Entscheidungsstichwort (Thema)

PKH: Erfolgsaussichten

 

Leitsatz (NV)

Bei Abwägung der für und gegen den Erfolg sprechenden Umstände im Prozeßkostenhilfeverfahren darf eine abschließende Prüfung der Streitsache nicht vorgenommen werden. Dies bedeutet, daß bei der Gewährung von Prozeßkostenhilfe in Schätzungssachen, deren Ergebnis von der Gesamtwürdigung vieler Tatumstände abhängt, nicht die endgültige Würdigung, die der Endentscheidung zugrunde liegt, maßgebend sein darf.

 

Normenkette

FGO § 142; ZPO § 114

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb in den Streitjahren 1970 bis 1974 einen zum größten Teil ambulant ausgeübten Textileinzelhandel. Nach einer Betriebsprüfung erhöhte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) - im wesentlichen aufgrund von Schätzungen - die vom Kläger erklärten Einkommen und Umsätze in den geänderten bzw. erstmaligen Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheiden der Jahre 1970 bis 1974. Die Einsprüche hatten teilweise Erfolg.

Nach Klageerhebung beantragte der Kläger Prozeßkostenhilfe. Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag durch Beschlüsse vom 25. Oktober 1985 ab. Auf die hiergegen erhobenen Beschwerden hob der Senat die Beschlüsse des FG vom 25. Oktober 1985 auf und wies die Sachen an das FG zurück.

Auch im zweiten Rechtsgang lehnte das FG die Anträge auf Prozeßkostenhilfe ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus:

Die Rechtsverfolgung sei nicht hinreichend erfolgversprechend. Das FA sei zu Zuschätzungen zu den Umsätzen und Gewinnen der Streitjahre grundsätzlich berechtigt gewesen, weil die Buchführung materiell und formell mängelbehaftet gewesen sei. Die Aufzeichnungen über die täglichen Geschäftsreisen seien teilweise sachlich unrichtig. Entgegen den Anschreibungen habe die Ehefrau des Klägers diesen nicht bei allen Geschäftsreisen begleitet. Im Jahr 1971 sei seine Ehefrau infolge einer Nierenoperation eine Zeitlang bettlägerig krank gewesen; im Jahre 1972 sei sie vier Wochen lang pflegebedürftig gewesen; im Jahre 1974 sei sie wegen eines Unfalls mehr als ein halbes Jahr arbeitsunfähig gewesen. Die Kassenbuchführung sei nicht zeitnah erstellt worden; soweit betriebliche Ausgaben aus privaten Mitteln bestritten worden seien, sei die notwendige Einlagebuchung nicht zeitgerecht erfolgt.

Es sei nicht anzunehmen, daß der Kläger mit seinen Einwänden gegen die mittels Nachkalkulation vorgenommenen Gewinn- und Umsatzerhöhungen in den Klageverfahren Erfolg haben könne. Aus seinen eigenen Unterlagen ergebe sich für die Streitjahre 1972 und 1974 ein Rohgewinnbruttoaufschlagsatz von 66,6 v. H. bzw. 81,2 v. H. Der vom FA angesetzte Rohgewinnbruttoaufschlagsatz von 60 v. H. berücksichtige in ausreichendem Maße die betrieblichen Besonderheiten (schlechte Geschäftslage, Preisnachlässe); auch sei der Wareneinsatz mit 4 000 DM wegen der Warenverkäufe zu Einstandspreisen an die im Betrieb mitarbeitenden Töchter ausreichend gemindert worden.

Die vom FA berücksichtigten Privatanteile für Telefonkosten (180 DM pro Jahr) und Pkw-Nutzung (15 v. H. der angefallenen Kosten) bewegten sich im unteren Rahmen des Üblichen.

Es spreche auch nichts dafür, daß der Kläger in den Klageverfahren mit Erfolg höhere Mehrverpflegungsaufwendungen geltend machen könne. Die Kürzung der insgesamt geltend gemachten Beträge um 50 v. H. wegen des auf die Ehefrau entfallenden Anteils verletze den Schätzungsrahmen nicht, weil den Eigenbelegen des Klägers wegen der unrichtigen Eintragung der Zahl der Reisetage der Ehefrau kein entscheidender Beweiswert zukomme. Die weitere Kürzung des auf den Kläger entfallenden Anteils des Mehrverpflegungspauschsatzes sei nicht zu beanstanden; ohne eine solche Kürzung wäre die Besteuerung unzutreffend, denn nach dem Vortrag des Klägers seien mit den in Höhe der Pauschsätze entnommenen Beträgen teilweise die normalen Lebenshaltungskosten bestritten worden.

Schließlich lasse sich aus dem bisherigen Sachvortrag des Klägers nicht entnehmen, daß bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Mietwert der eigengenutzten Wohnung, der vom FA für 1971 und 1972 mit 2,75 DM pro qm sowie für 1973 und 1974 mit 3 DM pro qm angesetzt worden sei, in allen Jahren nur 2,50 DM pro qm betragen habe.

Aufgrund der vorstehenden Sachlage ergäben sich gegenüber dem Klageantrag wegen der Erhöhung der Entgelte und des Eigenverbrauchs höhere Umsatzsteuern und wegen der Versagung der steuerlichen Anerkennung pauschal geltend gemachter Aufwendungen für Verpflegung aus Anlaß von Geschäftsreisen eine Kürzung von Vorsteuern. Ferner sei unwahrscheinlich, daß die Klage in der Umsatzsteuersache insoweit Erfolg haben könne, als der Kläger die Umsatzsteuerfreiheit der den Kunden in Rechnung gestellten Zinsen, Finanzierungskosten und Fahrzeugkosten geltend gemacht habe.

 

Entscheidungsgründe

Die hiergegen vom Kläger erhobenen Beschwerden führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur erneuten Zurückverweisung der Sachen an das FG.

1. Die Vorschriften der §§ 114-127 der Zivilprozeßordnung (ZPO), die gemäß § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auch für das finanzgerichtliche Verfahren gelten, sind durch das Gesetz über die Prozeßkostenhilfe (PKHG) vom 13. Juni 1980 (BGBl I, 677) neu gefaßt worden. Das Gesetz ist am 1. Januar 1981 in Kraft getreten. Nach der Übergangsregelung in Art. 5 Nr. 1 PKHG sind die Bestimmungen über die Prozeßkostenhilfe nicht anzuwenden in Verfahren, die vor dem 1. Januar 1981 anhängig geworden sind und in denen nach den bisher geltenden Vorschriften Armenrecht bewilligt worden ist. Da im vorliegenden Fall Armenrecht nach den bisher geltenden Vorschriften nicht gewährt worden ist, sind hier die Regeln über die Prozeßkostenhilfe anzuwenden.

2. a) Nach § 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 114 ZPO ist Prozeßkostenhilfe auf Antrag zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint und wenn der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zu einem Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein vollständiges oder teilweises Obsiegen des Antragstellers spricht. Dies ist anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Zöller/Schneider, ZPO, 14. Aufl., § 114 Anm. 30). Bei der Entscheidung, ob hinreichende Erfolgsaussichten bestehen, dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Die Erfolgsaussichten werden in der Regel dann als hinreichend anzusehen sein, wenn die Gründe für und gegen einen Erfolg als gleichwertig zu bewerten sind, so daß im Ergebnis für beide Beteiligten eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bestehen kann (Stein / Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 114 Anm. 29; Ziemer /Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Bd. 3, Tz. 10835/5).

Bei Abwägung der für und gegen den Erfolg sprechenden Umstände darf eine abschließende Prüfung nicht vorgenommen werden (Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 44. Aufl., § 114 Anm. 2 B a; Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, § 142 FGO Rdnr. 10). Die Vorwegnahme der Endentscheidung im Prozeßkostenhilfeverfahren würde zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, daß der Antragsteller gehindert wäre, seine Rechte aus der Gewährung der Prozeßkostenhilfe in vollem Umfange wahrzunehmen. Dies bedeutet für das Prozeßkostenhilfeverfahren, daß, soweit in Besteuerungsverfahren Schätzungen, deren Ergebnis von der Gesamtwürdigung vieler Tatumstände abhängt, vorzunehmen sind, nicht die endgültige Würdigung, wie sie der Endentscheidung zugrunde liegt, maßgebend sein darf. Vielmehr kommt es bei Schätzungen für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe im wesentlichen darauf an, ob nach den wichtigsten Tatumständen der vom Antragsteller angestrebte Erfolg möglich erscheint. Insbesondere dann, wenn den Schätzungen verwickelte Tatbestände zugrunde liegen, werden hinreichende Erfolgsaussichten des Antragstellers ohne weitere Prüfung zu bejahen sein.

b) Diese Rechtsgrundsätze hat das FG in den angefochtenen Entscheidungen teilweise nicht beachtet.

Gegenüber den aufgrund einer Nachkalkulation vorgenommenen Zuschätzungen in Höhe von 6 900 DM für das Jahr 1970, in Höhe von 9 600 DM für das Jahr 1971, in Höhe von 13 600 DM für das Jahr 1972, in Höhe von 8 900 DM für das Jahr 1973 und in Höhe von 3 300 DM für das Jahr 1974 wendet der Kläger im wesentlichen ein: Die in den Einspruchsentscheidungen zugrunde gelegten Rohgewinnaufschlagsätze habe er wegen ungünstiger Lage seines Ladenlokals und starker Konkurrenz durch große Kaufhäuser sowie wegen erheblicher Preisnachlässe nicht erzielen können; ferner sei das FA von einem unzutreffenden Wareneinsatz ausgegangen, weil es nicht ausreichend beachtet habe, daß seine beiden im Geschäft mithelfenden Töchter für sich und ihre Familien in großem Umfang zu Einkaufspreisen Waren eingekauft hätten. Die Berücksichtigung dieser Umstände und der vom Kläger über die Preisnachlässe vorgelegten Kundenbescheinigungen erscheinen im Prozeßkostenhilfeverfahren, in dem eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ohne Vorwegnahme der Endentscheidung vorzunehmen ist, als so gewichtig, daß trotz der vom FG in den angefochtenen Entscheidungen angeführten Gegenargumenten hinsichtlich der erwähnten Zuschätzungen die Erfolgsaussichten der Klagen in den Einkommensteuer- und Umsatzsteuersachen als hinreichend angesehen werden müssen.

Auch soweit das FG die Mehrverpflegungskosten gekürzt hat, kann seinen Entscheidungen nicht in vollem Umfange gefolgt werden. Hinsichtlich der zugunsten der Ehefrau des Klägers aufgewendeten Mehrverpflegungskosten ist zu beachten, daß die tatsächlich für sie ausgegebenen Beträge bei der Gewinnermittlung ohne Rücksicht darauf Betriebsausgaben sind, ob die Ehefrau Mitunternehmerin i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder Arbeitnehmerin des Klägers im Sinne eines einkommensteuerrechtlich anzuerkennenden Arbeitsverhältnisses war. Die unzutreffende Verbuchung der Anzahl der Reisetage der Ehefrau schließt nicht aus, daß tatsächlich solche Kosten entstanden sind. Unter Abwägung aller Umstände kann davon ausgegangen werden, daß in dem die Einkommensteuer betreffenden Klageverfahren in Höhe von 50 v. H. der vom Kläger für seine Ehefrau geltend gemachten Mehrverpflegungskosten hinreichende Erfolgsaussichten bestehen. Soweit über den Abzug der die Geschäftsreisen des Klägers betreffenden Mehrverpflegungspauschsätze zu entscheiden ist, müssen die für und gegen die volle Gewährung der Pauschsätze sprechenden Gründe als gleichgewichtig bewertet werden, so daß auch insoweit der Erfolg der Klagebegehren in den Einkommensteuer- und Umsatzsteuersachen nicht als unwahrscheinlich angesehen werden kann.

Auch hinsichtlich des Bestreitens der Umsatzsteuerpflicht der in Rechnung gestellten Zinsen und Finanzierungskosten erscheint die Klage hinreichend erfolgversprechend. Die Steuerbefreiung könnte sich aus § 4 Nr. 8 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 ergeben (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 1980 V B 24/80, BFHE 132, 147, BStBl II 1981, 197; Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 1. April 1986 IV A 2-S 7100-33/86, BStBl I 1986, 149).

Im übrigen kann mit dem FG angenommen werden, daß die Klageverfahren in den Einkommensteuer- und Umsatzsteuersachen nicht hinreichend erfolgversprechend sind. Zutreffend hat das FG ausgeführt, daß die vom FA angesetzten Privatanteile für Telefon- und PKW-Kosten an der unteren Grenze der üblicherweise berücksichtigten Beträge liegen und die demgegenüber vom Kläger vorgetragenen Einwände insoweit die hinreichende Erfolgsaussicht der Klagebegehren nicht begründen können. Entsprechendes gilt für den Ansatz eines Nutzungswerts für die eigengenutzte Wohnung von 2,75 DM pro qm für die Jahre 1971 und 1972 und von 3 DM pro qm für die Jahre 1973 und 1974. Die grundsätzlich bestehende Umsatzsteuerpflicht der in Rechnung gestellten Kfz-Kosten wird vom Kläger nicht bestritten; sein Einwand, daß das FA an die frühere Sachbehandlung gebunden sei, reicht nicht zu der Annahme aus, daß insoweit das Obsiegen des Klägers eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat.

3. Da die angefochtenen Beschlüsse den unter Ziff. 2 ausgeführten Grundsätzen zum Teil nicht entsprechen, können sie keinen Bestand haben. Die Entscheidung über die Gewährung von Prozeßkostenhilfe hängt nach § 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 114 ZPO auch davon ab, ob der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Hierzu hat das FG bisher keine Feststellungen getroffen. Die Sachen werden deshalb nochmals an das FG zurückverwiesen. Bei den erneuten Entscheidungen hat das FG hinsichtlich der Fragen, ob die Klagen erfolgversprechend sind, die unter Ziff. 2 ausgeführten Grundsätze zu beachten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414985

BFH/NV 1987, 322

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