Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollstreckung eines Gestaltungsurteils; Rechtsschutzinteresse; einseitige Erledigungserklärung

 

Leitsatz (NV)

Hebt das FG einen Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO wegen unzureichender Begründung der Steuerhinterziehung auf und begehrt der Kläger daraufhin beim FG, das FA zu verpflichten, entsprechend dem Urteil erneut zu ermitteln, so entfällt für diesen Antrag das Rechtsschutzinteresse, wenn das FA zwischenzeitlich einen neuen, inhaltsgleichen Zinsbescheid erläßt.

 

Normenkette

FGO § 100 Abs. 2 S. 2, § 154 Abs. 1, § 138 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hob mit Urteil vom 15. Mai 1987 den vom Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) angefochtenen Bescheid des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1972 auf. Die Entscheidung wurde mit der Begründung auf § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützt, das FA habe die Steuerhinterziehung des Beschwerdeführers dem Grunde und der Höhe nach nicht hinreichend aufgeklärt.

Anschließend begehrte der Beschwerdeführer vor dem FG, das FA ,,unter Androhung eines Zwangsgelds" zu verpflichten, entsprechend der FG-Entscheidung den Sachverhalt zu ermitteln. Das FG wies den Antrag mit der - in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1989, 28 abgedruckten - Begründung als unzulässig zurück, daß § 154 Satz 1 FGO, nach dem das Gericht des ersten Rechtszugs unter bestimmten Voraussetzungen gegenüber der Finanzbehörde ein Zwangsgeld androhen, festsetzen und auch von Amts wegen vollstrecken lassen könne, im Streitfall nicht anwendbar sei. Der angefochtene Verwaltungsakt sei wegen eines Verfahrensfehlers ohne Entscheidung in der Hauptsache selbst aufgehoben worden. Das Urteil habe deshalb keinen vollziehbaren Inhalt.

Mit seiner Beschwerde, der das FG nicht abhalf, macht der Beschwerdeführer geltend, die Vollstreckbarkeit des FG-Urteils ergebe sich aus dem Urteil selbst i. V. m. § 100 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGO. Die sich daraus für das FA ergebende Bindungswirkung entspreche der des § 113 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Bindungswirkung ergebe sich unmittelbar aus dem Gesetz und bedürfe keines besonderen Ausspruches im Tenor des Urteils.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben und das FA unter Androhung eines Zwangsgeldes zu verpflichten, entsprechend dem Urteil des FG den Sachverhalt zu ermitteln.

Hilfsweise erklärt er den Rechtsstreit für erledigt, da das FA während des Beschwerdeverfahrens einen neuen, inhaltsgleichen Zinsbescheid erlassen hat. Der Beschwerdeführer hält diesen Bescheid jedoch für nichtig.

Das FA erklärt den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das FG hat den Antrag des Beschwerdeführers zutreffend zurückgewiesen.

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Antrag auch aus den vom FG dargelegten Gründen keinen Erfolg haben kann. Jedenfalls muß er nunmehr schon deshalb ohne Erfolg bleiben, weil mit dem Erlaß des neuen Zinsbescheids durch das FA die Hauptsache sich erledigt hat. Das Begehren des Beschwerdeführers war letztlich darauf gerichtet, den Erlaß eines solchen, mit dem ursprünglichen Zinsbescheid inhaltsgleichen Verwaltungsakts im Wege der Vollstreckung des FG-Urteils zu verhindern. Dieses Ziel kann der Beschwerdeführer nun nicht mehr erreichen. Damit ist für den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.

Ob er das aufgezeigte Ziel noch erreichen könnte, wenn der Zinsbescheid, wie der Beschwerdeführer meint, nichtig und damit unbeachtlich wäre (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 124 AO 1977 Tz. 8), braucht nicht entschieden zu werden. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, daß der neue Zinsbescheid nichtig ist. Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts wird als eine Ausnahme angesehen, die nicht schon daraus entnommen werden kann, daß das Recht unrichtig angewandt oder eine gesetzliche Grundlage zu Unrecht angenommen worden ist. Es müssen vielmehr Mängel vorliegen, die so schwerwiegend sind, daß von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (vgl. Urteil des Senats vom 22. November 1988 VII R 173/85, BFHE 155, 24, 28). Das kommt etwa dann in Betracht, wenn für den Verwaltungsakt auf keine vertretbare Weise eine rechtliche Grundlage gefunden werden kann (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 125 AO 1977 Tz. 2). Derartige Mängel sind nicht ersichtlich, insbesondere auch vom Beschwerdeführer nicht vorgetragen worden.

2. Im Streitfall liegt zwar eine Erledigungserklärung des FA vor. Der Beschwerdeführer hat seinen Antrag auf Verpflichtung des FA zur Ermittlung des Sachverhalts unter Androhung eines Zwangsgeldes aber aufrechterhalten und den Eintritt der Erledigung bestritten. Er ist der Auffassung, der neue Zinsbescheid des FA sei nichtig, weshalb es weiterhin der Vollstreckung des ursprünglichen FG-Urteils bedürfe. Der Senat muß deshalb über den Antrag entscheiden.

Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), daß im Fall der Erledigung eines Rechtsstreits im Revisionsverfahren, wenn nur das FA als Revisionsbeklagter die Erledigung der Hauptsache erklärt hat, der Kläger und Revisionskläger aber auf einer Sachentscheidung besteht, ein klageabweisendes Urteil im Ergebnis zu bestätigen ist (Senatsurteil vom 7. Juli 1987 VII R 167/84, BFH/NV 1987, 702; Urteil vom 27. April 1982 VIII R 36/70, BFHE 135, 264, BStBl II 1982, 407; Beschluß des Großen Senats vom 5. März 1979 GrS 3/78, BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378). Diese Grundsätze sind auch im vorliegenden Verfahren anzuwenden.

3. Mit seiner hilfsweise abgegebenen Erklärung, die Hauptsache sei erledigt, und dem darin konkludent enthaltenen Begehren, die Kosten des Verfahrens nach § 138 FGO dem FA aufzuerlegen, kann der Beschwerdeführer keinen Erfolg haben. Nur wenn die Beteiligten übereinstimmend und bedingungslos die Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist die Rechtshängigkeit der Hauptsache mit der Folge beendet, daß nur noch Raum für eine Kostenentscheidung nach § 138 FGO ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416471

BFH/NV 1990, 117

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