Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines ablehnenden Antrags auf AdV i. S. von § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO

 

Leitsatz (NV)

1. Abweichend von Art. 3 § 7 Abs. 1 Nr. 1 VGFGEntlG reicht es nach § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO nicht mehr aus, daß das FA anders als durch ablehnenden Bescheid zu erkennen gibt, daß es die Vollziehung eines VA nicht aussetzen werde.

2. Hat das FA die AdV eines VA zunächst abgelehnt, dann aber im Aussetzungsverfahren gegen einen inzwischen ergangenen Änderungsbescheid zugesichert, daß es den Bescheid bis zum Ergehen einer Entscheidung in der Hauptsache durch das FG nicht vollziehen werde, fehlt es an einem "abgelehnten Antrag" i. S. von § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO selbst dann, wenn das FA die Zusicherung unter Hinweis auf die Fortgeltung eines finanzgerichtlichen Beschlusses erteilt hat, der die AdV auf die Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens beschränkt hat und das FG die Rechtsansicht des FA in der Entscheidung zur Hauptsache gebilligt hat.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt -- FA --) hatte im Anschluß an eine bei der "A-AG atypisch stille Gesellschaft" durchgeführte Außenprüfung am 26. September 1983 einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für das Wirtschaftsjahr 1978 erlassen und die Aussetzung der Vollziehung dieses Bescheides abgelehnt. Das Finanzgericht (FG) hatte die Vollziehung des Bescheides mit Beschluß vom 29. Juni 1984 für die Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens u. a. insoweit ausgesetzt, als in ihm Gewinne festgestellt wurden.

Das FA hatte am 30. März 1987 während des gegen die bisherigen Feststellungsbescheide 1978 gerichteten Klageverfahrens einen weiteren Änderungsbescheid erlassen, der gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens geworden war. Auf den Antrag des Klägers und Antragstellers (Antragsteller), auch die Vollziehung dieses Änderungsbescheides auszusetzen, teilte das FA dem Antragsteller mit, die Aussetzung des Bescheides durch das FG habe wegen des anhängigen Klageverfahrens weiterhin Bestand. Eine weitergehende Aussetzung komme, wie sich aus der Einspruchsentscheidung ergebe, seiner Ansicht nach nicht in Betracht. Der Antragsteller solle mitteilen, ob er seinen Antrag insoweit aufrechterhalte; für diesen Fall solle er eine weitere Begründung einreichen.

Der Antragsteller teilte dem FA daraufhin mit, daß ihm vorläufig nur daran gelegen sei, daß für ihn kein Gewinnanteil angesetzt werde. Eine weitergehende Aussetzung begehre er nicht.

Das FG gab der Klage teilweise statt. Es ging dabei davon aus, daß eine gesonderte und einheitliche Feststellung des Gewinns der atypisch stillen Gesellschaft nur zum Beginn des Kalenderjahres 1978 und lediglich zum Zweck der Auflösung der negativen Kapitalkonten der atypisch stillen Gesellschafter durchzuführen sei. In Höhe des dadurch bei den atypisch stillen Gesellschaftern entstehenden Veräußerungsgewinns sei der A-AG ein Verlust zuzurechnen. Der Gewinn 1978 sei deshalb mit 0 DM festzustellen. Die Ergebnisse der übrigen Geschäftsvorfälle des Jahres 1978 könnten im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung 1978 nicht (mehr) berücksichtigt werden. Die Revision gegen den Gerichtsbescheid ist noch beim Senat anhängig.

Mit der Revisionsbegründung hat der Antragsteller den Antrag gestellt, die Vollziehung des Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb 1978 vom 30. März 1987 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 1989 bis zur Rechtskraft des Gerichtsbescheides auszusetzen.

Der Antragsteller begründet seinen Antrag mit der Verletzung materiellen Rechts durch das FG. Eine Vollziehung hätte zudem eine unbillige Härte zur Folge, weil sie letztlich zu der hohen Steuernachzahlung von ... DM führe.

Das FA wendet sich gegen die Ausführungen des Antragstellers, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist unzulässig.

1. Der Senat geht davon aus, daß der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides nur insoweit begehrt, als der angefochtene Bescheid und das Urteil des FG einen Gewinn aus der Auflösung der negativen Kapitalkonten festgestellt hat. Diese Auslegung entspricht dem vom Antragsteller beim FA gestellten Antrag und der vom FG für die Dauer der Rechtshängigkeit der Hauptsacheklage beim FG gewährten Aussetzung der Vollziehung des dem angefochtenen Bescheid vorausgegangenen (geänderten) Gewinnfeststellungsbescheides 1978. Es ist anzunehmen, daß der Antragsteller diesen Antrag weiterverfolgen wollte. Denn eine gerichtliche Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides bis zur Rechtskraft des Urteils kann der Antragsteller nur durch einen beim Bundesfinanzhof (BFH) gestellten Antrag erreichen.

Dagegen ist nicht anzunehmen, daß der Antragsteller auch die vorläufige Feststellung von weiteren, im Wirtschaftsjahr 1978 entstandenen Verlusten der (angeblichen) atypisch stillen Gesellschaft begehrt. Denn dieser Antrag wäre schon deshalb unzulässig, weil der Antragsteller einen gleichlautenden Antrag beim FA bisher nicht gestellt hat und es -- abweichend von Art. 3 § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) -- nach der ab dem 1. Januar 1993 anzuwendenden Vorschrift des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO nicht mehr ausreicht, daß das FA anders als durch ablehnenden Bescheid zu erkennen gibt, daß es die Vollziehung nicht aussetzen werde. Das FA hat im Streitfall zudem die Ablehnung eines weitergehenden Antrags nur für den Fall erwogen, daß der Antragsteller keine neuen Gesichtspunkte vorträgt.

2. Die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO sind aber auch hinsichtlich der begehrten Aussetzung der Vollziehung der Veräußerungsgewinne nicht erfüllt.

Das FA hat die Aussetzung der Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides zwar zunächst abgelehnt. Das reicht im allgemeinen zur Erfüllung der Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO aus; es ist nicht erforderlich, daß der Steuerpflichtige in jedem Verfahrensstadium einen neuen Antrag stellt (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom 25. Oktober 1994 VII B 155/94, BFHE 175, 525, BStBl II 1995, 131 m. w. N., und vom 10. November 1993 I S 9/93, BFH/NV 1994, 684). Im Streitfall wirkt die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung jedoch nicht fort. Denn der Antragsteller hat nach Ergehen eines weiteren (des angefochtenen) Änderungsbescheides einen erneuten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim FA gestellt, dem dieses unter Hinweis auf die Fortgeltung des Aussetzungsbeschlusses des FG inhaltlich voll entsprochen, jedenfalls aber verbindlich zugesichert hat, daß es bis zur Entscheidung in der Hauptsache den Bescheid nicht vollziehen werde (vgl. -- für die verbindliche Zusicherung -- BFH-Beschlüsse vom 28. März 1968 V B 32/67, BFHE 92, 164, BStBl II 1968, 470, und vom 16. November 1977 VII S 1/77, BFHE 123, 427, BStBl II 1978, 69). Damit fehlt es an einem vom FA abgelehnten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung dieses Bescheides.

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß die Aussetzung der Vollziehung durch das FG auf die Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens beschränkt war und das FA in seinem Schreiben an den Antragsteller auf den Inhalt dieses Beschlusses Bezug genommen hat. Selbst wenn damit das FA auch die Befristung der Aussetzung der Vollziehung in Bezug genommen haben sollte, wäre darin keine Ablehnung i. S. von § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zu sehen. Die Befristung schloß weder einen erneuten Antrag für die Zeit nach Ablauf dieser Frist noch dessen Erfolg aus (BFH-Beschluß vom 12. Mai 1992 I B 17/92, BFH/NV 1993, 259).

3. Der Antrag konnte auch nicht ausnahmsweise deshalb unmittelbar an den BFH gerichtet werden, weil dem Antragsteller eine nochmalige Antragstellung beim FA wegen der teilweisen Abweisung der Klage und der damit verbundenen Billigung der Rechtsansicht des FA nicht zumutbar sei (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom 20. Februar 1991 II S 3/90, BFH/NV 1992, 189, und vom 26. April 1994 VII S 37/92, BFH/NV 1994, 893). Diese Rechtsprechung ist zu Art. 3 § 7 Abs. 1 Nr. 4 VGFGEntlG ergangen. Der Gesetzgeber hat diese Vorschrift bewußt nicht in § 69 Abs. 4 Satz 2 FGO übernommen (BTDrucks 12/1061 S. 15). Entscheidend ist nunmehr allein, ob eine Vollstreckung droht (§ 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FGO). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Das FA hat aufgrund des finanzgerichtlichen Urteils weder konkrete Schritte zur Durchführung der Vollstrekung ergriffen (vgl. dazu etwa BFH-Beschluß vom 5. Juni 1985 II S 3/85, BFHE 143, 414, BStBl II 1985, 469) noch eine Vollstreckung angekündigt (vgl. dazu BFH in BFH/NV 1994, 893).

4. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides ist auch nicht in einen Antrag auf Abänderung des Aussetzungsbeschlusses des FG umzudeuten (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO).

Der Antrag wäre nicht zulässig.

Die Aussetzung der Vollziehung durch das FG war nicht nur auf die Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens beschränkt; der Beschluß wurde mit Erlaß des Änderungsbescheides auch gegenstandslos (vgl. zuletzt BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1994 VIII B 101/94, BFH/NV 1995, 611). Der Bescheid war zudem zwischenzeitlich Gegenstand eines selbständigen Verwaltungsverfahrens. Der gerichtliche Rechtsschutz bestimmt sich nach dem Ergebnis dieses Verfahrens. Eine analoge Anwendung des § 68 FGO im Rahmen des § 69 Abs. 6 FGO (vgl. dazu Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 69 Anm. 182, und Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 69 FGO Tz. 34) kommt deshalb im Streitfall schon aus diesem Grund nicht in Betracht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420687

BFH/NV 1995, 917

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