Abs.3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) i.V.m. § 182 der Zivilprozeßordnung. In der letzteren Vorschrift heißt es, daß die Niederlegung u.a. bei der Postanstalt an diesem Ort, d.h. dem Ort der Zustellung erfolgen muß. Das ist das Postamt, das sich in der Wohnsitzgemeinde befindet, wenn dort zugestellt werden soll. Dies gilt auch dann, wenn Zustellpostamt ein anderes Postamt ist (vgl. die Beschlüsse des Landgerichts Hamburg vom 19.November 1984 (33) Qs OWi 1257/84, Monatsschrift für Deutsches Recht 1985, 167, und des Verwaltungsgerichtshofes Kassel vom 14.November 1985 9 TI 215/85, Neue Juristische Wochenschrift 1986, 1192).

Da die Zustellung wegen der fehlerhaften Niederlegung im vorliegenden Fall nicht ordnungsgemäß war, hat der Lauf der Klagefrist nicht begonnen (vgl. § 9 Abs.2 VwZG). Die von den Klägern erhobene Klage war deshalb nicht verspätet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62295

BFH/NV 1988, 1

BStBl II 1988, 897

BFHE 153, 509

BFHE 1989, 509

BB 1988, 1881-1881 (L1-2)

DB 1988, 2136 (S1-2)

DStR 1988, 676 (S)

HFR 1988, 635 (LT)

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