Entscheidungsstichwort (Thema)

Verspätete Beschwerde gegen Versagung von PKH; unlesbares Telefax

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Glaubhaftmachung unverschuldeter Fristversäumnis.

2. Bei der Einlegung von (fristgebundenen) Rechtsmitteln ist ein unmittelbar dem Gericht übertragenes Telefax als wirksame Erklärung anzusehen, sofern die Kopier vorlage erkennbar ordnungsgemäß unterschrieben ist (BFH-Urteil vom 28. November 1995 VII R 63/95, BFHE 179, 5, BStBl II 1996, 105).

3. Hat das FG zwar die Unlesbarkeit der Unterschrift auf dem Telefax festgestellt, aber andererseits die nachträglich eingereichte (unterschriebene) Faxvorlage in Bezug genommen, kommt in Betracht, daß die fehlerhafte Übertragung durch einen technischen Fehler im Empfangsgerät verursacht sein könnte. Bei entsprechenden Feststellungen müßte der Antrag als rechtzeitig gestellt behandelt und beschieden werden.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 64, 142 Abs. 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Der Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Kläger) erhob am 7. Juni 1995 mit Telefax um 15.36 Uhr Klage wegen Umsatzsteuer 1980 bis 1988. Zugleich stellte er Antrag auf Prozeßkostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Steuerrechtsanwalts oder Steuerberaters nach seiner Wahl. Die Faxvorlage war zwar handschriftlich unterschrieben, die Unterschrift war aber auf dem Fax möglicherweise aufgrund der Benutzung einer Farbe, die nicht oder unleserlich übertragen wird, nicht lesbar. Unter dieser nicht lesbaren Unterschrift ist der Name des Klägers maschinenschriftlich angegeben.

Der Kläger wurde mit Einschreiben vom 3. August 1995 durch das Finanzgericht (FG) darauf hingewiesen, daß die Unterschrift ein unabdingbares Erfordernis für die Klage sei und daß die Nachreichung einer unterschriebenen Klageschrift innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist von 14 Tagen erforderlich sei. Mit Schreiben vom 5. August 1995, bei Gericht am 30. August 1995 eingegangen, übersandte der Kläger eine zweifach unterschriebene Klageschrift mit der "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse"nebst Anlagen. Auf Nachfrage des Gerichts vom 14. September 1995, wann das Schreiben vom 3. August 1995 bei ihm eingegangen sei, erklärte der Kläger unter Beifügung der Kopie eines am 3. August 1995 freigestempelten Kuverts des FG, auf dem links oben das handschriftlich angebrachte Datum des 14. August 1995 eingekreist ist, daß er dieses Schreiben frühestens am 14. August 1995 erhalten habe. Eine Auskunft bei der Deutschen Post AG ergab, daß das Schreiben vom 3. August am 4. August 1995 am Ausgabeschalter hinterlegt worden und innerhalb der siebentägigen Lagerfrist abgeholt worden sei.

Dem Antrag auf Gewährung von PKH entsprach das FG nicht (Beschluß vom 31. Januar 1996, zugestellt am 8. Februar 1996). Es verneinte hinreichende Erfolgsaussicht i. S. von § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Die Klage sei unzulässig. Es fehle an der eigenhändigen Unterschrift der Klage (Hinweis auf Zwischenurteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 10. März 1982 I R 91/81, BFHE 136, 38, BStBl II 1982, 573). Im Streitfall enthalte die Klageschrift zwar Namen und Anschrift des Klägers. Die Unterschrift sei jedoch nicht leserlich, weil nur geringe Reste auf dem Fax erkennbar seien.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist gemäß § 56 FGO lägen nicht vor, weil der Antrag auf Wiedereinsetzung nicht binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden sei. Nach dem Hinweisschreiben des Gerichts vom 3. August 1995 sei erst am 30. August 1995 das auf den 5. August 1995 vom Kläger datierte Schreiben mit Wiedereinsetzungsantrag und unterschriebener Klageschrift eingegangen. Der Kläger habe mit Schreiben vom 5. Oktober 1995 erklärt, er habe das Schreiben des Gerichts vom 3. August am 14. August 1995 erhalten. Die Zwei-Wochen-Frist sei damit spätestens mit Ablauf des 28. August 1995 abgelaufen.

Mit Gerichtsbescheid vom 12. Februar 1996 -- dem Kläger durch Niederlegung am 16. Februar 1996 zugestellt -- wies das FG die Klage (als unzulässig) ab. Dagegen hat der Kläger Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Ein Termin ist bisher vom FG nicht bestimmt worden.

Der Kläger legte gegen die Ablehnung der PKH am 19. Februar 1996 (persönlich) Beschwerde beim BFH ein. Zusätzlich beantragte er am 22. Februar 1996 für dieses Beschwerdeverfahren PKH. Er legte dazu die "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" mit Unterschrift vom 22. Februar 1996 vor.

Die Beschwerde verwarf der Senat mit Beschluß vom 12. April 1996 V B 28/96 als unzulässig, zugleich bewilligte der Senat mit Beschluß vom 12. April 1996 PKH zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens (einer einzulegenden Beschwerde) und ordnete einen Prozeßbevollmächtigten zur Wahl durch den Kläger bei.

Der Kläger hat gegen den Beschluß, der ihm durch Niederlegung am 19. Juni 1996 zugestellt worden war, am 17. Juli 1996 Beschwerde eingelegt und zugleich beantragt, ihm für die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung trägt er durch eine eidesstattliche Versicherung vor, daß er ab dem 14. Juni 1996 nach P zu seiner im Krankenhaus liegenden Mutter gefahren sei und erst am 10. Juli 1996 nach H zurückgekehrt sei. Diese Angaben belegt er mit Fotokopien von Tankquittungen, Krankenhausbescheinigung und Einkaufsbelegen.

Der Beklagte (das Finanzamt -- FA --) hat sich nach Zuschreibungsreife der Sache nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Der Antrag auf PKH durfte nicht wegen fehlender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung abgelehnt werden.

1. Dem Kläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdeeinlegungsfrist zu gewähren.

Der Kläger hat nicht nur durch eine eidesstattliche Versicherung, sondern auch durch präsente Beweismittel in Form von Fotokopien von Tankquittungen glaubhaft gemacht (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO), daß er ohne Verschulden verhindert war, die Frist zur Einlegung der Beschwerde einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). In der Zeit vom 15. Juni 1996 bis 9. Juli 1996 nach Schließung der Postämter hielt sich der Kläger außerhalb H auf. Insoweit hat er seine unvollständigen Angaben nach Ablauf der Frist erläutert und ergänzt (vgl. BFH-Zwischenurteil vom 21. Februar 1995 VIII R 76/93, BFH/NV 1995, 989, mit Rechtsprechungsnachweisen).

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Erfolgsaussichten der vom Kläger eingelegten Beschwerde gegen die Versagung der PKH ergeben sich aus folgenden Umständen: Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist anerkannt, daß bei Einlegung von (fristgebundenen) Rechtsmitteln wie auch bei bestimmten Schriftsätzen ein bei dem Gericht eingehender Telebrief oder ein unmittelbar dem Gericht übertragenes Telefax als wirksame schriftliche Erklärung anzusehen ist, sofern die Kopiervorlage erkennbar ordnungsgemäß unterschrieben ist (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 23. Juni 1994 I ZR 106/92, BGHZ 126, 266, m. N.; BFH-Urteil vom 28. November 1995 VII R 63/95, BFHE 179, 5, BStBl II 1996, 105).

Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluß vom 12. Dezember 1990 XII ZB 64/90, Versicherungsrecht 1991, 894), der sich der Senat anschließt, ist ein durch Telefax eingegangener Antrag (wie auch die Einlegung eines Rechtsmittels) nicht schon deshalb unwirksam, weil eine Seite des Telefax z. B. geschwärzt war; das könne auch durch einen technischen Fehler in dem Empfangsgerät verursacht worden sein. Wie der BGH ausführt, dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Risiken und Unsicherheiten, deren Ursache allein in der Sphäre des Gerichts liegen, bei der Entgegennahme fristgebundener Schriftsätze unter dem Gesichtspunkt rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung nicht auf den rechtsuchenden Bürger abgewälzt werden (BVerfG-Beschluß vom 14. Mai 1985 1 BvR 370/84, BVerfGE 69, 381, 386 f., m. w. N.). Der BGH hat bereits entschieden, daß eine unlesbar oder verstümmelt zu den Akten gelangte fernschriftliche Einspruchsbegründung, deren Inhalt sich erst nachträglich feststellen läßt, mit ihrem vollständigen Inhalt als eingegangen anzusehen ist, wenn die Ursache für den Mangel der Lesbarkeit und Vollständigkeit in der Sphäre des Empfängers liegt (BGH-Beschluß vom 23. Juni 1988 X ZB 3/87, BGHZ 105, 40, 44). Soweit es entscheidungserheblich ist, muß geprüft werden, ob die teilweise Schwärzung eines Telefax auf einen technischen Fehler im Empfangsbereich zurückzuführen ist. Bei entsprechender Feststellung müßte der Antrag als rechtzeitig gestellt behandelt und beschieden werden.

Im Streitfall hat das FG in seinem die PKH ablehnenden Beschluß zwar die Unlesbarkeit der Unterschrift auf dem Fax fest gestellt, aber andererseits auch die vom Kläger nachträglich eingereichte und unterschriebene Klageschrift (Faxvorlage) in Bezug genommen. Diese Feststellungen erlauben die Folgerung, daß die fehlerhafte Übertragung -- die Unlesbarkeit der linken Unterschrift -- durch einen technischen Fehler im Empfangsgerät verursacht worden sein könnte. Darauf weist auch der Kläger in der Beschwerdeschrift hin. Ausführungen dazu finden sich im angefochtenen Beschluß nicht. Insbesondere fehlen Feststellungen, die zur gegenteiligen Beurteilung (Fehler im Absendegerät) führen müßten.

Der Senat hält es nicht für zweckmäßig, auch über den PKH-Antrag zu entscheiden. Er macht vielmehr, um den Beteiligten nicht die finanzgerichtliche Instanz zu nehmen, von der auch im Beschwerdeverfahren (§ 128 Abs. 1, § 132 FGO) bestehenden Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache an das FG Gebrauch (hierzu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., 1993, § 132 Anm. 10 mit Rechtsprechungsnachweisen; zuletzt BFH-Beschluß vom 8. August 1995 VII B 61/95, BFH/NV 1996, 105).

Entgegen der Ansicht des Klägers war dem Senatsbeschluß vom 12. April 1996, mit dem ihm PKH für eine einzulegende Beschwerde bewilligt wurde, keine Rechtsmittelbelehrung beizufügen (Gräber/Ruban, a. a. O., § 142 Anm. 26).

 

Fundstellen

Haufe-Index 422087

BFH/NV 1997, 893

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