Entscheidungsstichwort (Thema)

Schlafender Richter

 

Leitsatz (NV)

1. Wird gerügt, ein Richter sei in der mündlichen Verhandlung eingeschlafen und deshalb gleichsam abwesend gewesen, sind konkrete Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergibt, daß die Konzentration des Richters auf wesentliche Vorgänge der Verhandlung ausgeschlossen war.

2. Die Rüge des (teilweisen) Fehlens von Urteilsgründen erfordert die konkrete Darlegung, welche Angriffs- oder Verteidigungsmittel das FG übergangen hat.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 5

 

Tatbestand

I. Die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) wegen Investitionszulage 1991 für die Anschaffung eines im wesentlichen, d. h. unstreitig an mehr als 183 Tagen im Jahr, außerhalb des Fördergebiets eingesetzten Sattelschleppers blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte u. a. aus, das Erfordernis des dreijährigen Verbleibens im Anlagevermögen eines Betriebs oder einer Betriebsstätte im Fördergebiet als Anspruchsvoraussetzung für begünstigte Wirtschaftsgüter nach §2 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1991 sei bei einem Fahrzeug nur dann erfüllt, wenn dieses überwiegend und regelmäßig Fahrten im Fördergebietsverkehr ausführe, die Fahrten außerhalb des Fördergebiets somit nicht überwögen. Diese Auslegung sei geboten, um außerhalb des Fördergebiets ansässige Unternehmen im Wettbewerb nicht ungerechtfertigt zu benachteiligen. Das FG ließ in seinem nach mündlicher Verhandlung ergangenen Urteil die Revision nicht zu.

Mit seiner, neben einer auf grundsätzliche Bedeutung der Sache gestützten Nichtzulassungsbeschwerde, hiergegen eingelegten Revision rügt der Kläger wesentliche Verfahrensmängel des FG i. S. von §116 Abs. 1 Nrn. 1 und 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Er trägt im wesentlichen vor:

Das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, da zumindest der Verdacht bestehe, daß der Richter am FG X während längerer Abschnitte der mündlichen Verhandlung geschlafen habe und so wesentlichen Vorgängen der Verhandlung nicht habe folgen können, nämlich dem Vortrag des Sachverhalts durch die Vorsitzende zu Beginn der mündlichen Verhandlung von etwa 15.12 Uhr bis 15.20 Uhr sowie seinem, des Klägers, Vortrag von etwa 15.25 Uhr bis 15.33 Uhr zu seiner betrieblichen und wettbewerbsmäßigen Situation in den Jahren 1990 bis 1991. Insbesondere sein, des Klägers, Vortrag zu den Verhältnissen seines Betriebs in der Zeit unmittelbar nach der "Wende" und der Wiedervereinigung sei für eine angemessene Würdigung des Sachverhalts von ausschlaggebender Bedeutung. X habe während der umrissenen Zeiten der mündlichen Verhandlung zurückgelehnt im Stuhl gesessen, habe die Augen geschlossen und die Hand vor einen Teil des Gesichts gehalten. Auch sei ihm der Unterkiefer nach unten gefallen. Dies sei zweimal geschehen, jeweils wenn ein Beteiligter über längere Zeit gesprochen habe. Bei Dialogen mit wechselnden Sprechern sei das Phänomen nicht zu beobachten gewesen. Zum Beweis beruft sich der Kläger auf verschiedene Zeugen.

Das FG habe sein Urteil auch nicht erschöpfend begründet. Es habe zur Wettbewerbssituation der Fuhrunternehmer im Beitrittsgebiet lediglich Verwaltungserlasse sowie ein Urteil eines anderen FG wiedergegeben und Formulierungen wiederholt, die sich bereits in der Einspruchsentscheidung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) befänden. Es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen sein, des Klägers, Vorbringen nicht gewürdigt worden sei und weshalb das FG entgegen dem Klagevortrag meine, die Situation im Beitrittsgebiet in den Jahren 1990/1991 sei mit der zu Zeiten der Berlinförderung un der Zonenrandförderung vergleichbar. Soweit das FG seine, des Klägers, verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Fuhrunternehmern im alten Bundesgebiet zurückgewiesen habe, sei die Urteilsbegründung weitgehend identisch mit der Begründung der Ablehnung seines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung. Die im AdV-Verfahren nach nur überschlägiger Prüfung gegebene Entscheidungsbegründung könne nicht als Urteilsbegründung dienen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§§124, 126 Abs. 1 FGO).

Die Revision ist weder vom FG noch vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen worden. Der Senat hat mit Beschluß vom heutigen Tage die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers verworfen. Das Rechtsmittel ist auch nicht als zulassungsfreie Revision nach §116 Abs. 1 FGO statthaft. Der Kläger hat die von ihm geltend gemachten Verfahrensmängel gemäß §116 Abs. 1 Nrn. 1 und 5 FGO nicht ordungsgemäß gerügt.

1. Die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts i. S. von §116 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist nicht schlüssig erhoben. Der Kläger hat die Tatsachen, die nach seiner Meinung den geltend gemachten Mangel ergeben, nicht hinreichend i. S. von §120 Abs. 2 Satz 2 FGO bezeichnet.

Beruft sich ein Beteiligter darauf, ein Richter sei in der mündlichen Verhandlung eingeschlafen und deshalb gleichsam abwesend gewesen, hat er konkrete Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergibt, daß eine Konzentration des Richters auf wesentliche Vorgänge in der Verhandlung ausgeschlossen war (BFH-Entscheidungen vom 5. Dezember 1985 IV R 114/85, BFH/NV 1986, 468; vom 28. August 1986 V R 18/86, BFHE 147, 402, BStBl II 1986, 908).

Diesen Anforderungen genügt die Rüge des Klägers nicht. Der Kläger behauptet nicht einmal, X sei während der mündlichen Verhandlung tatsächlich eingeschlafen und dadurch an der Konzentration auf den Verfahrensgang gehindert gewesen. Er äußert insoweit nur einen "Verdacht". Schon deshalb ist seine Rüge nicht schlüssig. Im übrigen hat er seine Mutmaßung lediglich durch die Angabe konkretisiert, X habe sich zeitweise im Stuhl zurückgelehnt, die Augen geschlossen, die Hand vor das Gesicht gehalten und den Kiefer bewegt. Ein solches Verhalten schließt die erforderliche Konzentration auf die Geschehnisse in der mündlichen Verhandlung indes nicht aus. Abgesehen davon hindert nicht jede vorübergehende Ermüdung, wie sie bei anstrengenden Sitzungen vorkommen kann, einen Richter an der Verarbeitung der Vorgänge der Verhandlung (BFH-Urteil vom 4. August 1967 VI R 198/66 BFHE 89, 183, BStBl III 1967, 558).

2. Der Kläger hat auch nicht schlüssig gerügt, daß das Urteil des FG nicht mit Gründen versehen sei und damit ein Verfahrensmangel i. S. des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO vorliege.

Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Rüge eines Verfahrensmangels nach §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nur dann schlüssig erhoben, wenn geltend gemacht wird, daß eine rechtliche Begründung (§105 Abs. 2 Nr. 5 FGO) überhaupt fehle oder daß das FG ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen habe, mithin das Urteil bezüglich eines wesentlichen Streitpunktes nicht mit Gründen versehen sei (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. Dezember 1989 III R 49/89, BFH/NV 1991, 288, m. w. N.; vom 19. Januar 1993 VII R 121/92, BFH/NV 1994, 40). Es muß sich um Angriffs- oder Verteidigungsmittel handeln, die den gesamten Tatbestand einer mit eigenständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 9. November 1994 I R 19/94, BFH/NV 1995, 690; vom 18. Oktober 1995 V R 19/95, BFH/NV 1996, 336; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §116 Anm. 2, §119 Anm. 25). Dementsprechend erfordert eine schlüssige Rüge des (teilweisen) Fehlens von Urteilsgründen i. S. von §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO die konkrete Darlegung, welchen selbständigen Anspruch bzw. welches selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel das FG übergangen hat. Dazu gehört einmal die genaue Bezeichnung des Anspruchs (des Angriffs- oder Verteidigungsmittels) unter Angabe der tatbestandlichen Vorausetzungen und zum anderen die Darstellung, daß der Anspruch (das Angriffs- oder Verteidigungsmittel) im Verfahren vor dem FG geltend gemacht worden ist und daß es sich um einen entscheidungserheblichen Gesichtspunkt handelt (Beschluß des Senats vom 22. Februar 1996 III R 133/95, BFH/NV 1996, 817).

Mit seinem Vorbringen, das FG stütze sich im wesentlichen auf Verwaltungserlasse, auf ein Urteil eines anderen FG sowie teilweise auf die Begründung des Beschlusses über die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung, legt der Kläger keinen wesentlichen Verfahrensmangel im vorstehenden Sinne schlüssig dar. Gleiches gilt für seinen Einwand, das FG-Urteil lasse nicht erkennen, weshalb sein, des Klägers, Vortrag zu den Verhältnissen in den Jahren 1990/1991 und zur Verschiedenheit der Situation im Beitrittsgebiet einerseits und zu Zeiten der Berlinförderung bzw. der Zonenrandförderung andererseits nicht gewürdigt worden sei. Der Kläger macht damit nicht geltend, das FG habe seiner Entscheidung (teilweise) keine Gründe beigefügt. Er räumt vielmehr selbst ein, daß das Urteil begründet ist. Im übrigen erstrebt er mit seiner Revision im Grunde eine von der Auffassung des FG abweichende rechtliche Würdigung des Umstandes, daß der von ihm angeschaffte Sattelschlepper im maßgeblichen Zeitraum unstreitig an mehr als 183 Tagen im Jahr außerhalb des Fördergebiets und damit nicht überwiegend im Fördergebietsverkehr eingesetzt war. Eine unzureichende oder fehlerhafte Begründung hinsichtlich des Vorliegens einzelner Tatbestandsmerkmale stellt aber keinen Verfahrensmangel i. S. des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dar (BFH-Beschluß vom 4. April 1996 VII R 10/96, BFH/NV 1996, 763).

 

Fundstellen

Haufe-Index 67582

BFH/NV 1998, 1355

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